Gelsenkirchen. Vielerorts in Gelsenkirchen gibt es Beschwerden über Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänen. Gespräche über Integration und „deutschen Rassismus“.
Vor wenigen Wochen hatten sich Anwohner der südlichen Bismarckstraße hilfesuchend an die WAZ Gelsenkirchen gewandt. „Durch Ihre Berichte über unzumutbare Verhältnisse in anderen Stadtteilen, die durch Zuwanderer mutmaßlich aus Rumänien und Bulgarien verursacht werden, fühle ich mich ermutigt, Ihnen auch über meine Wohnsituation an der Bismarckstraße zu berichten“, schrieb Kirsten Engmann zu später Stunde an die Redaktion, als sie einmal mehr wegen des Lärms auf der Straße nicht schlafen konnte.
Kaum zumutbare Probleme mit zugezogenen Nachbarn aus Bulgarien und Rumänien beklagen seit einigen Jahren zahlreiche Bürger aus vielen Stadtteilen Gelsenkirchens. Doch was sagen Menschen, die einfach ihr europäisches Freizügigkeitsrecht nutzen und sich zumindest zeitweilig in Gelsenkirchen niederlassen, zu den Anschuldigungen und Beschwerden? Die WAZ Gelsenkirchen hat das Gespräch gesucht.
Wie reagieren Südosteuropäer in Gelsenkirchen auf die Beschwerden?
Sowohl an der Ecke Bismarckstraße/Franz-Bielefeld-Straße, wie auch an der Olgastraße und am Lidl-Parkplatz an der Ückendorfer Straße haben viele Männer und einige Frauen die Fragen unserer Redaktion beantwortet. Indes erklärte sich bedauerlicherweise keiner der Interviewten bereit, mit Bild und Namen in der Zeitung zu erscheinen. Zu den vielen Beschwerden, die stadtweit immer wieder dort aufkommen, wo größere Gruppen Rumänen oder Bulgaren zusammenleben, haben sie gleichwohl einiges zu sagen.
„Deutschland ist ein rassistisches Land“
An diesem sonnigen Oktobernachmittag stehen etwa 20 Männer an der Bismarckstraße, unter eben jenem Gebäudevorsprung, der für die übrigen Anwohner zum Dauerproblem geworden ist, weil er für die Bulgaren zum Treffpunkt geworden ist.
Wettergeschützt und breit ist hier der Gehweg und das kleine bulgarische Lebensmittelgeschäft auf der anderen Straßenseite ist Quell für Kaffee- und Sonnenblumenkörner-Nachschub. Beides – sowohl die leeren Becher wie auch die Nussschalen – liegen an dieser Stelle oft auf dem Bürgersteig. Dazu kommt noch anderer Verpackungsmüll, der so entsteht, wenn mitunter Dutzende Männer zusammen ihre Zeit am Straßenrand verbringen.
„Dass die Leute sagen, wir würden die Straße vermüllen, ist nur Ausdruck ihres eigentlichen Problems mit uns“, sagt ein 37-jähriger Bulgare mit einem Maschinengewehr-Tattoo auf dem Hals. „Das eigentliche Problem“, so der Mann um den sich nun sieben weitere Männer im Halbkreis aufstellen, sei „Rassismus“. „Deutschland ist ein rassistisches Land, die meisten Deutschen wollen einfach keine Ausländer, deswegen schieben sie uns für alles die Schuld in die Schuhe. Das war schon immer so“, erzählt der Mann mit den kurzrasierten Haaren. Die Männer um ihn herum nicken zustimmend.
„Wo die Deutschen leben, macht die Stadt jeden Tag alles sauber“
Ein anderer nimmt an dem Gespräch teil, zeigt auf den Einwegkaffeebecher in seiner Hand und dann auf den Papierkorb zwei Meter weiter. „Wenn die Stadt diesen Mülleimer jeden Tag leeren würde, dann müssten wir unseren Müll auch nicht daneben werfen“, sagt er. Die Frage, warum er seinen Müll nicht in einer anderen Tonne entsorgt, die nicht überquillt, quittiert er mit einem beleidigten Gesichtsausdruck.
