Gelsenkirchen-Altstadt. „Warm durch die Nacht e.V.“ versorgt Obdachlose mitten in Gelsenkirchen. Es kommen immer mehr Rentner und Hartz-IV-Empfänger. Ein Besuch.

„Hallo Willi!“ – trotz der Maske haben sie ihn natürlich erkannt, wie wohl jeden in der Schlange vor dem Bahnhof. Dabei ist es gleichgültig, ob es Montag, Mittwoch oder Freitag ist, ab etwa 18.30 Uhr versammeln sich die ersten Gäste vor dem Rolltor. „Warm durch die Nacht“, seit fünf Jahren eingetragener Verein, hat feste Tage, einen festen Stamm an Gästen. „Obdis“ sagt Petra Bec auch schon einmal lächelnd, „Obdachlose“ klinge so bürokratisch.

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Um 20 Uhr geht es dann los, jedes Mal. Sie nehmen die Zahl vom letzten Mal, also etwa 90 heute, für die die Papiertüten gepackt werden. Die Suppe hat die Mannschaft in den blauen Westen in den Katakomben des Bahnhofs vor der alten Ladenstraße heißgemacht, „zweimal Hühner, einmal Erbsen, glaub’ ich“. Es gibt sogar eine Spülküche in den Räumen, vor denen noch „Schalke Fanshop“ und „Treff“ prangten, für „richtiges Geschirr“. Aber das können sie wegen der Hygiene-Regeln nicht nehmen. Die Suppe gibt’s im Becher mit Deckel zum Mitnehmen in der Tüte, wie den Kaffeebecher. Keiner wird sich länger aufhalten, soll sich länger aufhalten – die Pandemie.

Gelsenkirchener Verein „Warm durch die Nacht“: Die heiße Suppe gibt’s nur zum Mitnehmen.
Gelsenkirchener Verein „Warm durch die Nacht“: Die heiße Suppe gibt’s nur zum Mitnehmen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Nachweisen muss niemand in Gelsenkirchen seine Bedürftigkeit

Würstchen im Glas haben sie für die Gäste. Gebäck, Papiertaschentücher, Masken, Kaffeeweißer, etwas Obst. Und nun auch Löffel, für die Suppe unterwegs. „Für jeden nur eine Tüte, auch nicht für den Kumpel“, macht Babsi (46) ganz klar, „damit keine Unruhe aufkommt.“ Bierflaschen sehen sie gar nicht gern in der Schlange der Wartenden – Medikamente, Zigaretten und Alkohol haben sie nicht im Sortiment.

Nachweisen müssen die Gäste nichts, „wer ansteht, der kriegt seine Tüte“, meint Babsi über die Schulter, während der Rollwagen sich mit den Tüten füllt. Und wer sich hier anstellt, ist längst auch nicht nur obdachlos. „Immer mehr Rentner, Hartzer und auch Mini-Jobber, bei denen es am Monatsende nicht mehr reicht“, fasst Petra (59) zusammen. „Und Pfandsammler“, ergänzt Babsi, „denn mit Corona sind weniger Leute in der Fußgängerzone unterwegs, trinken weniger, lassen weniger Flaschen da.“

Emmaus-Jugend bringt selbstgebackene Plätzchen

Überraschend kommt heute eine Jugendgruppe aus der evangelischen Emmaus-Gemeinde in Rotthausen vorbei. Sie haben schon im vergangenen Jahr Spenden in der Adventszeit gebracht, und auch diesmal wieder gebacken. „Ersungen“ haben sie das Geld, die Hälfte geht ans Tierheim, die andere Hälfte wird in Plätzchen umgesetzt.

Ihre Musical-Gruppe habe es genossen, auf der großen Bühne im Jugendzentrum in Rotthausen zu proben, erzählen sie. Wie oft das noch geht? Keine Ahnung. Im Gelsenkirchener Süden stehen die evangelischen Einrichtungen auf der Kippe. Trübe Gedanken kreisen bei ihnen auch heute.

Die Stimmung im Team von „Warm durch die Nacht“ dagegen ist gut, jeder weiß, wo er anpackt. „Gleich, wenn die Tür aufgeht, gibt’s Applaus“, meint Babsi. Und so ist es. Als das Team die Katakomben verlässt, die Suppe auf den Klapptischen vor dem Rolltor serviert, geht es routiniert und zügig – aber es bleibt immer noch Zeit für ein paar Worte zwischen den Gästen und ihren Gastgebern.

