Gelsenkirchen. Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat Günter Scheidler eine Rente für erlittenen Missbrauch zugesprochen. Das Geld kriegt er trotzdem noch nicht.
Günter Scheidler, dessen Leiden samt schweren gesundheitlichen Folgen für ihn gerade erst vom Sozialgericht Gelsenkirchen anerkannt wurden, muss weiterhin auf eine Opferrente warten. Eine Woche vor Ablauf der Frist hat der Landschaftsverband Westfalen Lippe, der zu einer Zahlung von monatlich 300 Euro Opferrente an Günter Scheidler verurteilt worden war, Berufung vor dem Landessozialgericht Essen gegen das Urteil eingelegt. Dies bestätigte die Pressestelle des Verbandes auf Nachfrage der WAZ. Fast 60 Jahre nach Beginn des Leidensweges des 64-jährigen Gelsenkircheners durch Kinderheime und Psychiatrien beginnt der Kampf nun von neuem. [Zum Thema: Versuche an Gelsenkirchener: „Tote Kinder waren gute Kinder“]
Sozialgericht hatte keine Zweifel an seinen Schilderungen
2017 hatte Scheidler Klage eingereicht gegen den Landschaftsverband, um eine Anerkennung und auch finanzielle Entschädigung für die erlittenen Qualen zu erstreiten. Lange Jahre hatte er zuvor recherchiert und Belege für das gesammelt, was ihm widerfahren ist. Er hat ehemalige Leidensgenossen kontaktiert und in den Archiven zur Vergangenheit der psychiatrischen „Experten“ und deren rassenhygienischen und menschenverachtenden Aktivitäten in der NS-Zeit erforscht. Das Sozialgericht Gelsenkirchen hatte letztlich keine Zweifel, dass Scheidler misshandelt und missbraucht wurde mit verheerenden Langzeitfolgen für seine Gesundheit.
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Anwalt fürchtet, dass es erneut Jahre dauert bis zum Urteil
Jens-Oliver Siebold, Fachanwalt für Sozialrecht in Gelsenkirchen, der Günter Scheidler im Gelsenkirchener Verfahren vertreten und mit ihm den Anspruch auf Opferrente erstritten hat, fürchtet, dass nun weitere Jahre ins Land gehen könnten, bevor Scheidler finanzielle Unterstützung und die damit verbundene Anerkennung bekommt. Denn die Opferrente wird nicht ausgezahlt, bevor die nächste Instanz entschieden hat. Und das könne nach Siebolds Erfahrungen dauern. Er ist Experte für allgemeines Sozialrecht, aber auch speziell für Entschädigungsrecht. Er hofft, verhindern zu können, dass es sich allzu lange hinzieht. [Zum Thema: Aufklärung zum Missbrauch in Gelsenkirchen Heim gestartet]
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Günter Scheidler hat indes zahlreiche Reaktionen auf die Berichterstattung zum Gelsenkirchener Urteil erhalten. Ein Leidensgenosse aus der Heimgruppe in Gelsenkirchen etwa schreibt: „Freut mich, zu hören, dass dir für das Erlebte endlich zum Recht verholfen wurde. Ich habe immer noch die Bilder im Kopf, wie ich im Schuhkeller halb tot wegen dem Zudrücken meiner Kehle durch die Nonnen am Boden lag. Schön, dass du es geschafft hast, etwas dagegen zu tun. Ich habe immer noch nicht den Mut dazu gefunden. Bitte mach weiter!“
Überrascht hat Scheidler das Verhalten des Landschaftsverbandes übrigens nicht – er hat dafür wohl schon zu viel erlebt.