Gelsenkirchen-Bismarck. Der Zwist eskaliert zwischen RVR und Bahnfreunden Bismarck in Gelsenkirchen: Die sind im Denkmal nur geduldet. Nun muss ein Gericht entscheiden.
Dass der RVR, der Regionalverband Ruhr und die Freunde des Bahnbetriebswerks Bismarck störungsfrei zusammen wirken, wird niemand behaupten. Im Gegenteil: Verband und Förderverein liegen seit Jahren im Clinch, die Fronten scheinen, nun ja, verhärtet. Am 23. Dezember trifft man sich vor Gericht. Mal wieder.
„Hier geht alles den Bach runter. Die haben uns gekündigt und wollen uns los werden, wir kritisieren den RVR zu viel“, klagt Paul Lindemann, sperriger wie wehrhafter Chef der Bahnfreunde. Wobei: Einen klassischen Mietvertrag hat der Verein gar nicht, er ist lediglich geduldet. Und das ist nur einer der Streitpunkte. Lesen Sie auch:Gelsenkirchener Dampfspeicherlok kommt in Fahrt
Gelsenkirchener Vereinsvorsitzender liegt mit dem RVR in etlichen Punkten über Kreuz
Die Liste ist lang und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Über die Nutzung der Außenbereiche, über die Wasserversorgung der Sanitäranlagen, über eine von den Bahnfreunden installierte Schranke, die Drehscheibe, den Erhalt des Gebäudes generell, die vom RVR in Rechnung gestellten Kosten für die Teilräumung einer Fläche oder aktuell über die Bausicherheit und ein – aus entsprechenden Gründen verhängtes – Betretungsverbot für den Gebäudeteil, den der Verein nutzt, gerieten die Parteien aneinander. Auch war das Verhältnis zu manchem der anderen Vereine vor Ort nicht immer spannungsfrei. Nun also hat der RVR den entscheidenden Hebel angesetzt: die Räumungsklage.
2001 erwarb der Verband das Denkmal samt dem Gelände in Gelsenkirchen
Die Hintergründe: 2001 erwarb der jetzige RVR das Denkmal, Baujahr 1926, samt 80.000 Quadratmeter Grund und Grabelandflächen, Aufbauten sowie Gleisanlagen mit einer Länge von rund zwei Kilometern Länge. Die Bahnfreunde nutzten damals bereits seit Jahren den Ringlokschuppen. Ihr ursprünglicher Vertrag mit der Deutschen Bahn endete mit dem Besitzübergang. Seither, stellt der RVR fest, „konnte mit dem Verein trotz zahlreicher Versuche kein neuer schriftlicher Vertrag geschlossen werden“.
Allerdings wurde 2003 immerhin eine Vereinbarung über „die Ermöglichung der Nutzung des Ringlokschuppens geschlossen“, die jedoch ohne Frist und Angabe von Gründen widerrufbar war. Dieser Widerruf, so der RVR, ist erfolgt. An den Verein, der die Gebäude seit Jahrzehnten unentgeltlich und seit Jahren ohne vertragliche Grundlage nutze, ergingen Räumungsaufforderungen, die allerdings von den Bahnfreunden ignoriert worden seien.
Regionalverband Ruhr hat Räumungsklage beim Landgericht Essen eingereicht
Im Dezember 2020 wurden deshalb vorsorglich erneut „etwaig bestehende Nutzungs- beziehungsweise Mietverhältnisse jeglicher Art gekündigt“ und der Verein wiederum zur Räumung aufgefordert. Nicht unerwartet lehnten die Bahnfreunde dies ab. Darauf sei es seitens des RVR erforderlich geworden, eine Räumungsklage beim Landgericht Essen einzureichen. Eine Klageerwiderung des Vereins sei trotz zweifacher Fristverlängerung durch das Gericht nicht eingegangen. Nun hätten die Richter den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 23. Dezember angesetzt. Lesen Sie auch:Streit mit dem RVR: Förderverein soll Bahnwerk verlassen
„Üblichen Gestattungsvertrag“ des RVR hält der Verein für „sittenwidrig“
Einen „konformen und üblichen Gestattungsvertrag zur Nutzung der Gebäude“, der auch wechselseitig Rechte und Pflichten regele, hatte der RVR vergeblich mit den Bahnfreunden abzuschließen versucht. Lindemann kontert, der Vertrag sei „sittenwidrig, rechtsunwirksam“, außerdem enthalte er „unerfüllbare Forderungen“.
