Gelsenkirchen. Schock-Diagnose: Lungenkrebs. Zigaretten waren 50 Jahre die Begleiter von Bäckermeister Wilhelm Lensmann. Wie der 70-Jährige sein Leben umwarf.

Ohne die „Selbstgedrehte“ war ein Leben für Bäckermeister Wilhelm Lensmann undenkbar – geschlagene fünf Jahrzehnte lang. Das Schönste für ihn war nach Feierabend eine Zigarette unter der wohlig-warmen Dusche. Bis eine Schock-Diagnose im Sommer 2019 das Leben des heute 70-Jährigen völlig auf den Kopf stellte: Lungenkrebs.

Patient Wilhelm Lensmann (rechts) und Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie) vom Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer. Für den 70-Jährigen gab es fünf Jahrzehnte lang nach Feierabend nichts Schöneres als eine Zigarette unter der warmen Dusche.
Patient Wilhelm Lensmann (rechts) und Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie) vom Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer. Für den 70-Jährigen gab es fünf Jahrzehnte lang nach Feierabend nichts Schöneres als eine Zigarette unter der warmen Dusche. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Der „gnadenlose Einschlag“ traf Wilhelm Lensmann am 2. August 2019 völlig unvorbereitet. Das weiß der 70-Jährige noch ganz genau. „Ich lag im Krankenbett und hab noch darüber nachgedacht, wie ich trotz eines gebrochenen Beines möglichst schnell nach draußen in den Garten des Bergmannsheils komme zum Rauchen“, blickt der Bäckermeister zurück. Er hatte großen „Schmacht“ nach einem Lungenbrötchen.

Am 15. Juni 2019 hatte Lensmann sich nach 54 Jahren am Ofen in der Backstube aus dem Handwerksleben zurückgezogen und genoss noch recht frisch den Ruhestand. Mit seiner Frau Regina machte er an diesem schönen Sommertag einen Spaziergang und kurz Halt an einer Eisdiele, um ein paar dieser Leckereien zu kaufen. Er stürzte auf einer Treppenstufe, brach sich ein Bein und landete im Bueraner Krankenhaus.

Nach Krebsdiagnose: Gelsenkirchener will bei diesem Kampf als Sieger vom Platz gehen

Der Sturz war so heftig, dass nicht nur das verletzte Bein durchleuchtet wurde, sondern auch der restliche Körper. Trauma-CT sagen dazu die Ärzte. Die Computertomographie war eindeutig: Rechts und links in der Lunge hatten sich zwei bösartige Tumore breitgemacht. „Ich habe meiner Frau noch am gleichen Tag Tabak, Blättchen und Zigaretten aus dem Tisch am Bett in die Hand gedrückt und gesagt: Jetzt ist Schluss“, erinnert sich Wilhelm Lensmann an seine Reaktion damals. Sein Entschluss stand sofort fest: „Bei diesem Kampf will ich als Sieger vom Platz gehen.“

Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie) vom Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer.
Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie) vom Bergmannsheil in Gelsenkirchen-Buer. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Der 70-Jährige hat nichts übrig für verbale Schönfärberei, sondern ist ein Freund klarer Worte. Einer, der eins und eins zusammenzählen kann. „Mein Vater hatte Lungenkrebs, mein Bruder einen Hirntumor und ich hab 50 Jahre lang am Glimmstängel gehangen“, resümiert der 70-Jährige. „Da muss man sich ehrlich machen: Alles andere als die Diagnose Krebs hätte ich bei meinem Leben als falsch empfunden. Wir müssen irgendwann dafür zahlen, was wir uns angetan haben.“ In Gelsenkirchen haben zuletzt Todesfälle in Folge von Atemwegserkrankungen einen signifikanten Sprung nach oben gemacht.

Chefarzt am Bergmannsheil Buer: Diagnose Krebs ist heute kein Todesurteil mehr

Damit gehört der Gelsenkirchener zu den wenigen Patienten, die selbst solche schwer zu begreifende Fakten akzeptieren und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Krebs zu besiegen. Denn viele Erkrankte, vor allem Patienten der älteren Generation, fallen nach einer Krebsdiagnose in eine Art Schockstarre, wie Dr. Ali-Ekber Firat aus seiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit Lungenpatienten weiß. „Viele ältere Menschen setzen die Diagnose Krebs mit einem Todesurteil gleich. Was aber definitiv nicht der Fall ist. Und es kommt öfter vor, dass Erkrankte selbst in der Chemo-Therapie noch verdrängen, dass sie Krebs haben“, sagt der Pneumologe.

