Gelsenkirchen. Der Bund will Drohnen aus China für Katastrophen-Einsätze beschaffen. Aber könnte nicht auch Technik auf Gelsenkirchen helfen, Leben zu retten?

Drohnen können im Katastrophenfall entscheidende Helfer sein. Das hat sich auch beim verheerenden Großbrand im Wohnkomplex in der Essener Innenstadt im Februar 2022 gezeigt, der bundesweit für Entsetzen sorgte. Damals verschafften sich die Helfer einen Überblick, indem sie kleine Drohnen losschickten, die detaillierte Aufnahmen von den abgebrannten Wohnungen machen konnten. Und auch bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021 lieferten die Geräte hilfreiche Bilder für die Lageeinschätzung. Das Bundesinnenministerium will deshalb jetzt mehr auf die kleinen Flugroboter setzen und plant, 60 von ihnen zu beschaffen – ausgerechnet aus China.

In der Ausschreibung, über die zuerst die „Tagesschau“ berichtete, heißt es, explizit seien Modelle des chinesischen Herstellers Da-Jiang Innovations (DJI) gewünscht. Der Konzern steht in den USA auf einer Export-Verbotsliste. Der Vorwurf: DJI verwende seine Drohnen, um die muslimische Minderheit, die Uiguren, zu überwachen. Die US-Regierung hält die Drohnen zwar prinzipiell für sicher; ein Datenaustausch mit der chinesischen Regierung fände nicht statt. Jedoch wurde der Einsatz der Drohnen mittlerweile durch Auftragnehmer des Pentagons verboten.

Drohnen aus China? Gelsenkirchener Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic kritisiert Ausschreibung des Bundes

Auch Gelsenkirchens Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic steht der Ausschreibung des Bundes kritisch gegenüber und äußerte im „Tagesschau“-Bericht ihre Sorgen. „Gerade im Sicherheitsbereich ist es enorm wichtig, keine Technik zu verwenden, die nicht vertrauenswürdig ist, weil zum Beispiel die Hersteller aus autoritären Staaten kommen. Umso unverständlicher ist die Ausschreibung zur Anschaffung von Drohnen aus China für Einsätze des Technischen Hilfswerks“, konkretisierte die Innenpolitikerin und parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion ihre Vorbehalte auf WAZ-Nachfrage. Zudem sei es überhaupt nicht nötig, auf die Geräte aus China zurückzugreifen, „weil wir in Deutschland über viel Know-How im Bereich der Forschung verfügen, das sich für die Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden sehr gut nutzen lässt“, so die Bueranerin. Zum Beispiel in Gelsenkirchen.

Gelsenkirchenerin Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion: „Gerade im Sicherheitsbereich ist es enorm wichtig, keine Technik zu verwenden, die nicht vertrauenswürdig ist.“
Gelsenkirchenerin Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion: „Gerade im Sicherheitsbereich ist es enorm wichtig, keine Technik zu verwenden, die nicht vertrauenswürdig ist.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Schließlich werden auch an der Westfälischen Hochschule (WH) unter dem Dach des „Deutschen Rettungsrobotik-Zentrum“ in Dortmund Drohnen entwickelt und programmiert. Sie waren es auch, die beim Großbrand in Essen und im Ahrtal zum Einsatz kamen. Die Flugroboter liefern mit 360-Grad-Kameras nicht nur Panorama-Bilder des Einsatzgeschehens, sondern können die komplette Lage vor Ort in 3D abbilden. Auch schaffen es die kleinen Geräte in einsturzgefährdete und enge Innenräume, ohne dass sich Einsatzkräfte dabei in Gefahr begeben müssen. Wäre es da nicht viel unproblematischer, würde der Bund auf die Geräte aus Gelsenkirchen setzen?

Das sagt ein Drohnen-Experte aus Gelsenkirchen zu dem Drohnen-Plan des Innenministeriums

Ganz so einfach ist es offenbar nicht. Denn wie Hartmut Surmann, Professor für autonome Systeme und Leiter des Robotiklabors der WH, auf Nachfrage erläutert, kommen auch seine Drohnen nicht ohne Technik chinesischer Hersteller wie DJI aus. „Daran kommt man nicht vorbei“, sagt der Informatiker. Die 360-Grad-Drohnen würden teils aus Elementen des Marktführers DJI, wie etwa der chinesischen Drohne Matrice 300, bestehen, teils aus selbst gebauten Bestandteilen. „Da Drohnen Hightech-Produkte sind, hat man weltweite Abhängigkeiten und Zulieferer“

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Problematisch ist laut Surmann aber weniger verbaute Technik wie chinesische Chips. Viel eher könne sich die Netzverbindung als Angriffspunkt erweisen. Schließlich müssten die Drohnen die Bilder auch per Internetverbindung senden. „Und in der Digitalisierung hat man überall dieselben Sicherheitsfallen“ – manipuliertes WLAN etwa, über das Hacker Daten abgreifen.

Professor der WH Gelsenkirchen „Man benötigt Geräte wie Werkzeuge am Schweizer Taschenmesser“

Keine gute Idee ist es laut Surmann allerdings, nur auf einen Drohnentyp, also beispielsweise nur auf die Matrice 300 aus China zu setzen. „Man benötigt Geräte wie Werkzeuge am Schweizer Taschenmesser“, sagt er. Das bedeutet: mal größere Flugroboter, die Panorama-Aufnahmen von der Gesamtlage machen können, mal sehr kleine, flinke Drohnen, die etwa, wie in Essen, auch durch kleine Appartements gelenkt werden können. Und: „Es ist nicht mit dem Kauf einer Drohne getan.“ Die Ausbildung und regelmäßige Übung sei ebenso sehr wichtig, zudem wesentlich teurer und umständlicher als die Hardwarebeschaffung.

„Aus meiner Sicht“, so der Professor, „wäre es deshalb sinnvoll, den Rettungskräften ein Budget zu Verfügung zu stellen, mit dem sie dann vor Ort entscheiden, wie man es am besten einsetzt.“ Sonst beschaffe man am Ende Drohnen – und niemand wisse, wie man sie sinnvoll verwendet. Ob sie dann aus China kommen oder nicht: Das scheint dann offenbar zweitrangig zu sein. Die explizit vom Bund gewünschte Matrice 300 allerdings scheint längst überholt zu sein. Surmann: „Die Matrice 300 hat bereits einen verbesserten Nachfolger. Sie veraltet gerade.“