„Wo die Deutschen leben, macht die Stadt jeden Tag alles sauber und leert die Tonnen“, glaubt ein anderer junger Mann zu wissen und holt aus: „Wir machen hier die Arbeit, die kein anderer machen will, zu Löhnen, für die Deutsche nicht mal aus dem Bett aufstehen würden. Und zum Dank beschimpfen sie uns. Dabei sind wir es doch, die beispielsweise die Bismarckstraße beleben. Wer würde denn hier Geld ausgeben, außer uns?!?“
„Die Straße gehört allen“
Auch die anderen etwa 13 Männer rücken nun näher, um dem Gespräch mit dem Zeitungsreporter besser folgen zu können. „Worüber beschweren die Leute sich eigentlich? Über Lärm? Das ist nur ein vorgeschobener Grund, weil sie uns verjagen wollen. Ja, wir stehen hier halt und unterhalten uns. Wo sollen wir denn auch sonst hin? Sollen sie halt ihre Fenster schließen, wenn ihnen das zu laut ist. Die Straße gehört allen. Wenn wir etwas Verbotenes tun würden, dann würde uns die Polizei sofort festnehmen, da kannst du dir sicher sein“, sagt nun ein anderer Mann, der dasselbe Maschinengewehr-Tattoo auf dem Hals trägt wie der Mann mit den kurzrasierten Haaren.
Schuld sind immer die anderen
Lesen Sie hier:
- Wer sind die Leute, die von Rumänien & Bulgarien nach Gelsenkirchen migrieren? „Sie leben in einer anderen Welt“, sagt ein Südosteuropa-Experte.
- Die Gelsenkirchener Awo setzt bei der Integration auf Nachbarschaftshelfer, die selbst aus EU-Ost kamen. Sie vermitteln, wenn es vor Ort knirscht.
- Dietmar Brockes ist Vorsitzender des NRW-Europaausschusses. So bewertet er Probleme und Förderungen mit Blick auf den Zuzug aus Südosteuropa.
In diesem Duktus geht das Gespräch noch eine ganze Weile weiter und so ähnlich verläuft es auch ein paar Straßen weiter auf der Olgastraße und in Ückendorf:
Von „modernen Sklaventreibern“ ist immer wieder die Rede, wenn Bulgaren und Rumänen davon berichten, dass sie sich auf dem Arbeiterstrich als Tagelöhner verdingen müssten. „Alle wissen Bescheid, aber solange es nur uns betrifft, unternimmt keiner etwas dagegen“, sagen sie. Trotzdem sei es immer noch besser als in ihrer Heimat. Schuld seien ohnehin oft „die Anderen“, wie in den Gesprächen deutlich wird.
Müllberge auf Hinterhöfen von Schrottimmobilien? „Der reiche Hauseigentümer muss sich um die Beseitigung des Müll kümmern.“
Einschüchterndes Gebaren in großen Gruppen auf der Straße? „Solange wir nicht provoziert werden, tun wir niemanden etwas.“
Lärmbelästigung? „Wir sind vielleicht mehr vor der Tür als Deutsche, aber wir machen keinen Krach. Wenn sich jemand belästigt fühlt, dann nur, weil er uns nicht hier haben will.“
Integrationsbereitschaft und Verständnis für die Beschwerden? Die Männer an der Bismarckstraße schütteln den Kopf und lächeln als Ausdruck ihres Unverständnisses über die vermeintliche Naivität ihres Gegenübers. „Man will uns hier nicht haben, aber es ist unser Recht als EU-Bürger hier zu sein. Frag doch mal deinen Vater, wie es für ihn war“, sagt einer der Männer und spielt auf den türkischen Migrationshintergrund des Reporters an.
Debatte über Zuwanderung und Integrationsbereitschaft
Es entsteht eine angeregte Debatte über Zuwanderung und Integrationsbereitschaft, über Anpassung und gleichzeitigen Erhalt kultureller Eigenschaften, über Gesetze und über Sitten, über ein respektvolles Miteinander mit der Nachbarschaft und Diskriminierungserfahrungen. Und am Ende steht immer wieder dieser Satz: „Die wollen uns nicht, wir tun nichts Unrechtes, aber lassen uns auch nicht vorschreiben, wie wir zu leben haben.“
Zuletzt wirft einer der Männer seinen leeren Kaffeebecher neben die volle Mülltonne und sagt: „Wäre die Tonne heute geleert worden, läge der Becher nun darin. So einfach ist das.“