Gelsenkirchen. Ein Gutachten zur Optimierung der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung liegt vor. Warum mit den Ideen keine offenen Türen eingerannt werden.

Vorschlag für Neuaufstellung: Gelsenkirchens Wirtschaftsförderung sollte von der Stadtverwaltung abgekoppelt werden und privatrechtlich als GmbH umstrukturiert werden. Außerdem sollte die Wirtschaftsförderung einen ordentlichen Personalzuwachs bekommen und zur Bewältigung neuer Aufgaben von derzeit 21 auf 39,5 Stellen anwachsen. Das sind die Kernpunkte eines Gutachtens der Strategieberatung „Modul drei“ zur Zukunft der Abteilung, die jüngst öffentlich vorgestellt wurde.

„Es gibt keinen Grund, warum Gelsenkirchen als Wirtschaftsstandort nicht auch als erste Liga wahrgenommen werden sollte“, bemühte Gutachter Prof. Stefan Lennardt einen Vergleich zum Schalke-Aufstieg bei der Vorstellung des 130-seitigen Papiers im Wirtschaftsausschuss. Dass ein „schwungvoller Neustart“ in der Organisationsform als GmbH am besten gelingen könne, begründete er unter anderem mit „flacheren Hierarchien“ und „höherer Selbstständigkeit“ sowie mit „agilerem Arbeiten“ und höherer Attraktivität für „brillante Köpfe“.

Empfehlung: Wirtschaftsförderung Gelsenkirchen soll sich von „starrer Struktur“ lösen

Eine Wirtschaftsförderung als Referat in der Stadtverwaltung werde dagegen „immer eine vergleichsweise starre Struktur abbilden“, heißt es in dem Gutachten, das die Stadt 70.000 Euro gekostet hat. Zudem werde ein Stadtreferat „wenig produktiven Austausch“ auch von Personal ermöglichen – zumal „die Regeln von Berufsbeamtentum und Bewährungsaufstieg mindestens bei einem Teil der Mitarbeitenden“ zu beachten seien. Despektierlich gegenüber Beamten sei dies nicht gemeint, begegnete Prof. Lennardt auf Kritik der Linksfraktion. Klar sei aber nun mal, dass es in einer GmbH mehr „positive Fluktuation“, also mehr Wechsel durch junge und aufstiegswillige Köpfe im Personal, geben könne.

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Wofür eine neue Wirtschaftsförderung 18,5 neue Stellen benötigt, machte Tim Pieper von „Modul drei“ deutlich, indem er sechs Handlungsfelder für die Abteilung identifizierte: die Gewerbeflächenentwicklung, den Imagewandel durch Standort- Stadt- und Tourismusmarketing, die Schaffung von vitalen Stadtteilzentren und Ökosysteme für Gründer sowie die digitale und industrielle Transformation. In neun Teams sollen diese Bereiche abgearbeitet werden. „Aus unserer Sicht steckt in einem Ausbau der Wirtschaftsförderung auch für die Arbeitsplätze und für die Steuereinnahmen eine große Chance“, ergänzte Stefan Lennardt hierzu. „Wir sind davon überzeugt: Wenn Sie mehr Ressourcen geben, werden sie daraus auch mehr Ressourcen gewinnen.“

Kritik: Gutachten nimmt nicht auf Eigenheiten Gelsenkirchens Rücksicht

Mit einer klaren inhaltlichen Bewertung der Vorschläge hielt sich die Politik nach Vorstellung des Gutachtens weitestgehend zurück – wohl aber wurde Atilla Öner von der SPD-Fraktion nach der Sitzung deutlich und sprach gegenüber der WAZ von einem „zwar professionell aufgesetzten, aber doch recht standardisiertem Gutachten“, das „nicht auf die Eigenheiten Gelsenkirchens zugeschnitten“ sei.

So habe man beispielsweise überhaupt nicht berücksichtigt, welche Rolle Stadttöchter wie die Stadterneuerungsgesellschaft oder die Stadtmarketing GmbH bei einer künftigen Neuaufstellung der Wirtschaftsförderung noch spielen würden, so der Unternehmer. „Die steuerlichen Aspekte, die der Stadt durchaus teuer zustehen kommen können, wurden unter dem Einwand, das seien rechtliche Fragen, zudem erst gar nicht mit berücksichtigt“, ergänzte Öner mit Blick auf die anfallende Umsatzsteuer bei einer GmbH.

Neuaufstellung der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung: SPD und CDU wollen offene Fragen klären

Als Gesamtfraktion will die SPD nun erst einmal einen Fragenkatalog von der Verwaltung beantwortet sehen, bevor sie beurteilt, inwieweit man den Gutachten folgen soll. Im Kern geht es in dem Fragenkatalog darum, ob die Wirtschaftsförderung auch aus Sicht der Stadt als Abteilung in der Verwaltung tatsächlich nicht so „agil“ arbeiten kann, wie es das Gutachten empfiehlt.

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Auch beim Koalitionspartner der CDU muss man das Gutachten nun offensichtlich erst einmal sacken lassen. „Modul drei“ hätte zwar „wichtige Impulse“ zur Modernisierung der Wirtschaftsförderung geliefert, man wolle jetzt aber erst einmal die Klärung offener Fragen durch die Verwaltung abwarten, so Werner Wöll, wirtschaftspolitischer Sprecher der Union. Fest stehe jedoch bereits jetzt, dass die Wirtschaftsförderung „deutlich mehr Personal“ benötige, ergänzte der Wirtschaftsausschussvorsitzende Andreas Batzel (ebenfalls CDU). „Das zeigt auch der Blick auf andere Städte.“

Festgezurrt werden soll die Neuaufstellung der Wirtschaftsförderung möglichst zu den Haushaltsberatungen im letzten Quartal 2023. Dann wird auch ersichtlich, inwieweit Stadt und Politik dem Gutachten folgen werden.

19 Expertengespräche

Anfang 2021 wurde die Verwaltung von der Politik beauftragt, ein Gutachten zur Optimierung der Wirtschaftsförderung erstellen zu lassen.

Grundlage der Erarbeitung des Gutachtens durch „Modul drei“ waren insgesamt vier Sitzungen einer Lenkungsgruppe, an denen die Politik und die Verwaltung teilgenommen haben.

“Modul drei“ selbst hat 19 Expertengespräche, vor allem aus der Gelsenkirchener Wirtschaft (BP, Vivawest, Schalke, Bleistahl etc.), sowie eine interne Onlinebefragung der Mitarbeitenden in der Wirtschaftsförderung durchgeführt.