Gelsenkirchen. 75 Schüler sind betroffen: Eine Gelsenkirchener Pflegeschule musste drei Lehrgänge streichen. Wie so etwas passieren kann? Ein Systemfehler.

Deutschland kann jede einzelne Pflegekraft gut gebrauchen. Insofern ist es besonders bitter, was jetzt über eine Anfrage der Grünen-Politikerin Ingrid Wüllscheidt im Gesundheitsausschuss bekanntgeworden ist: Das Schulungszentrum des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) in Gelsenkirchen hat drei geplante Ausbildungsgänge – zwei für examinierte Pflegekräfte, einen für Pflegefachassistenten – kurzfristig komplett abgesagt. 75 Menschen, die sich eigentlich zu dringend gesuchten Fachkräften ausbilden lassen wollten, konnten ihre Lehre somit erst einmal nicht starten. Wüllscheidt ist „fassungslos“ – und sieht die Fehler im System.

Abgesagt werden mussten die Ausbildungslehrgänge nach Informationen der Stadt, weil „keine Genehmigung von der Bezirksregierung vorlag.“ Das VDAB-Schulungszentrum unterliegt der Aufsicht der Bezirksregierung Münster. Dort bestätigt man die missliche Lage auf WAZ-Nachfrage. Sie habe am 29. August per Mail Kenntnis von der Situation in der Pflegeschule bekommen, also acht Wochen vor Ausbildungsbeginn in Gelsenkirchen. Ihre Fristen hat die Schule damit eingehalten.

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Eine Aufklärung des Falles mit dem NRW-Gesundheitsministerium und der Gelsenkirchener Pflegeschule habe inzwischen stattgefunden. Im Ergebnis habe man eine „engere Zusammenarbeit“ mit der Bezirksregierung sowie die Wiederaufnahme der Ausbildung festgehalten, „sobald ein angemessenes Verhältnis von fachlich und pädagogisch qualifizierten Lehrkräften zur Zahl der Ausbildungsplätze hergestellt wurde“, heißt es aus Münster.

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Denn hier liegt das Problem: Der VDAB konnte nicht genug Lehrpersonal bereitstellen, um die Ausbildungsjahrgänge wie geplant anzubieten und scheiterte deswegen an der Genehmigung. Weiß man so etwas nicht lange vorher? „Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt“, teilte die Schulleitung auf Nachfrage mit. Aber es könne nun einmal passieren, dass aus Gründen wie Schwangerschaften oder Langzeiterkrankungen kurzfristig Lehrpersonal ausfalle. Schnell Ersatz zu finden sei jedoch schwierig. „Der Arbeitsmarkt ist leer“, so die Leitung, die jedoch die politischen Gründe dafür nicht kommentieren will.

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Das aber tut Pflege-Expertin Ingrid Wüllscheidt von den Grünen. Sie macht darauf aufmerksam, dass die Ausbildung in den Pflegeberufen von dem damaligen und ebenfalls jetzigen NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) reformiert wurde und durch die Akademisierung eigentlich attraktiver gestaltet werden sollte: Jeder Ausbildungsgang in den Pflegeberufen sollte zukünftig von Pflegepädagogen mit einem Bachelor- oder Masterabschluss geschult werden.

Pflege-Expertin Ingrid Wüllscheidt (Bündnis 90/Die Grünen in Gelsenkirchen): „Das ist ein Desaster!“
Pflege-Expertin Ingrid Wüllscheidt (Bündnis 90/Die Grünen in Gelsenkirchen): „Das ist ein Desaster!“ © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Ein Fehler sei es jedoch gewesen, dass Laumann dann die Übergangsfrist, um für jeden Ausbildungskurs entsprechende studierte Pflegepädagogen einstellen zu können, auf nur fünf Jahre reduziert habe. „Wo bleibt da der gesunde Menschenverstand?“, fragte Wüllscheidt deswegen schon im Jahr 2021. Damals musste der VDAB in Gelsenkirchen laut der Grünen-Politikerin schon einmal Kurse aufgrund des Mangels an Pflegepädagogen absagen, wie auch die Bezirksregierung auf Nachfrage noch einmal bestätigte.

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Dass dies nun erneut passiert ist, sei nicht weniger als ein „Desaster“, so Wüllscheidt, die als Pflegesachverständige arbeitet und früher selbst eine Pflegeschule geleitet hat. Sie wünscht sich von der NRW-Regierung, an der jetzt neben der CDU auch ihre Partei beteiligt ist, die Übergangsfrist bis 2029 auszuweiten und die Studienplätze im pflegepädgogischen Bereich weiter auszubauen.

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Ein Massenphänomen ist es nicht, dass aufgrund der gesetzlichen Lage auch Fachseminare abgesagt werden müssen – zumindest nicht im Zuständigkeitsbereich der Bezirksregierung Münster. „Es ist nicht so, dass das häufig stattfindet, dass Lehrgänge kurzfristig nicht stattfinden können“, sagt Sprecher Andreas Winnemöller. Durchaus sei es aber so, dass der Lehrermangel in diesem Bereich ein „gravierendes Problem“ darstelle. „Da ist bei den Schulen bei der Planung Weitsicht gefragt.“

Immerhin: Das Kirchliche Bildungszentrums für Gesundheitsberufe im Revier (KBG) konnte noch zwölf der 75 betroffenen angehenden Azubis einen Ausbildungsplatz anbieten, wie es seitens der Stadt heißt. Ingrid Wüllscheidt will die abgesagte Pflegekurse zudem bei der Kommunalen Konferenz Alter und Pflege in Gelsenkirchen am Dienstag, 15. November, einbringen, wo dringliche Pflegethemen aus der Stadt besprochen werden. Und die Pflegeschule selbst? Sie muss schauen, dass sie bis nächstes Jahr genug qualifizierte Lehrkräfte findet, um zumindest im nächsten Jahr nach zweijähriger Pause alle geplanten Lehrgänge anbieten zu können.