Gelsenkirchen. In der dramatischen Personalnot rücken Gelsenkirchener Schulen zusammen. Wie Gymnasien an Grundschulen jetzt Sprachförderung betreiben.
In der Not rückt man zusammen. Genau das haben Gelsenkirchener Schulen jetzt getan. Bei einer Dienstbesprechung der Gymnasialleiter beschlossen diese angesichts des dramatischen Lehrkräftemangels an Grundschulen: Wir wollen helfen, freiwillig, über die von der Schulaufsicht regulierten Abordnungen von Vorgriff-Stellen für G9 an Gymnasien hinaus. Tatsächlich machen alle Gymnasien mit, ordnen in diesem Schuljahr Lehrkräfte stundenweise an Grundschulen ab.
Schulleiter geht mit gutem Beispiel voran
Michael Frey, Schulleiter am Ricarda-Huch-Gymnasium (RHG), wollte aber nicht einfach Leute aus seinem Team abordnen, sondern selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Als Musiklehrer und Leiter einer Talentschule mit musikalischem Schwerpunkt lag es nahe, ein Angebot in dem Bereich zu machen. Zumal gerade der Musikunterricht neben Kunst und Religion auf der Streichliste der Schulaufsicht stand, weil Deutsch, Mathe und Co trotz Lehrermangels nicht ausfallen sollen.
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An der Grundschule Georgstraße fand Frey in Schulleiter Christian Spiegel schnell einen Gleichgesinnten; Spiegel ist ebenfalls Musiklehrer und zudem Sonderpädagoge. Gemeinsam entstand die Idee, ein Musicalprojekt mit den Viertklässlern zu starten, an dessen Ende eine Aufführung steht. Gauß- und Grillo-Gymnasium sind mit im Boot, auch die Sternschule und die Martinschule sind mit je vier Klassen aus dritten und vierten Jahrgängen dabei.
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Und so sitzt der Oberstudiendirektor Frey vier Stunden je Woche an der Georgstraße am E-Piano, stampft beim Warm-Singen mit den Kindern kräftig auf den Boden, klatscht mit, singt mit und staunt erfreut über die Begeisterungsfähigkeit und Lernfortschritte seiner Sänger. Neben Freys RHG-Kollegin Susetta Rose, die ebenfalls eine Klasse hier beim Musical begleitet, ist auch die Grundschul-Klassenlehrerin Brittannia Hammond bei der Probe in der Turnhalle dabei. Sie hat mit den Kindern im Deutschunterricht schon die Texte besprochen, die Bedeutung der Reime erklärt. Die Töne treffen die Kinder schon erstaunlich gut. Und auch die gesungenen Texte sind verständlich: „Was bewegt im Dunkeln – sich mit Augenfunkeln – was sieht aus wie Seide – und ist bleich wie Kreide...“
Musik als Instrument der Sprachförderung
„Musik ist sprachsensibler Förderunterricht“ erklärt Frey. Die Kinder üben erst die Texte zu sprechen, dann sie zu verstehen und dann zu singen. „Das ist automatisch sprachfördernd“, ist er überzeugt. Und der Sonderpädagoge Spiegel, an dessen Schule die meisten Kinder Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, sieht das ähnlich. Das Musical, aus dem die Klasse drei Lieder zu singen lernt, ist „Ritter Rost und das Gespenst“. Sprachspiele und komplizierte Rap-Texte darin haben es in sich. „Wir machen beim korrekten Sprechen des Raps, der eine Woche lang geübt wird, einen Wettbewerb, wer es am schnellsten fehlerfrei kann, das spornt an.“ Warm machen sich die Rapper dann jeweils mit Zungenbrechern wie „Fischers Fritz fisch frische Fische“.
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Die geplante Aufführung des Musicals mit allen Kindern der drei Grundschulen ist für die Kinder ein großer Ansporn, sind die Pädagogen überzeugt. An die 300 Kinder wären das, die sich bei den Liedern abwechseln, aber auch gemeinsam singen sollen. Ein Mammut-Projekt, „an das die Kinder sich garantiert noch lange erinnern werden“, freut sich auch Christian Spiegel.
Für die beiden Schulleiter ist es eine Win-Win-Situation. Die Kinder haben Spaß, werden motiviert und gefördert. Das ist auch eine gute Vorbereitung der Viertklässler auf die weiterführende Schule. „Wir möchten uns als Brennpunktschule nicht damit zufriedengeben, unseren Kindern nur Förder- oder Hauptschulempfehlungen zu geben, nur weil sie sprachlich noch nicht perfekt sind“, sagt Spiegel. Und Michael Frey nimmt „gerne intelligente Kinder an unserer Schule auf. Das mit der Sprache kriegen wir bei Bedarf hin“, so sein Versprechen.
79 Wochenstunden mehr mit Lehrkräften von Gymnasien und Weiterbildungskolleg
Ein sehr willkommener Nebeneffekt der Kooperation ist übrigens auch, dass die Gymnasien nun nachmittags die Turnhalle der Georgstraße nutzen dürfen. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist die Wildenbruch-Halle gesperrt, die sonst Innenstadt-Gymnasien als Sportstätte dient. Dort sind nun Flüchtlinge untergebracht.
Im Rahmen der freiwilligen Unterstützungsaktion ordneten alle acht Gymnasien und das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe zusammen 17 Kolleginnen mit insgesamt 79 Wochenstunden ab.