Keine rosige Zukunft ohne Altschuldenschnitt für Gelsenkirchen: Nur, wann kommt der große Befreiungsschlag endlich? Und wie müsste er aussehen?
Wer über die Zukunft Gelsenkirchens spricht, der kommt an den Lasten der Vergangenheit nicht vorbei: Mittlerweile ist es ein Reflex von örtlichen Politikern jeglicher Couleur, eine Lösung von Gelsenkirchens Altschuldenproblematik zu fordern. Es scheint ganz so, als wäre jegliches Gedankenspiel über eine rosige Zukunft der Stadt unerheblich, solange nicht endlich der vermeintliche große Befreiungsschlag per Altschuldenschnitt kommt. Das meinen nicht nur die Interessenvertreter der mit etwa 600 Millionen Euro an Kassenkrediten belasteten Stadt, sondern auch neutrale Beobachter. Wie zum Beispiel Hanno Kempermann.
Der Volkswirt ist Geschäftsführer der IW Consult, die das Regionalranking zur wirtschaftlichen Entwicklung deutscher Städte und Landkreise herausgibt. Gelsenkirchen ist hier – mal wieder – auf dem allerletzten Platz gelandet. Auch Kempermann ist der Meinung: Aus eigener Kraft wird es Gelsenkirchen sicher nicht nach oben schaffen. „Die Altschuldenproblematik ist ein Riesen-Thema“, sagt er. Der Stadt seien wegen des andauernden Haushaltsnotstands nun einmal die Hände gebunden. Der Schuldenschnitt müsse also her – aber „intelligent gelöst“, wie Kempermann betont. Doch dazu gleich.
Reicht das Geld noch für den Schuldenschnitt?
Die Entlastung der verschuldeten Kommunen schien vor etwa drei Jahren eigentlich zum Greifen nahe. Der damalige SPD-Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz warb für eine „Stunde null“ für die Kommunen.
Doch der Koalitionspartner von der Union war von der Idee nicht begeistert. Und dann kam auch noch Corona – der Bund brauchte die Milliarden für Rettungspakete. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat den Altschuldenfonds nun zwar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Aber doch fragt man sich, wie realistisch ist die baldige Entlastung von Städten wie Gelsenkirchen noch – wo Finanzminister Christian Lindner (FDP) nun die Rückkehr zur Schuldenbremse angekündigt hat, kurz nachdem Milliarden für weitere Entlastungspakete angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs geschnürt wurden.
Kluge Investitionen nach dem Schuldenschnitt
Markus Töns (SPD), direkt gewählter Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen, hat die Sorge, dass nun zu viel Zeit verspielt wird – Zeit, die man angesichts der nun steigenden Zinsen, welche die Kredite zu einem noch größeren Klotz werden lassen, nicht hat. „Bundeskanzler Scholz hat in der letzten Legislaturperiode einen Vorschlag zur Übernahme der Altschulden gemacht. Die ausgestreckte Hand wurde von der Landesregierung NRW nicht angenommen“, sagt Töns. Bundesfinanzminister Lindner sei nun in der Pflicht, dieses Angebot zu erneuern – und die voraussichtliche neue Landesregierung aus CDU und Grünen müsse nun endlich auch ihren Teil beitragen. „Eine weitere Blockade aus NRW ist nicht mehr akzeptabel.“
Mit ihr ist immerhin nicht zu rechnen: CDU und Grüne haben bereits im Sondierungspapier festgehalten, „eine Lösung für den Abbau der kommunalen Altschulden vereinbaren zu wollen“. Und das noch in diesem Jahr.
Nur wie soll diese aussehen? IW-Experte Hanno Kempermann findet: „Jede Stadt müsste einen Businessplan schreiben und erläutern, wie man tragfähig werden will.“ Diese Ziele, diese „Roadmaps“, müssten dann genau evaluiert werden. Denn die Gefahr sei, dass Städte wie Gelsenkirchen nach der „Stunde null“ direkt wieder neue Schulden anhäufen. „Das ist sicher auch eine Haltungsfrage“, meint Kempermann. „Wenn eine Stadt seit Jahren unter Finanzproblemen leidet und dann plötzlich Zugriff auf Geld hat, dann gibt es natürlich das Risiko, dass man es an den falschen Ecken investiert.“ Es sei deswegen wichtig, dass entlastete Kommunen dann auch ganz klar auf Wertschöpfung setzen – und dies nachweisen.
Wirtschaftlich in der Zeit nach einem Schuldenschnitt zu agieren ist die eine Sache. Welche Aufgaben an Kommunen übertragen werden, ist eine andere. Denn auch Kempermann merkt an: „Auf Gelsenkirchen wurden zahlreiche soziale Aufgaben übertragen, die Sozialkosten würden bleiben.“
529,5 Millionen gibt Gelsenkirchen alleine für Transferaufwendungen aus – also etwa Kosten für Unterkunft und Heizung, die für die vielen Hartz-IV-Empfänger anfallen. Zwar beteiligt sich der Bund aktuell zu 68,5 Prozent an den Unterkunftskosten, dennoch bleibt der Beitrag, den Gelsenkirchen zu stemmen hat, groß.
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Klar ist da, dass die Stadtspitze nicht nur seit Jahren vehement den Schuldenschnitt fordert, sondern auch eine Neuaufstellung der Kommunalfinanzen. „Wir haben in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben dazubekommen“, wird Stadtkämmerer Luidger Wolterhoff nicht müde, zu betonen– und nennt als Beispiel die Kosten bei der Versorgung und Integration von Geflüchteten, „die nicht vollständig erstattet wurden.“ Ein Schuldenschnitt müsse dringend her – aber dabei müsse auch die Frage beantwortet werden, welche Lasten eine Stadt wie Gelsenkirchen künftig zu tragen hat. Wohin GEht’s, Gelsenkirchen? Als Packesel wohl weiterhin nicht besonders weit.