Gelsenkirchen. Familienbetriebe mit 100-jähriger Tradition sind rar. Die Wessel-Gruppe ist eine Ausnahme. Mitten in der Krise investiert sie 30 Millionen Euro.
Noch nicht einmal ein Prozent der rund 11.700 ansässigen Unternehmen in Gelsenkirchen kann von sich behaupten: Unser Betrieb besteht schon seit 100 Jahren. Die „Wessel-Gruppe“ bildet da eine seltene Ausnahme, zumal der Mittelständler bereits in vierter Generation ein Familienbetrieb ist. Und es auch bleiben soll.
Gelsenkirchener Wessel-Gruppe investiert 30 Millionen Euro in neues Reha-Zentrum
Geschäftssinn, strategische Weitsicht und eine kluge Verzahnung von Kompetenzen haben eine Wertschöpfungskette von beachtlicher Tragkraft geschmiedet. Und eine, die weiter wächst. Das ist die Botschaft, mit der Geschäftsführer Michael Poschmann anlässlich einer kleinen Feierstunde im Gelsenkirchener Wessel-Haus, dem Stammsitz der Verwaltungsgesellschaft an der Husemannstraße, aufwartete: „Wir werden etwa 30 Millionen Euro in ein neues Reha-Zentrum investieren.“
Und das trotz Energiekrise, trotz Ukraine-Krieg und trotz drohender Rezession. Für IHK-Vizepräsident Lars Baumgürtel (Zinq) und Jochen Grütters, IHK-Leiter am Standort Emscher-Lippe, ein klares Zeichen dafür, dass „es ohne den Mittelstand einfach nicht geht“, der Jobmotor in Deutschland ohne ihn nicht rund laufen würde.
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Noch „vor Ende dieses Jahres“ will Poschmann den Bauantrag stellen, allerdings nicht in Gelsenkirchen, sondern in Lüdenscheid. Kurz hinter der verbotenen Stadt gibt es mit der Fachklinik Spielwigge bereits einen Unternehmensstandort, ein Reha-Zentrum und eine Seniorenresidenz mit Pflegewohnungen sollen hinzukommen an der Wiesenstraße, nur etwas mehr als einen Steinwurf entfernt vom Lüdenscheider Rathaus.
Und wahrscheinlich auch noch eine Pflegeschule mit 40 Ausbildungsplätzen. „Etwa 180 Arbeitsplätze werden so entstehen“, prognostiziert Michael Poschmann, der betont, dass es ansonsten auch denkbar gewesen wäre, hier in Gelsenkirchen zu investieren. Was nicht ist, kann ja noch kommen.
Tragende Unternehmenssäulen der Gelsenkirchener: Kliniken, Heime und Hotels
Kliniken, Heime und Hotels – das sind die tragenden drei Säulen des Gelsenkirchener Mittelständlers, der die Dreiteilung im Übrigen auch bei der Verteilung der Ressorts bevorzugt: Michael Poschmann obliegt als Diplom-Kaufmann die Geschäftsführung, Ehefrau Susanne fungiert als Prokuristin und somit rechte Hand ihres Mannes und Sohn Marc als Assistent seines Vaters.
Der 27-Jährige soll einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten, die fünfte Generation ist damit bereits am Start. Weitreichende Entscheidungen werden nach langer Diskussion – mitunter auch kontrovers – „letztendlich im Konsens getroffen“, sagt Michael Poschmann zur Kultur in der Führungsetage.
Der Erfolg beruht demnach in erster Linie auf einer nahtlos ineinandergreifenden Versorgungskette durch einen Verbund aus Reha-Kliniken, (Pflege-)Heimen und Hotels. 700 Mitarbeitende versorgen Patienten, Bewohner und auch (Kur-)Gäste an insgesamt sieben Standorten. Die Achse reicht bis in den Schwarzwald und bis ins Allgäu. Wobei die Schwerpunkte des Familienunternehmens „in der medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Behandlung und Betreuung“ liegen, wie Poschmann bei der Feierstunde erklärt.
Wegbereiter und entscheidender Impulsgeber für den Erfolg war Karl Wessel, Poschmanns Großvater. Der erkannte in den 1940er-Jahren das zunehmende Bedürfnis nach Verpflegung und Beherbergung für Kriegsversehrte und Kriegswitwen und leitete daraufhin die Transformation von Großgastronomie zum Reha-Spezialisten ein. Der gelernte Bäcker organisierte „durch Anmietung von kleineren Pensionen Kurzurlaube“, wie Poschmann sich erinnert. In den Anfängen noch in einem weitgehend schlichten Rahmen – Zimmer, Verpflegung, viel mehr auch nicht.
Aber: Die Idee zündete. Aus ihr entsprang wenig später die Karl Wessel GmbH mit mehreren Kurheimen in Deutschland, die als Vorreiter der späteren Kurkliniken galten. Für diese Pionierleistung und seine Verdienste im sozialen Bereich erhielt Karl Wessel 1971 das Bundesverdienstkreuz.
Fachkräftemangel: Qualifiziertes Personal gesucht – vom Koch bis zum Pflegenden
Angesichts der aktuell angestrebten Strukturreform bei den Krankenhäusern ist es für die Wessel-Gruppe ein Vorteil, sich auf die „Betreuung danach“ spezialisiert zu haben, denn die geplante Verschlankung des Angebots wird wohl allerorts spürbar werden. Die Nachfrage nach Reha-Behandlungen ist jedoch weiterhin hoch und dürfte durch neue Krankheitsbilder wie Long Covid sogar noch steigen. An den rund 90 Spezialambulanzen bundesweit müssten Erkrankte immerhin zwischen sechs und neun Monate auf einen Termin warten.
Aktuelle Umsatzzahlen mochte das erfolgreiche Führungstrio im schmucken Wessel-Haus nicht nennen, da bleiben Mutter, Vater und Sohn beim traditionellen Understatement. Durch markige Verlautbarungen hat sich der Familienbetrieb noch nie in den Blickpunkt gerückt, will es auch nicht.
Fachkräftemangel treibt auch Gelsenkirchener Wessel-Gruppe um
Doch die 30-Millionen-Euro-Investition in Lüdenscheid kann zumindest als Indiz für wirtschaftliche Stärke und unternehmerischen Optimismus herhalten. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch gesunde Betriebe nicht frei sind von Sorgen. „Vom Koch bis hin zum Pfleger“ reicht nach Worten von Michael Poschmann der allgegenwärtige Fachkräftemangel – vor allem „im pflegerischen und therapeutischen Bereich“.
Und der treibt mitunter seltsame Blüten, wie der Gelsenkirchener zu berichten weiß. „Pflegekräfte aus Balkanländern sind oftmals sehr standorttreu und dankbar, Mitarbeitende aus asiatischen Ländern wie den Philippinen verlassen uns dagegen nicht selten und ziehen ein paar Städte weiter, weil sie woanders 50 Euro mehr im Monat verdienen können“, so der Wessel-Chef. Es komme auch öfter vor, dass die Qualifikation auf dem Papier und die Kompetenz im Alltag weit auseinanderdrifteten. „Hospitanzen, Nachschulungen“ und letztlich auch der Bau einer Pflegeschule in Lüdenscheid sind die Konsequenzen, stets verbunden mit Mehraufwand und Kosten. Bei Wessel ist man sich aber sicher: Das ist eine Investition in die Zukunft. Und eine, die sich lohnt.