Gelsenkirchen. Ideen für die Zukunft der Gelsenkirchener City gibt es viele. Aber was wäre wirklich wichtig? Diese ungewöhnlichen Antworten hat ein Professor.

Während der dauerkriselnde Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof tief in die roten Zahlen gerutscht ist und somit auch die Situation beim Kaufhof in Gelsenkirchen immer angespannter wird, ist wohl längst überdeutlich: Die Zukunft der Innenstädte gehört nicht den großen Warenhäusern, die Zeiten der reinen Einkaufsstraßen sind vorbei. Vielmehr drehen sich Zukunftsvisionen zu den Stadtzentren um grüne Flaniermeilen mit Eventcharakter. Doch für Frank Eckardt, gebürtiger Gelsenkirchener und Professor für Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, gehört noch viel mehr dazu.

„Die Innenstadt muss ein bedeutungsvoller Ort sein, es reicht nicht nur, hier im Schönen spazieren zu können“, betonte der Stadtentwicklungsexperte bei einer Podiumsdiskussion der Grünen zur Zukunft der City – und ließ zugleich kein gutes Haar an Veranstaltungen wie dem Pop-Up-Biergarten oder Feierabendmarkt auf dem Heinrich-König-Platz.

Grundsätzlich sei die nachhaltige Wirkung derartiger Veranstaltungen für die Aufwertung der City und Identifizierung mit ihr überschaubar. „Eine solche ,Eventisierung’ hat keinen positiven Effekt und keinen Effekt auf die sozialen Probleme, die die Innenstadt prägen.“ Diese Probleme – also etwa die hohe Armutsbetroffenheit der rund 9000 City-Anwohner – müsse man unbedingt mitdenken, wenn man über die Altstadt der Zukunft nachdenkt.

Stadtforscher über Gelsenkirchen: „Man braucht ein deutliches Symbol für den Aufbruch“

„Viele Menschen, die hier leben, haben keine beruflichen Perspektiven“, so Eckardt. Die City der Zukunft müsse auch eine Zukunft für diese Leute eröffnen – etwa, indem man sie in die Textilproduktion einbindet. „Es kann nicht sein“, gab Eckardt ein markantes Beispiel, „dass ein Verein wie Schalke alle Merchandise-Produkte in China produzieren lässt, obwohl auch Frauen hier das blauweiße Trikot nähen könnten – stattdessen aber arbeitslos sind.“ Insbesondere die Textilbranche sei ein Bereich, indem man gerade Menschen „mit einem relativ geringen Ausbildungsniveau“ erreichen könne, etwa Frauen von ärmeren, migrantischen Familien, „die ohnehin nähen können, weil sie es bereits für die Familie tun“.

Diskutierten im Grünen Zentrum über die Zukunft der Gelsenkirchener Innenstadt (v.li.): Irja Hönekopp (Leiterin der Koordinierungsstelle Stadterneuerung in Gelsenkirchen), Adrianna Gorczyk (Moderatorin/Fraktionschefin der Grünen in Gelsenkirchen) und Prof. Frank Eckardt (Professor für Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar).
Diskutierten im Grünen Zentrum über die Zukunft der Gelsenkirchener Innenstadt (v.li.): Irja Hönekopp (Leiterin der Koordinierungsstelle Stadterneuerung in Gelsenkirchen), Adrianna Gorczyk (Moderatorin/Fraktionschefin der Grünen in Gelsenkirchen) und Prof. Frank Eckardt (Professor für Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar). © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Damit eine „sichtbare, neue Ökonomie“ in der Innenstadt entsteht, hält der Stadtforscher zudem die Ansiedlung von Ausbildungsbetrieben für wichtig, die auf Kreislaufwirtschaft oder erneuerbare Energien setzen. „Man müsste einen Neuanfang in der Innenstadt initiieren, mit handwerklichen Unternehmen“, glaubt Eckardt. „Kleine Betriebe, die aber eine große Ausstrahlungskraft haben.“ Man brauche, so Eckardt, ein „deutliches Symbol für den Aufbruch“. Denn das sei die Innenstadt auch: Ein symbolträchtiger Ort für die Gesamtstadt. Wenn hier etwas Positives entstehe, könne dies „nach außen wirken und das Image der gesamten Stadt verbessern.“

Experte: Bei der Zukunft der City lieber kleinteiliger denken, statt große Versprechen zu machen

Bei all diesen Vorschlägen warnte Frank Eckardt aber auch vor zu großen Erwartungen. „Es wird nicht klappen, die komplette Einkaufsstraße neu zu definieren“, machte er im Grünen Zentrum deutlich. Man müsse sich auf kleine Straßenabschnitte fokussieren. „Die wenigen Ressourcen, die man hier in Gelsenkirchen hat, darf man nicht nutzen, um große Pläne zu initiieren. Das Schlimmste wäre, große Versprechen zu machen.“ Man müsse kleine Strukturen aufbauen und eben kleine Betriebe ansiedeln, die Zukunftsbranchen vertreten.

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Von solchen Anregungen solle sich aber nicht nur die Stadtverwaltung angesprochen fühlen, die bei der Grünen-Diskussion von Irja Hönekopp, Leiterin der Koordinierungsstelle Stadterneuerung in Gelsenkirchen, vertreten wurde. „Ich erwarte nicht, dass ein Stadtplanungsamt das alles tut“, sagte Eckardt. „Wir brauchen eine Koalition von engagierten Leuten, die hier aktiv werden wollen. Und es braucht politischen Willen.“

Gelsenkirchen fokussiert sich bei Stadterneuerung in der City künftig auf den Osten

Hönekopp, die vor ihrer Zeit in Gelsenkirchen in Herten sowie in einem Stadtplanungsbüro in Madrid gearbeitet hat, stimmte Eckardt in mehreren Punkten zu: Man werde künftig kleinere Einzelhandelsbereiche haben, müsse sicher sozialer, wohnungsorientierter, grüner werden und sich mehr mit Fragen wie Platzgestaltung, Erholung und Spielen auseinandersetzen. „Wir müssen überlegen: Wie kann man die Innenstadt diversifizieren?“, fasste es Hönekopp zusammen. „Inhaltliche Fragezeichen“ habe sie jedoch bei Eckardts Vorschlag, symbolträchtige Wirtschaftskraft durch die Ansiedlung kleinerer Betriebe, die auf Kreislaufwirtschaft oder Nischenhandwerk setzen, zu erzeugen.

Gemessen an dem Spielraum, den die Stadt durch Fördergelder erhält, wird sie diese Zukunftsfragen jetzt erst einmal nur verstärkt auf den City-Ost im Bereich Weberstraße/Ringstraße fokussieren. Dort soll es mit der Stadterneuerung City weitergehen.

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