Vor dem Hauptbahnhof in Gelsenkirchen haben die Helfer die Tische mit Kaffee, den Suppen-Bechern und den Papiertüten zum Mitnehmen aufgebaut.
Vor dem Hauptbahnhof in Gelsenkirchen haben die Helfer die Tische mit Kaffee, den Suppen-Bechern und den Papiertüten zum Mitnehmen aufgebaut. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

„Warm durch die Nacht“: Am Anfang haben sie die Leute eingefangen

In der Kleiderkammer haben sie sogar Akten über die Gäste angelegt, „damit wir wissen, wer wann was mitgekriegt hat, der muss ja nicht jedes Mal ‘ne Jeans mitnehmen“, erklärt Babsi.

Als sie anfingen mit „Warm durch die Nacht“, erzählt Petra, die „praktisch seit Anfang an dabei“ ist, haben sie auch schon mal ein Brot gekauft, um zehn Leute zu versorgen. „Das kannst Du mit 100 aber nicht mehr machen.“ Am Anfang sind sie auch noch auf Bollerwagen-Tour gegangen bis rauf zum Musiktheater etwa, haben die Leute „eingefangen“. Jetzt hat es sich längst herumgesprochen, wann „Warm durch die Nacht“ am Bahnhof ist. „Schon besser so.“

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Und das nicht nur im Winter, meint Petra. „die haben schließlich auch im Sommer Kohldampf“. Dann gibt’s natürlich auch mehr Wasser. „Und wenn einer sagt: Ne, ich hab’ meinen Wodka, dann gehen wir nicht eher, als bis der Wasser getrunken hat.“

Gelsenkirchener Ehrenamtler: „Wir können sie nicht heilen“

Supermarktgutscheine gibt es auch, und keiner im Team hebt den Zeigefinger, was den Alkohol oder den Tabak angeht. „Wir können sie nicht heilen“, fasst Babsi zusammen.

Vielleicht müssten sie nicht auf der Straße schlafen, an den Bushaltestellen oder sogar „auf’m Friedhofsklo, weil da die Heizung läuft“. „Manche kommen mit Vierbettzimmern in den Unterkünften nicht zurecht“, wissen die Helfer. Und doch: „Unterkünfte gibt’s eigentlich auch genug“. Dann macht sie einen Moment Pause und fragt offen: „Wann hast du das letzte Mal daran gedacht, dass du trockene Socken hast?“

Info und Kontakt

Laufend gebraucht werden bei „Warm durch die Nacht“: Dosensuppen, Kaffee (gemahlen), Kaffeeweißer, Süßigkeiten, Schlafsäcke, Isomatten, Rasierschaum, Einweg-Rasierer, Duschgel, Deo, Verbandszeug, Pflaster, Kleider- und Schuhspenden (bitte unbedingt vorher Kontakt mit aufnehmen); Spendenabgabestellen in GE an Tourtagen montags, mittwochs und freitags, im Lager am Bahnhofsvorplatz, großes Rolltor der DB, 18.30 Uhr bis ca. 19.15 Uhr.

Spendenkonto: Warm durch die Nacht e.V., IBAN DE66 4205 0001 0101 1757 87, BIC WELADED1GEK; allgemeine Anfragen an: info@gepa-wddn.de oder über die Facebookseite www.facebook.com/groups/Gelsenkirchenpacktan.warmdurchdienacht/

Manchmal bekommen sie dann doch einen in einer Wohnung untergebracht. „Ein bisschen Wohnen“, plaudert Petra aus der Erfahrung. „Die müssen das erst wieder lernen.“ Da kommen dann Fragen wie: „Flurputzen auch?“ Michi, ein Pole, hat es auf die Art gepackt, weiß Petra. „71 ist der, hat jetzt ‘nen Job im Stadtgarten“, und sie lacht: „Ist ja auch sein altes Revier.“

Dann kommt ein bisschen von dem Stolz, den auch ihre Mannschaft mitbekommt: „Wenn dich dann in der Wohnung einer fragt: Darf ich dir ‘n Kaffee machen – der ist angekommen.“