Gelsenkirchen. Kein gutes Haar hatte Bastian Bielendorfer in einem Interview an seiner Heimatstadt Gelsenkirchen gelassen. Jetzt melden sich die Leser zu Wort.

Bastian Bielendorfer stammt zwar aus Gelsenkirchen – in einem Podcast-Interview ließ der mittlerweile in Köln lebende Comedian und Bestsellerautor („Lehrerkind“) aber zuletzt kein gutes Haar an seiner Heimatstadt (wir berichteten). „Desaströses Stadtbild“, „Ghettoisierung“, „das allerletzte Schlusslicht in allem“ – er könne sich nicht vorstellen, jemals wieder in Gelsenkirchen zu leben: Seine Kritik war harsch und hat bei den WAZ-Leserinnen und -Lesern offenbar einen Nerv getroffen.

Über 150 Zuschriften erreichten diese Redaktion, per E-Mail oder über die sozialen Medien. Während viele Leserinnen und Leser Bastian Bielendorfer in der Sache recht gaben, gab es aber auch viele kritische Stimmen.

„Es muss in Gelsenkirchen etwas passieren“

„Ich bin 1934 in GE geboren und lebe heute noch zufrieden und glücklich hier“, schreibt etwa Alfred Siemientkowski. „Mit ,radikalem Neustart’ haben die Bürger dieser Stadt nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als alles in Schutt und Asche lag, GE wieder aufgebaut. Ich denke mir, dass GE dich nicht vermissen wird“, wendet er sich direkt an Bielendorfer. Ähnlich argumentiert Dietmar-Lucas Kopitzky. „Es mag ja sein, dass Gelsenkirchen für Bastian Bielendorfer keine Plattform und Stadt zum Leben ist. Jedoch hat er nicht das Recht, so negativ und herablassend über GE zu schreiben und sich zu äußern. Das Ruhrgebiet ist so facettenreich und bietet Freizeit, Kultur und jede Menge Grün. Da muss man im geheiligten Köln sehr lange für suchen.“

Allerdings findet Bielendorfer auch Unterstützung für seine Kritik. David Graß findet: „Es muss in Gelsenkirchen etwas passieren“ – gegen die Vermüllung, mehr gegen Schrottimmobilien, gegen Scheinfirmen, gegen Jugendarbeitslosigkeit, gegen Gewalt, gegen Perspektivlosigkeit. Diese Stadt habe ein „unfassbares Potenzial, das einfach nicht ausgespielt wird“, sagt er. Auch Gisela Goddenhoff stimmt ihm zu. „Gut geschrieben, lieber Basti“, schreibt sie bei Instagram, „genau so sieht es hier aus. Wäre ich keine 69 Jahre alt, würde ich hier auch nicht mehr leben.“

Kritik am Umgang mit Buer: „Vom ,kleinen Münster’ zu ,Klein-Chicago’“

Andreas Richter sieht die Schuld für den vermeintlichen Niedergang im Hans-Sachs-Haus. „Tatsächlich hat es die Politik geschafft, den einzigen und einstigen Leuchtturm Buer mit seinen ehemals wunderbaren anliegenden Vierteln und Stadtteilen derart zu schwächen, dass das ,kleine Münster’ nun zumindest in den Abendstunden zu ,Klein-Chicago’ wird“, schreibt er. „Kein Unternehmer oder Gourmet würde sein Filetstück derart vernachlässigen und auspressen. Ja, Gelsenkirchen braucht einen radikalen Neustart. Und es gibt gute Köpfe, Unternehmer und Ideen.“

