Gelsenkirchen. Wenige Ukrainer kommen derzeit nach Gelsenkirchen. Doch bei anderen Asylbewerbern steigen die Zahlen. Wo die Stadt an ihre Grenzen stößt.

  • Herkunftsländer, Abschiebungen, Integration: Sozialdezernentin Andrea Henze informiert über das aktuelle Fluchtgeschehen und die Folgen für Gelsenkirchen.
  • Henze zufolge kommen aktuell recht wenig Ukrainer nach Gelsenkirchen, doch der zuletzt stark gestiegene Zuzug aus Balkan-Ländern bereitet ihr Sorgen.
  • Denn die Stadt stößt in vielen Bereichen bereits an ihre Grenzen, beispielsweise was Sprachkurse oder Kita-Plätze angeht. Henze hofft auf finanzielle Entlastung durch Bund und Land.

Weder werden der Stadt Gelsenkirchen derzeit viele Flüchtlinge aus der Ukraine zugewiesen noch finden viele Menschen aus dem Kriegsland auf Eigeninitiative ihren Weg in die Stadt: „Der Zuzug aus der Ukraine ist derzeit moderat“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze, die jedoch zugleich betont: „Aber wenn die Flüchtlingszahlen insgesamt weiter steigen, stoßen wir an unsere Grenzen.“ Und sie steigen bereits: Denn Henze betrachtet zurzeit „mit Sorge“, dass zusätzlich wieder vermehrt Menschen aus Balkan-Ländern wie Albanien, Kosovo, Nordmazedonien oder Serbien einen (in der Regel nicht von Erfolg gekrönten) Asylantrag in Gelsenkirchen stellen.

Aus dem Balkan sind der Sozialdezernentin zufolge seit dem 1. Juli bis zum 1. Oktober insgesamt 137 Menschen aufgenommen worden. Nicht berücksichtigt sind dabei Menschen aus den südosteuropäischen EU-Ländern Rumänien oder Bulgarien, die über die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Gelsenkirchen gelangen und deshalb auch nicht bei den Asylbehörden registriert werden. Aufgrund der geringen Bleibeperspektiven für die Menschen aus dem Balkan wird auch überwiegend in jene Länder abgeschoben. 66 Abschiebungen hat es 2022 bislang insgesamt in Gelsenkirchen gegeben, 84 im vergangenen Jahr.

Diese Menschen stellen aktuell Asylanträge in Gelsenkirchen

Gründe für den aktuell „auffälligen Zuzug“ aus Südosteuropa sind Henze nicht bekannt; auf EU-Ebene haben sich die Innenminister zuletzt vielmehr kritisch über den wachsenden Migrationsstrom aus nichteuropäischen Ländern über die Westbalkanroute ausgetauscht, statt über Flüchtlinge aus dem Westbalkan selbst. Kern der Kritik ist dabei die Visapolitik Serbiens, das die visafreie Einreise aus jenen Staaten erlaubt, die den Kosovo nicht anerkennen.

Andrea Henze, Sozialdezernentin in Gelsenkirchen: „Wenn die Flüchtlingszahlen insgesamt weiter steigen, stoßen wir an unsere Grenzen.“
Andrea Henze, Sozialdezernentin in Gelsenkirchen: „Wenn die Flüchtlingszahlen insgesamt weiter steigen, stoßen wir an unsere Grenzen.“ © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Die Asylantragsteller aus dem Balkan machen einen großen Teil der Gruppe aus, die in Gelsenkirchen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Die meisten dieser derzeit insgesamt 623 Personen kommen nach Angaben der Stadt aus dem Irak (107), aber Zuzug ist auch aus der Türkei (87), Afghanistan (85), Syrien (80), Iran (38) und Russland (32) zu verzeichnen. Um Asylbewerber, die infolge der russischen Mobilmachung Schutz in Deutschland gesucht haben, handele es sich bei den russischen Flüchtlingen jedoch (noch) nicht, so Andrea Henze.

Arbeitsvermittlung für Ukrainer in Gelsenkirchen läuft erst an – Sprachkurse sind ein Problem

Hinzukommen die Menschen aus der Ukraine, die jedoch nicht mehr als Asylbewerber eingestuft werden, sondern eine Arbeitserlaubnis haben und regulär Leistungen vom Jobcenter beziehen. Von den insgesamt 2265 Ukrainern, die in Gelsenkirchen registriert sind, gelten 1304 als erwerbsfähig. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist laut Andrea Henze jedoch gerade erst angelaufen, nur punktuell habe bereits eine Stelle vermittelt werden können.