„Willensstärke und die Unterstützung durch die Menschen“, mit denen Erkrankte gemeinsam durchs Leben gehen, sind neben modernen medizinischen Therapien entscheidende Faktoren, dem Krebs ein Schnippchen zu schlagen, so Firat weiter. Im Fall von Wilhelm Lensmann war das nicht anders.

Bäckermeister Wilhelm Lensmann (rechts) redet mit Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie am Bergmannsheil Buer in Gelsenkirchen) über den Genesungsprozess. Lensmann war an Lungenkrebs erkrankt.
Bäckermeister Wilhelm Lensmann (rechts) redet mit Chefarzt Dr. Ali Ekber Firat (Innere Medizin, Pneumologie am Bergmannsheil Buer in Gelsenkirchen) über den Genesungsprozess. Lensmann war an Lungenkrebs erkrankt. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Liebe stärker als die Sucht: Ehefrau hört für krebskranken Mann mit Rauchen auf

„Regina hat sofort selbst mit dem Rauchen aufgehört, um die Behandlung mit mir gemeinsam durchzustehen“, erzählt Lensmann voller Stolz auf seine Frau. Entwöhnungstherapien, auch das gehört zum Repertoire, brauchte es für den Rauchstopp des Paares nicht. Liebe war da stärker als jedes Nikotin-Pflaster oder psychologische Hilfestellung.

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18 Chemotherapien waren trotzdem notwendig, um die Krebsgeschwüre nach etwas mehr als fünf Monaten derart einzuschrumpfen, dass eine Operation an der Lunge möglich war. Im Winter 2020 kam erst der eine Flügel unters Messer, im Frühjahr dann der andere. Eine Reha folgte und natürlich eine umfassende Nachsorge, unter anderem mit bildgebenden Verfahren und Lungenfunktion-Checks.

Der Bäckermeister profitiert dabei wie Hunderte andere Patienten mit Atemwegserkrankungen von der Expertise vieler Fachleute im Lungenfachzentrum Knappschaft Kliniken. Angeschlossen sind darin das Klinikum Vest (Recklinghausen), das Klinikum Westfalen (Dortmund) und eben das Bergmannsheil Buer. Ein ganzes Team von Spezialisten – Radiologen, (Psycho-)Onkologen, Pathologen, Thoraxchirurgen und Physiotherapeuten beurteilt und bespricht dabei jeden einzelnen Fall. „Jeder bekommt so die am besten passende Behandlung“, erklärt Chefarzt Dr. Ali-Ekber Firat.

Rund 3000 Lungenpatienten pro Jahr im Bergmannsheil

Das Bergmannsheil Buer behandelt mehrere Tausend Lungenpatientinnen und -patienten im Jahr. Während der Corona-Pandemie waren es durchschnittlich 2800 bis 2900 Patienten jährlich, vor der Corona-Krise waren es 3200 bis 3300 Patienten.

Die Pneumologie im Bergmannsheil Buer stellt pro Jahr dazu noch 140 bis 150 Erstdiagnosen im Jahr.

Neue Lebensqualität: Rad und Wanderstock sind seine Begleiter, nicht die Zigaretten

Der Weg zurück in ein normales Leben war für Wilhelm Lensmann dennoch nicht einfach. Der Raubbau am Körper über fünf Jahrzehnte, die Chemo und die Operationen hatten an der Substanz gezerrt. So sehr, dass er anfangs kaum schaffte, ein paar Schritte spazieren zu gehen, geschweige denn aufs Rad zu steigen. Aufgeben ist aber keine Alternative, das spricht gegen seine Natur, gegen alles, was er in der Kindheit und Jugend als Rüstzeug mit auf dem Weg bekommen hat.

Heute sagt der 70-Jährige, könne er zwar noch immer keine Rennen gewinnen, aber ein Spaziergang von drei Stunden oder eine ebenso lange Tour mit dem Rad, das 25 Jahre lang im Keller unbenutzt ein tristes Dasein führte, „sind überhaupt kein Problem mehr“. Wilhelm Lensmann ist heilfroh, den Absprung geschafft zu haben. „Ich habe vollstes Vertrauen in die Medizin“, sagt er voller Dankbarkeit. Statt einer Zigarette greift er jetzt zu einem Wanderstock. Da hat er mehr von. Und vom Leben.