Gelsenkirchen-Ückendorf. Für mehr Sicherheit und Ordnung soll das IPA-Projekt in Gelsenkirchen sorgen. Wie unterschiedlich Polizei und Stadt die Lage einschätzen.
Vor gut einem Jahr ist das Pilotprojekt IPA in Gelsenkirchen gestartet. Zeit, eine Zwischenbilanz zur Wirkung der „Integrativen Präventivarbeit“ zu ziehen. Für Thomas Richter, Abteilungsleiter der Stadt für Sicherheit und Ordnung fällt das Resümee so aus: „Der Negativ-Verlauf des Quartiers wurde gestoppt.“ Die Polizei ist bei ihrer Bewertung durch Bezirkspolizistin Maike Möller deutlich zurückhaltender: Die Gründe: „Es fehlen valide Zahlen“, die Quartiersanlaufstelle hat mangels Fertigstellung noch nicht den Vollbetrieb aufgenommen.
Kriminalität, Lärm, illegaler Müll und Verwahrlosung, um diese und weitere Missstände kümmern sich seit Juni vergangenen Jahres Polizei, Kommunaler Ordnungsdienst und Caritas rund um den noch immer unvollendeten IPA-Sitz an der Ückendorfer Straße 138 gemeinsam. Den offiziellen Einzug feiern wollen die Partner im September oder im Oktober mit einem Tag der offenen Tür, je nachdem wie schnell die Restarbeiten erledigt werden können. Dabei geht es unter anderem um sicherheitsrelevante Dinge wie Türen für das Polizeibüro, die sowohl die schnelle Flucht ermöglichen als auch Einbrüchen und Bränden widerstehen sollen.
Gelsenkirchener SPD-Politiker Gianluca Bruno zum Umfeld an der Ückendorfer Straße: „Wenn ich da entlang jogge, bekomme ich Angst“
Thomas Richter verbucht für die Stadt jedenfalls Erfolge im Kampf, den Begleiterscheinungen der EU-Binnenwanderung etwas entgegenzusetzen. Seine Botschaft in der Sitzung der Bezirksvertretung Süd am Dienstag: „Wer viel kontrolliert, findet auch viel.“ Belegen sollen Trend und Aussage allerlei Zahlen einer Power-Point-Präsentation.
So führten die Kontrolleure bei ihren regelmäßigen Rundgängen zwischen Juni und Dezember vergangenen Jahres 67 Bürgergespräche im Quartier. Daraus resultierten 31 Beschwerden und 47 Maßnahmen, die zumeist in Ordnungswidrigkeitenverfahren mündeten. Zwischen Januar und Juni dieses Jahres reduzierte sich die Anzahl der Bürgergespräche auf 19, Beschwerden und Maßnahmen fielen zurück auf jeweils sechs.
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Der Haken an dieser Darstellung: Der Streifendienst ist nach Darstellung Richters von 14 bis 16 Uhr sowie von 16 bis 18 Uhr unterwegs. Man kann also auch fragen, von wie vielen Ärgernissen und Anliegen aus der Nachbar- und Bürgerschaft die eingesetzten Kräfte gar nichts mitbekommen. Oder eben wesentlich später. Denn nicht jeder genervte Anwohner greift zum Telefon oder benutzt die „CityApp“.
Eine Einschätzung, die augenscheinlich auch der Ückendorfer SPD-Politiker Gianluca Bruno teilt, denn der äußerte sich so nach dem Blick auf die Statistik: „Wenn ich dort entlang jogge, bekomme ich Angst. Die Streifen finden zur falschen Zeit statt. Zu den Vorfällen kommt es erst am späteren Abend, so ab 21 oder 22 Uhr.“
Stadt: Beschwerdelage geringer geworden, mehr Verstöße durch Präsenz aufgedeckt
Ergänzend dazu die weiteren angeführten Belege für eine Trendwende rund um die Ückendorfer Straße 138: Der Quartiersservice ist innerhalb eines Jahres 281 Mal auf illegal entsorgten Müll gestoßen, hat 31 Schrottfahrzeuge im öffentlichen Raum entdeckt und 104 sonstige Mängel (fehlendes oder kaputtes Straßenschild, defekte Beleuchtung etc.) erfasst. Dazu haben Kräfte zwischen dem 1. Januar und dem 31. Juli dieses Jahres 468 Mal die Depot-Container im Quartier angefahren und 129 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen illegaler Abfallentsorgung veranlasst.
Des Weiteren sind beim KOD von Juli 2021 bis Juli 2022 72 Ad-hoc-Aufträge eingegangen. Dazu zählen etwa auch Ruhestörungen oder pöbelnde Jugendliche. Komplettiert wird das Ganze durch 600 sonstige Aufträge, aus denen sich 67 Verfahren ableiteten. Im Vergleich dazu die Zahlen aus dem Zeitraum Juli 2021 bis 2022: 55 Ad-hoc-Aufträge, 575 sonstige Aufträge und 115 Verstöße. Die Stadt interpretiert das so: „Die Beschwerdelage nimmt ab, gleichzeitig registrieren wir durch die stärkere Präsenz mehr Verstöße.“
Ähnlich äußerte sich auch Sabine Wiesweg vom Caritasverband, der mit drei Fachkräften und oft begleitet von Übersetzenden Zugewanderte aufsucht, um ihnen die Regeln und Abläufe Gelsenkirchen zu erklären: „Die Beschwerdelage ist geringer geworden, die aufsuchende Arbeit hat dafür zugenommen.“
Polizei Gelsenkirchen: Zahlen geben noch keinen Aufschluss über Kriminalitätsentwicklung in Gelsenkirchen-Ückendorf nach IPA-Start
Hat sich die Lage im Kiez also beruhigt, und hat die Kriminalität abgenommen? Das ist nach Einschätzung von Bezirkspolizistin Maike Möller zumindest derzeit nicht zu sagen. „Denn es liegen noch keine aktuellen Zahlen vor“, begründet die Beamtin ihren Standpunkt. Nach der Anfang 2021 veröffentlichten jüngsten Statistik der Polizei ist die Kriminalität in Gelsenkirchen allgemein auf einem Tiefstand. „Inwieweit das auch für Ückendorf gilt und welche Rolle dabei IPA gespielt hat, lässt sich anhand der mittlerweile veralteten Zahlen gar nicht sagen“, so Möller weiter. Denn: Die Polizeistatistik bildet die registrierten Fälle aus 2020 ab. IPA startete aber erst Mitte 2021.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Bezirksdienst der Polizei, dabei handelt es sich vornehmlich um „lebensältere Kräfte“, vor Ort keinen 24-Stunden-Dienst schiebt. Nach Dienstschluss fällt die Zuständigkeit in die Hände des Wach- und Wechseldienstes, also beispielsweise in die der Kollegen von der nahen Polizeiwache Wildenbruchstraße. Welchen Effekt IPA hat, lässt sich Möller zufolge also erst sagen, man die Räumlichkeiten vollständig bezogen hat und es feste Öffnungszeiten gibt. Präsent im Büro sind die Partner aktuell nur „mittwochs von 15 bis 17 Uhr. Donnerstags finden vorwiegend in den Nachmittagsstunden die gemeinsamen Streifen statt.“