Gelsenkirchen. Viele Frauen erleben Gewalt, verbal, körperlich, sexuell. Trotzdem ist es ein Tabuthema. Der „Orange Day“ in Gelsenkirchen will sensibilisieren.

Jede dritte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben Opfer physischer oder sexualisierter Gewalt. Bei jeder vierten Frau ist der Täter der aktuelle Partner oder ein früherer Partner. Auf das Jahr gerechnet wird in Deutschland alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Demnach wird alle 45 Minuten eine Frau Opfer von gefährlicher Körperverletzung. Und es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer noch wesentlich höher liegt, weil viele aus Angst und Scham schweigen.

Häusliche Gewalt weiter auf hohem Niveau in Gelsenkirchen: um die 800 Fälle

Eine dramatische Entwicklung, die auch vor Gelsenkirchen nicht Halt macht. Hier ist das Gefährdungspotenzial laut Gleichstellungsatlas mit am höchsten in NRW. Und die Kapazitäten des hiesigen Frauenhauses sind nahezu häufig weit ausgereizt, so dass bereits ein neues Gebäude in Planung ist. Aktuell bietet es zwölf Frauen und acht Kindern Sicherheit.

Zwar wird die offizielle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erst Anfang 2023 veröffentlicht, doch nach Angaben der städtischen Gleichstellungsstelle und der Polizei bewegen sich die Fallzahlen im Bereich „Häusliche Gewalt“ für 2022 wieder „im Bereich um die 800“, wie Dagmar Eckart und Asmaa El Makhoukhi erklären (siehe Tabellen). Die Belegungszahlen und auch die Abweisungen des Frauenhauses sind zusätzliche Indizien dafür, wie groß das Problem ist – zumal aus Angst und Unwissenheit nicht jede Betroffene sich an offizielle Stellen bei Stadt und Polizei wendet. Und es in anderen Städten und Gemeinden auch nicht wesentlich besser aussieht.

Orange Day in Gelsenkirchen legt Fokus auf Geflüchtete und Menschen mit Handicap

Anlässlich des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November richtet die Stadt mit „Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften“ und „Gewaltschutz von Frauen und Mädchen mit Behinderung“ zwei Themenfelder dieses Jahr besonders in den Fokus.

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Wie eine Studie der renommierten Berliner Charité zeigt, sind diese vulnerablen Gruppen einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Das Leben auf engem Raum und die fehlende Privatsphäre in Unterkünften führen demnach oft zu Spannungen und Misshandlungen der ohnehin von Krieg, Terror, Hunger, Gewalt und Folter traumatisierten Frauen und Mädchen.

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„Wir haben deshalb einen Einrichtungscheck veranlasst“, berichten Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge, Dagmar Eckart und Asmaa El Makhoukhi von der städtischen Gleichstellungsstelle. Herausgekommen sei dabei, dass nicht alle Mitarbeitenden wüssten, was genau im Falle eines Falles zu tun sei, an wen man sich wende und wo Hilfe zu bekommen sei. Ähnliches gelte für die Geflüchteten selbst. Fortbildungen für Sicherheitskräfte und Mitarbeitende haben daher schon vor längerer Zeit begonnen, um mehr Handlungssicherheit zu vermitteln, dazu bieten gewaltschutzorientierte Deutschkurse Hilfestellung an zu Fragen wie: Wie kann ich mir Hilfe holen? Wie rufe ich die Polizei? Welche Hilfsangebote gibt es?

Geprüft wurde unter anderem auch, ob es geschützte Räume gibt, in die sich Frauen zurückziehen können, etwa Mütter zum Stillen, oder ob ausreichend separierte Dusch- und WC-Bereiche für Frauen vorhanden sind.

Soroptimist-Clubs finanzieren Selbstbehauptungskurse für 100 Mädchen der Gesamtschule Buer-Mitte

Plakate mit Notrufnummern, Podiumsdiskussionen, ein Kurzfilm und auch Theateraufführungen sollen das Thema (siehe Zweittext) einer breiteren Öffentlichkeit in Gelsenkirchen bekannt machen. Die drei Gelsenkirchener Soroptimist Clubs (GE, GE-Buer, GE/Ruhrgebiet) setzen mit verschiedenen Aktionen ein deutliches Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Kindern. So bieten sie in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit Horst Storb (selbstständiger Trainer) für 100 Mädchen der Mittelstufe der Gesamtschule Buer-Mitte Selbstbehauptungskurse an.

Indes wird angesichts der Energiekrise auf publikumswirksame orangefarbene Lichtinstallationen (Rathäuser, Krankenhäuser) wie in den Vorjahren am 25. November weitgehend verzichtet. Ausnahme: Die Zeche Hugo dank einer Solarstromversorgung.

Die bittere Erkenntnis bei dem Thema ist aber, dass „sich das Problem durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht“, wie die Gleichstellungsbeauftragte Dagmar Eckart und OB Karin Welge berichten: „Es ist ein allgemeines Problem, nicht an gesellschaftlicher Herkunft oder Ethnie gebunden.“ Die Oberbürgermeisterin ist sogar selbst schon mehrfach Opfer von sexualisierter Gewalt geworden, wie sie erzählt – verbal. „Aber auch das ist schon schlimm genug“.