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Zwar würden die Ukrainer stark durch ihre „Eigenständigkeit“ auffallen, Henze zufolge geht es bei ihnen etwa mit dem Einreichen von Anträgen sehr schnell. Aber eine große Hürde bei der Job-Vermittlung seien die Sprachbarrieren. „Die Sprachkenntnisse sind nun einmal die Basis für alles“, so die Beigeordnete. Nur sei die Stadt mittlerweile an ihren Grenzen angekommen, was die Sprachkurse angeht. „Die Bildungsträger finden einfach keine Dozenten“, bedauert Henze.

Ebenfalls herausfordernd ist der Schulbesuch der ukrainischen Kinder. „Uns gelingt es aber weiterhin, innerhalb von 14 Tagen einen Schulbesuch für jedes Kind sicherzustellen“, sagt die Sozialdezernentin. Mittlerweile werden nach ihren Angaben etwa 510 Kinder aus der Ukraine in Gelsenkirchener Schulklassen unterrichtet. In Kitas werden mittlerweile rund 50 ukrainische Kinder versorgt. Viel mehr wird laut Henze auch nicht möglich sein. „Auch mit Blick auf die Kitas stoßen wir an unsere Grenzen.“

Flüchtlinge: Stadt Gelsenkirchen hofft auf vollständige Erstattung der Kosten

Wie viel Gelsenkirchen bei der Integration und Versorgung von Flüchtlingen noch leisten kann, hänge vor allem auch mit der Frage zusammen, wie viel Kosten die Stadt noch erstattet bekommt. Die Kommunen sind derzeit unruhig, weil viele Kostenfragen noch nicht geklärt sind. „Für uns ist vor allem auch wichtig, dass die Vorhaltekosten vom Bund und Land getragen werden“, sagt Henze und meint damit unter anderem die Kosten für die Emscher-Lippe-Halle, in der aktuell zwar keine Flüchtlinge mehr untergebracht sind – die jedoch als „Joker“ für etwaigen Massenzuzug in den kalten Wintermonaten noch immer für die Unterbringung bereitsteht.

Aktiv als große Notunterkunft gebraucht wird aktuell nur noch die einstige Hauptschule an der Mehringstraße, wo derzeit 80 von 300 Plätzen belegt sind. Die kurzfristig zu Flüchtlingsunterkünften umfunktionierten Sporthallen am Wildenbruchplatz und an der Breddestraße sind mittlerweile wieder für den Schul- und Vereinssport geöffnet. Für den Notfall jedoch wurde laut Henze inzwischen auch eine Turnhalle an der früheren Mehringschule ertüchtigt. „Diese musste erst hergerichtet werden“, sagt Henze auf die Frage, warum man diese nicht früher aktiviert hat, um den Schulsport anderswo nicht unterbrechen zu müssen.

Alleinstellungsmerkmal des Flüchtlingsmanagements in Gelsenkirchen

Als ein Alleinstellungsmerkmal für die Unterbringung von Flüchtlingen in Gelsenkirchen beschreibt Henze die sogenannten Projektwohnungen. Das sind Wohngemeinschaften, welche die Stadt selbst angemietet hat. 187 ukrainische Flüchtlinge habe man auf diese Weise unterbringen können. „Viele Ukrainer hatten signalisiert, dass sie schnell wieder zurück in ihre Heimat wollen. Die Projektwohnungen ermöglichen die Unterbringung in normalen Wohnverhältnissen, ohne dass ein Mietvertrag unterschrieben werden muss“, erläutert die Sozialdezernentin. Die Projektwohnungen könnten aber auch in ein ordentliches Mietverhältnis überführt werden, wenn eine ukrainische Familie feststellt: Wir fühlen uns wohl und wollen doch in Deutschland bleiben. „So ein Angebot“, betont Henze, „ist mir aus anderen Kommunen nicht bekannt.“

185 weiteren ukrainischen Flüchtlingen konnte eine reguläre Wohnung vermittelt werden. Alle restlichen haben sich laut Henze selbst eine Wohnung gesucht.

Ein Drittel sind Männer

Es kommen zwar deutlich mehr ukrainische Frauen nach Gelsenkirchen, allerdings sind immerhin ein Drittel der erwachsenen Ukrainer Männer.

Im Alter von 18 bis 25 Jahren sind beispielsweise knapp 35 Prozent der Flüchtlinge männlich, knapp 30 Prozent sind es in der Altersstufe 25 bis 65 Jahren und etwa 28 Prozent im Alter über 65 Jahren.

Insgesamt sind 854 der ukrainischen Flüchtlinge in Gelsenkirchen männlich, 1405 sind weiblich.