Gelsenkirchen. . Günter Scheidlers Buch über sein Martyrium im Gelsenkirchener Kinderheim schockierte. St. Augustinus will schonungslos aufklären. Ein Infoabend.

„Nie wieder weghören, wenn von Gewalt gegen Kinder und Misshandlung die Rede ist, sich damit auseinandersetzen“ – die Botschaft des Abends verkündete Wolfgang Heinberg als Sprecher der St.-Augustinus-Gruppe gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion im Stadtbauraum. Anlass dafür waren die Schilderungen des einstigen Gelsenkirchener Heimkindes Günter Scheidler in seinem Buch „Weißer Hase“.

Günter Scheidler ist bis heute besonders durch die Erlebnisse in der Psychiatrie traumatisiert. Für deren Opfer will er Renten erstreiten.
Günter Scheidler ist bis heute besonders durch die Erlebnisse in der Psychiatrie traumatisiert. Für deren Opfer will er Renten erstreiten. © Olaf Ziegler

Der heute 61-Jährige schildert darin ein Martyrium, das er als elternloses Kind zunächst in den psychiatrischen Landeskliniken im Rheinland und von 1969 bis 1972 auch im St. Josef Kinderheim in Gelsenkirchen durchleiden musste. Ein Haus, das von der katholischen Kirche getragen und von Nonnen geführt wurde. „Ich bin froh, dass Günter Scheidler den Mut hatte, sich zu melden. Dass wir dank seinen Schilderungen aufarbeiten können, was ihm auch in kirchlichen Einrichtungen angetan wurde“, schickt Probst Markus Pottbäcker voraus.

Sexualmoral schafft Hürden, die nie einzuhalten waren

Als Vorstandsmitglied des heutigen Trägers, der St. Augustinus GmbH, und als Kirchenvertreter sei ihm an einer transparenten Aufklärung der unfassbaren Vorgänge besonders gelegen, betont er.

Steffen Gaux, WAZ-Redaktionsleiter, moderierte die Informationsveranstaltung.
Steffen Gaux, WAZ-Redaktionsleiter, moderierte die Informationsveranstaltung. © Olaf Ziegler

Auf die Frage des Moderators Steffen Gaux, Redaktionsleiter der WAZ Gelsenkirchen, nach denkbaren Ursachen des Missbrauchs antwortet der Probst: „In der katholischen Kirche gibt es eine aufzubrechende, kranke Sexualmoral, die Hürden schafft, die nie einzuhalten waren. Und Priester mussten ihre Handlung Priestern beichten, die Barmherzigkeit spenden sollen. Das ist pervers.“

Es braucht niedrigschwellige Anlaufstellen für Kinder

Probst Markus Pottbäcker lobte die Offenheit des Bistum Essen. Welches Leid Günter Scheidler auch von Kirchenvertretern angetan wurde, kann der engagierte Katholik kaum fassen.
Probst Markus Pottbäcker lobte die Offenheit des Bistum Essen. Welches Leid Günter Scheidler auch von Kirchenvertretern angetan wurde, kann der engagierte Katholik kaum fassen. © Olaf Ziegler

Einigkeit herrschte darüber, dass die Überforderung von nicht ausgebildeten und nicht überprüften Betreuern wie Nonnen in Heimen ein weiterer wesentlicher Grund für die Gewaltentwicklung waren. Die allgemein geringe Wertschätzung von Kindern in jenen Jahren tat ein Übriges, wie Günter Scheidler betont. Wolfgang Schreck, Leiter des Referates Erziehung bei der Stadt, sieht auch heute keinen Grund, Entwarnung zu geben. Trotz professioneller Betreuer gelte es auch heute, den Kindern selbst in den Systemen zuzuhören, externe Überprüfungen zu sichern. „Der gefährlichste Ort für Kinder“ sei aber „die Familie“. Niedrigschwellige Anlaufstellen für Betroffene aller Altersgruppen zu schaffen, sei besonders wichtig, auch da herrschte Einigkeit.

Scheidler kämpft für Opferrenten

Überprüfung der eigenen Arbeit nannte auch Matthias Hommel, heute Leiter von St. Josef, unverzichtbar. Allerdings sei das Haus heute eine offene Einrichtung. Abschirmung nach außen und feste Ausgehzeiten zum „Hofgang“ in Gruppen, wie zu Scheidlers Zeiten, gebe es nicht. Im Gegenteil würden die Bewohner angehalten, Außenkontakte in Vereinen und mit externen Freunden zu pflegen.

Für Günter Scheidler geht der Kampf um Gerechtigkeit vor allem in Bezug auf die Geschehnisse in der Kinderpsychiatrie weiter. „Dort machten Ärzte aus der Nazizeit Experimente mit uns. Die Einrichtungen arbeiteten mit der Pharmaindustrie zusammen, verdienten mit uns Geld. Deshalb kämpfe ich für Opferrenten, wie sie in Österreich bereits gezahlt werden.“ Beruflich kümmert Günter Scheidler sich heute selbst um die Schwachen in der Gesellschaft: Im Regenbogenhaus.

Jedes Kind muss erst sieben Erwachsene fragen

Reinhild Mersch, bei der Caritas Ansprechpartnerin für alle katholischen Einrichtungen und Erziehungshilfe, drängt auf Sensibilisierung: „Es gibt Erkenntnisse, dass ein Kind sieben Mal einen Erwachsenen fragen muss bei Missbrauch, bevor ihm zugehört wird.“

Dr. Astrid Rudel, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie im Elisabeth-Krankenhaus, bat Günter Scheidler im Namen ihrer Zunft um Entschuldigung für das in der Vergangenheit geschehene Unrecht. Sie hoffe, dass er Hilfsangebote wie Traumtherapie annehmen könne und ihm geholfen werden könne.

>>>Info: Düsseldorfer Gerichtspräsident Ombudsmann

Günter Scheidlers Buch „Weißer Hase“ kann kostenfrei von der Homepage www.guenter-scheidler.de geladen werden.

Die Leitung der Ombudsstelle zur Aufklärung wurde dem unabhängigen Präsidenten des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, Dr. Andreas Heusch, übetragen.