Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Verein „Warm durch die Nacht“ kümmert sich um Obdachlose - ein Dankeschön rührte die Helfer jetzt zu Tränen.
Quadratische rote Matten liegen auf dem Gelsenkirchener Bahnhofsvorplatz. Gleich vor dem Rolltor, hinter dem es zum Raum unter den Schienen geht, kennzeichnen sie, wie sich jene aufstellen sollen, die gleich von der Initiative „Warm durch die Nacht“ mit einer Mahlzeit versorgt werden. Jetzt, um halb acht am Abend, sind nur wenige der roten Flecken besetzt, scheinen viel zu viele auf dem nassen und kalten Boden zu liegen.
„Den Menschen geht es durch die Pandemie natürlich schlechter“, erzählt Petra Bec von „Warm durch die Nacht“. Seit dem Frühjahr verzeichne man viel mehr Gäste. „Vielen Hartz IV-Empfängern fehlt der Minijob, in Familien mit Kindern fällt die Schulspeisung weg. Pfandflaschen sammeln, das können sie vergessen im Moment. Und auf der Bahnhofstraße gibt ihnen auch keiner mehr ein bisschen Geld.“ Dazu gesellten sich noch ganz andere Probleme. „Die Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser, können sich nicht regelmäßig die Hände waschen. Und wovon sollen sie sich eine Maske kaufen?“ Besonders prekär: Die meisten der Gäste fielen in die Risikogruppe, hätten Vorerkrankungen.
An Weihnachten kamen über einhundert Menschen in die Gelsenkirchener Einrichtung
Mittlerweile kommen aus allen Richtungen Menschen her. Die kleinen roten Quadrate sind bald gefüllt. Das beeindruckt die Besucher von der Presse. Petra Bec aber sagt: „Das geht doch noch.“ Geschätzt stünden hier jetzt rund fünfzig Personen. Vor ein paar Tagen, an Weihnachten, seien es weit über einhundert Menschen gewesen, die sich hier eine Mahlzeit abgeholt haben.
Bodo hat sich einen guten Platz in der Schlange gesichert. Er ist regelmäßiger Gast und der erste, der heute mit den Fremden reden will. Wie es ihm gehe? „Schlecht. Sonst würde ich hier ja nicht stehen.“ Dann platzt es aus ihm heraus. Er hat etwas zu berichten: „Ich habe eine Spendenaktion gemacht für die Mitarbeiter. Die sind das ganze Jahr für uns da – immer. Mein Motto war, nicht nur nehmen, auch geben.“ Sechs Wochen lang sei er durch örtliche Geschäfte gezogen, habe Geld gesammelt. „Ich bin froh, dass die mir alle vertraut haben.“ So nämlich kommt eine beeindruckende Summe zusammen: 307,74 Euro. Die übergibt er zum Fest an Petra Bec und ihr Team – und rührt sie damit zu Tränen. „Wenn Menschen, die so gut wie nichts haben, ihre Dankbarkeit so ausdrücken, das ist eine enorme Wertschätzung“, ist Petra Bec noch immer bewegt. Am schönsten wäre es, wenn man bald ein gemeinsames Fest feiern könne. Und von den Spenden würde man dann das Essen für die Helfer bezahlen.
Den größten Wunsch selbst erfüllt
Und was wünscht sich Bodo? „Was ich mir wirklich gewünscht habe, das habe ich gemacht und geschafft“, spielt er noch einmal auf seine Spendenaktion an. „Das war mein größter Wunsch. Ich für mich kann nur sagen, Jungs, bleibt sauber“, wendet er sich an die Gruppe. „Und Gesundheit. Was will man mehr?“
Nur wenig entfernt steht Conny. Die Pandemie, berichtet sie, mache ihr Leben besonders schwierig. „Man kommt nicht in die Ämter rein“, erzählt sie und verrät, auch der Alltag auf Distanz falle ihr schwer. „An Weihnachten war es besonders hart. Da hätte man sich gern auch mal in den Arm genommen.“ So sei der einzige Mensch, den sie momentan berühren könne, ihr Freund. Die Wärme, die man sonst hier untereinander spende, falle aber vielfach weg. Ihr Wunsch für die Zukunft? „Gesundheit und Glück.“
Applaus für die Helfer und das Essen
Beim Blick in die Menge erregt Marc Aufsehen: Er steht barfüßig auf seiner roten Matte. So laufe er immer herum, erzählt er, sommers wie winters. Schnell spürt man, der junge Mann ist ein Freigeist. Seit fünf Jahren lebe er auf der Straße, gehe regelmäßig im Sommer auf die Walz durch ganz Europa. Corona hat das in diesem Jahr unmöglich gemacht. Sein Resümee des Jahres fällt folglich kurz aus: „Langweilig.“ Sein Wunsch für die Zukunft liegt auf der Hand. „Dass der Impfstoff keine Nebenwirkungen hat, die Pandemie dadurch schnell gestoppt wird und es für Deutschland wieder besser wird.“
Die Türe neben dem Rolltor öffnet sich. Ein Scheinwerfer wird heraus getragen und angeschlossen. Es folgen ein Tisch, ein großer Thermobehälter mit Kaffee und, unter anerkennendem Applaus, Rollwagen mit Tüten. Darin ist eine abendliche Mahlzeit enthalten. Eine kalte. „Normalerweise gibt es bei uns ein warmes Essen“, sagt Petra Bec. Weil jenes aber garantiert vor Ort verspeist werde und dies coronabedingt nicht gestattet sei, verteilen die Helfer seither nur kalte Speisen. Warm durch die Nacht zu kommen, dabei hilft nur noch ein Kaffee. Die gemeinsame Zeit falle dadurch kürzer aus. Und so hat Petra Bec vor allem einen Wunsch für die Zukunft: „Dass wir bald wieder warmes Essen ausgeben dürfen und wieder mehr Nähe möglich ist.“
Hier gibt es weitere Informationen
Die Initiative „Gelsenkirchen packt an – Warm durch die Nacht“ wurde 2014 gegründet. Seit 2016 ist man ein eingetragener Verein. Alle Helfer sind ehrenamtlich im Einsatz. Die Arbeit wird ermöglicht durch zahlreiche Sachspenden und auch Geldspenden. Weitere Informationen bieten die Internetseite www.gepa-wddn.ruhr/start und die Facebook-Präsenz.