Auch Andreas Czech geht mit der Politik hart ins Gericht. „Ich lebe seit 1988 in dieser Stadt, die von der Nostalgie der Vergangenheit gefangen zu sein scheint“, schreibt er. „Als Bergbau, Metallbetriebe und die Energiewirtschaft noch Tausende Arbeitsstellen schufen und stellten, blühte diese Stadt, jetzt verwelkt sie. Wieso, frage ich mich – weil die Kommunalpolitik, in sich verliebt und geblendet vom Glanz der Vergangenheit viele handwerkliche Fehler beging.“ Politik müsse die Menschen mitnehmen und eine glaubwürdige Perspektive aufzeigen. Das sieht auch Andreas Scheper so: „In Gelsenkirchen wird viel zu wenig getan, um es lebens- und liebenswerter zu machen. Wenn auf Missstände durch die Bürger aufmerksam gemacht wird, wird dies direkt durch den Stadtsprecher Martin Schulmann verharmlost.“

„Ich liebe die Direktheit und Herzlichkeit der Menschen“

„In Gelsenkirchen wurde in den vergangenen 30 Jahren alles verschlafen“, hatte Bielendorfer gesagt, und ein Leser mit dem Aliasnamen „petshh“ stimmt ihm mit seinem Kommentar auf WAZ.de weitestgehend zu. „Ich wohne Gott sei Dank nicht mehr in Gelsenkirchen und muss da nur gelegentlich hin (sehr ungern)“, schreibt er. „Ich kenne einige Verwaltungen von innen und durfte auch in die Gelsenkirchener Stadtverwaltung hereinschnuppern: Es liegt an Politik und Verwaltung, dass Gelsenkirchen auf den Hund gekommen ist.“

In vielen Zuschriften stört man sich aber auch an der Tatsache, dass der Comedian seine Kritik „von außen“ äußert, dass er schon seit einigen Jahren nicht mehr hier lebt. „Schön, dass es ihn wenigstens nicht stört, in Gelsenkirchen aufzutreten und das Geld mitzunehmen“, kritisiert Andrea Erzkamp und schickt ein Plädoyer für „ihre Stadt“ hinterher: „Auch, wenn meine Geburtsstadt an manchen Ecken und Enden nicht schön ist, liebe ich die Direktheit und die Herzlichkeit der Menschen.“

Bielendorfer soll sich „aktiv einbringen, Dinge zu verbessern“

„Mit 18 wegziehen und dann alles schlecht reden, das ist keine Kunst“, sagt auch Claudia S. „Und wenn er hier als Jugendlicher nichts unternommen hat, dann liegt’s vielleicht auch an ihm selbst.“ Noch direkter bringt es eine andere Nutzerin auf WAZ.de auf den Punkt: „Beschwert sich über Ghettoisierung, würde aber selbst da auch nicht hinziehen wollen, trägt also selbst dazu bei. Auf die Analysen des Strukturwandels von Komikern kann ich auch in Zukunft verzichten.“

„Ziemlich einseitig und typisch für einen Besucher, der mal eben hier auf ,der Durchreise’ ist“, findet Barbara Waida den Bielendorfer-Beitrag. Matthias Kraschovitz sieht das „Lehrerkind“ in der Pflicht: „Als Person des öffentlichen Lebens, die aus Gelsenkirchen kommt und um die Probleme der Stadt weiß, sollte er nicht verbal draufhauen und sich lustig machen, sondern sich aktiv einbringen, Dinge zu verbessern.“

Dass Bielendorfer Gelsenkirchen in seiner Kritik an dem „desaströsen Stadtbild“ mit Freiburg oder Regensburg vergleicht, findet Mandy „Monster“ Böhm, Deutschlands beste MMA-Kämpferin, „etwas übertrieben. „Klar gibt es Probleme in dieser Stadt, aber in meinen Augen sollte man aktiv daran arbeiten und nicht den Kopf in den Sand stecken“, schreibt die Gelsenkirchenerin auf Instagram. „Motzen bringt nix, mit anpacken und gestalten wäre geil“, findet auch Nadine vom Gelsenkirchener Modelabel „Fisch und Apfelmus“ auf Instagram. Und Leser Herbert E. bringt es am kürzesten auf den Punkt: „Pfui, Herr Bielendorfer.“