Die sieben anderen Vereine und Nutzer im Bahnwerk sahen da offenbar keine unüberwindbaren Hürden. Sie träfen auch „keine Betretungsverbote“, stellt Lindemann fest, der sich wundert, dass ein Sachverständiger bei einer Bauwerksprüfung ausdrücklich im Gebäudeteil seines Vereins Gefahren für die Gesundheit ausmachte. Der Gutachter hatte dringend eine Sanierung der Stahlbetonstützen in der Lokhalle empfohlen. Auch mit einem Wachschutz sollte die Selbstgefährdung der Mitglieder offenbar verhindert werden. Der Vorsitzende, stellt der RVR fest, betrat dennoch das Gebäude.
Vereinsvorsitzender Lindemann schrieb alle Fraktionen im Ruhrparlament an
Die Expertise des staatlich anerkannten Sachverständigen zweifelt der Verein an, fordert ein weiteres Gutachten, auch kritisiert er vorgenommene Bausicherungsmaßnahmen – diese seien unnütz, schadeten gar dem Gebäude und verschandelten die Optik des Denkmals. All das hat Lindemann im November auch den Fraktionen im Ruhrparlament in einem Zwölf-Punkte-Papier schriftlich mitgeteilt. Offenbar erhofft er sich von der Politik Flankenschutz gegen den RVR, auch für den von ihnen immer wieder ins Spiel gebrachten „Aktiv- und Erlebnispark am Bahnwerk“. Für den RVR ist die Idee „mangels Investor und Betreiber nicht „zeitgemäß, nachhaltig und umsetzbar“. Lesen Sie auch:Briten zeigten Interesse am Bahnwerk Bismarck
Aus Sicht von Bürgermeister Werner Wöll „ist man gut beraten, erst einmal die Verhandlung abzuwarten“, vielleicht brächte die „einen Erkenntnisfortschritt“. Wöll, CDU-Stadtverordneter und auch gewählter Vertreter des Ruhrparlaments, hatte sich 2020 als eine Art Vermittler eingeschaltet und zunächst dem RVR einen Fragenkatalog vorgelegt, um sich Klarheit in der Sache zu verschaffen.
Gelsenkirchener Bürgermeister Wöll war als eine Art Vermittler aktiv
Gut ein Jahr später hat sich an der Situation grundlegend nichts geändert, aber es gibt zumindest Perspektiven in puncto Finanzen: 250.000 Euro will der RVR laut Wöll bereitstellen, um eine Konzeption für das Denkmal zu erarbeiten, jeweils eine Million Euro seien für die Jahre 2023 bis 2025 per Verpflichtungsermächtigung für das Objekt gesichert worden.
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Auch die SPD-Stadtverordnete Silke Ossowski sitzt im Ruhrparlament, zudem ist sie Vorsitzende des Gelsenkirchener Stadtplanungsausschusses. In dieser Funktion wurde sie auch direkt von Paul Lindemann angeschrieben. In ein „laufendes Verfahren“, betont die Politikern, könne sie sich „nicht einklinken“. Zum Sachverhalt äußert sie sich entsprechend nicht, durchaus aber zur Gefühlslage: Gespräche hätten stattgefunden, auch sei man den Bahnfreunden vielfach entgegengekommen. Doch sei es schwierig, Lindemann zur Seite zu stehen. „Er negiert die Gegebenheiten.“
Loks und Waggons sind ein „reales kostenaufwendiges Entsorgungsrisiko“.
Die Grundfrage bleibt: Gibt es eine Bahnwerks-Zukunft mit oder nur ohne Bahnfreunde? Wohin bloß mit den ganzen Sachen, wenn es ernst werde, fragt derweil der Fördervereinsvorsitzende: „890 Tonnen rollendes“ und „rund 750 Tonnen stehendes Gut“ gehören laut Lindemann zum Vereinsbestand. Darunter vier Diesellokomotiven, zwei Dampfloks, zwei Dampfspeicherloks und etliche Waggons – „zusammen sind das über 16 rollende Fahrzeuge“. Damit zieht man nicht mal so einfach um. Das Problem sieht der RVR beim Verein.. Dessen Exponate, heißt es, seien „ein reales kostenaufwendiges Entsorgungsrisiko“.
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