Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Awo setzt bei der Integration auf Nachbarschaftshelfer, die selbst aus EU-Ost kamen. Sie vermitteln, wenn es vor Ort knirscht.

Georgiana Abbas kam vor 17 Jahren aus Rumänien nach Gelsenkirchen, der Liebe wegen. Seit 2014 kümmert sie sich beruflich um ihre Landsleute in der Stadt, in Diensten der Arbeiterwohlfahrt. Die ausgebildete Integrationslotsin kam zwar nicht selbst als Armutsflüchtling, kennt die Probleme dieser Zuwanderer aber sehr genau. Von zahlreichen Hausbesuchen, von Schulungen, die sie selbst leitet, vom internationalen Frauencafé in Rotthausen. Und von ihren Unterstützern. Bogdanel Dumitru ist einer von ihnen.

Der 31-Jährige ist seit Ende 2020 als ausgebildeter Nachbarschaftshelfer im Einsatz. Er kommt ins Spiel, wenn Nachbarn sich beschwert haben über (bisweilen nur angebliche) Vermüllung des Hausflurs, Lärmbelästigung oder zu wild spielende Kinder. Dann erklärt er seinen Landsleuten noch einmal, wie in Deutschland mit Müll umgegangen wird, oder dass es hier nicht üblich ist, vor dem Haus zusammenzustehen bis spät in die Nacht. Dass man sich in den Hof setzen soll oder in den Park gehen. Dass Kinder in Deutschland normalerweise nicht so lange aufbleiben dürfen und nicht bis in die späten Abendstunden lautstark spielen.

Einsatz auch für den Schulabschluss der Kinder

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Dumitru hat selbst sieben Kinder. Seine älteste Tochter ist elf Jahre, besucht die vierte Klasse; eine Regelklasse. Im nächsten Jahr soll sie auf die Gesamtschule wechseln. Georgiana Abbas setzt sich dafür ein, dass Kinder wie dieses ihren Schulabschluss und eine Ausbildung machen. Mindestens. Ihre eigenen drei Kinder hat sie dabei ebenfalls nach Kräften unterstützt, ihnen jede Sprachförderung angedeihen lassen, die möglich war.

Bogdanel Dumitru hat hier Deutsch gelernt, das Sprachzertifikat B1 geschafft. Gratis-Sprachkurse an der VHS gibt es für EU-Zuwanderer nicht. Die Awo bietet dreimonatige, niederschwellige Sprachkurse an. Zu Corona-Zeiten allerdings nur eingeschränkt, die Warteliste ist lang, sehr lang. Zudem läuft der Kurs aktuell ohne Kinderbetreuung, was vielen den Zugang zusätzlich erschwert.

Gekommen, um mit Arbeit die Familie ernähren zu können

Bogdanel Dumitru ist nach Deutschland gekommen, um Arbeit zu finden und seine Familie ernähren zu können. In seinem heimischen Dorf Slobozia Bradului, 150 Kilometer nordöstlich von Bukarest, gab es keine Arbeit. Und so folgte er den Eltern, den Bekannten und vielen anderen aus seinem Dorf und kam nach Gelsenkirchen. Doch wie alle musste er feststellen: Auch hier ist es nicht leicht, Arbeit zu finden. Als Reinigungskraft arbeitete er – wie viele seiner Landsleute – und bekam für zwölf Stunden schwere Arbeit den Lohn von acht Stunden. „Das ist keine Ausnahme. Und wer nur einen Tag krank ist, muss damit rechnen, dass er rausfliegt in dem Gewerbe“, weiß Georgiana Abbas.

Frühe Vaterschaft lässt vielen keine Zeit für eine schlecht bezahlte Ausbildung

Sie selbst hat eine Ausbildung für den Sozialberatungsdienst absolviert. Konkrete Ausbildungen sind in Rumänien und vor allem in der Gruppe der Roma-Familien eher nicht üblich. Nach der Schule und der Berufsschule, in der auch praktische Fähigkeiten erworben werden, wird gearbeitet. Weil viele der Roma-Familien der Pfingstkirche angehören, für deren Mitglieder Kinderreichtum zu den höchsten Gütern im Leben zählt, werden die meisten sehr früh Eltern. Und müssen folglich schon in jungen Jahren ganze Familien ernähren. Für eine nur gering bezahlte Ausbildungsphase bleibe da keine Zeit, erläutert Abbas. Dass ihr eigener Weg ein anderer war, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sie selbst weder der Pfingstkirche noch der Volksgruppe angehört.

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Auch Bogdanel Dumitru hat keine Ausbildung in diesem Sinne. Aber er arbeitet, immer. Er verdient sein Geld mit dem Austragen und Verteilen von Zeitungen. Von Anzeigenblättern, aber auch der WAZ, für die er bisweilen auch nachts unterwegs ist. Er beklagt sich nicht, habe zwar wenige Kontakte zu Deutschen, verstehe sich aber gut mit den Nachbarn. Er hat Glück mit dem Vermieter, der das Haus in Schuss hält und vernünftige Mietpreise einhält. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

„Es gibt Zuwanderer, mit denen es Probleme gibt. Wir kennen die Ecken.“

„Wir haben schon wirklich schlimme Häuser besucht, zusammen mit dem kommunalen Ordnungsdienst (KOD),“ erklärt Abbas. „1000 Euro für ein Zimmer, kein Wasser im Haus. Diese Häuser werden geräumt. Aber es liegt auch nicht immer nur am Haus, das stimmt. Es gibt auch rumänische Zuwanderer, mit denen es Probleme gibt. Wir wissen das, kennen die Ecken.“ (Anmerkung der Redaktion: Während sie dies erklärt, sind wir auf dem Weg zu einem solchen Haus, an der Herzogstraße in Schalke).

Deutsche wollen die schwere Arbeit im Schlachthof und bei der Ernte nicht machen

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„Es gibt Lernresistente, ja, und es gibt Böse“, fährt sie fort. „Aber die gibt es doch aus allen Ländern, auch bei den Deutschen! Das hat nichts mit unserer Nationalität zu tun. Die allermeisten der 10.000 Zuwanderer aus EU-Ost in Gelsenkirchen wollen hier nur arbeiten, leben und ihre Familien ernähren. Und die Arbeit, die diese Zuwanderer machen, wollen Deutsche nicht machen. Es ist schwere Arbeit, im Schlachthof, im Reinigungsgewerbe, bei der Ernte“, sagt Abbas. Und viel Ärger, der eskaliert, basiere auch auf Missverständnissen.

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„Als ich angefangen habe, gab es Ärger in einem Haus, weil eine deutsche Familie sich gestört fühlte durch den Teppich, der auf dem Nachbarbalkon hing. Zum Trocknen, das war ganz selbstverständlich gewesen für die Zuwandererfamilie. Als wir dann geschellt haben und gesagt, dass es die Nachbarn stört, haben sie sofort den Teppich reingenommen. Und so läuft es oft“, versichert Georgiana Abbas.

Und immer geht es auch um Müll und die Klingel an der Tür

Solche Situationen sind ein Fall für Nachbarschaftshelfer wie Bogdanel Dumitru. In seiner Ausbildung bei der Awo gemeinsam mit dem KOD ging es auch um Deeskalationstraining, um Konflikte leichter lösen zu können. Aber es geht bei seinem Einsatz nicht nur ums Schlichten, sondern auch ums Vorbeugen mit soviel Aufklärung und Information wie möglich.

20 Nachbarschaftshelfer kümmern sich

Seit 2014 werden alljährlich in Gelsenkirchen 30 Menschen zu Integrationslotsen wie Georgiana Abbas ausgebildet. Arbeiterwohlfahrt und Diakonie setzen sie als Brückenbauer ein zwischen Zuwanderern und Einheimischen.

Ausgebildete Nachbarschaftshelfer wie Bogdanel Dumitru, die für eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro im Monat Landsleuten beim Ankommen helfen und unter Nachbarn vermitteln, gibt es bisher erst 20. Das sind nicht wirklich viele, bei allein 10.000 Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien in der Stadt. Aber es ist ein Anfang.

Der Umgang mit Müll und dessen Trennung, ein Name auf der Klingel, um Post erhalten zu können und erreichbar zu sein sowie deutsche Ruhezeiten sind die Hauptthemen, die Neuankömmlingen erklärt werden. In ihren Sprechstunden und bei der Sozialberatung vor Ort spricht Georgiana Abbas auch Gesundheitsthemen an. Es gab Impfaufklärung, Angebote für Kinder zu gesunder Ernährung, Gesundheitslotsen, Unterstützung vom Jugendamt, Sozialberatung zu fast allen Bereichen.

Mehr Offenheit und Mut, Dinge sofort anzusprechen

Was von den Zuwanderern hier erwartet wird, ist klar und wird in der Beratung erklärt. Und was wünschen sich integrationswillige Zuwanderer von den Deutschen? „Ein bisschen mehr Offenheit. Dass angesprochen wird, wenn etwas nicht passt, bei Bedarf gern auch mit Händen und Füßen, bevor sich Probleme aufbauen“, sagt Abbas und lächelt. Lächeln, das könnte auch helfen.