Gelsenkirchen. Alle hatten in der Grundschule Englisch, trotzdem fängt Noahs Klasse 5c am Gauß-Gymnasium in Gelsenkirchen bei Null an. Warum das so ist.
11.30 Uhr, fünfte Stunde, Englisch steht auf dem Plan der Klasse 5c am Gauß-Gymnasium in Gelsenkirchen. Die Kinder aus 14 verschiedenen Grundschulen fangen in Englisch ganz von vorne an, weil gerade das Fach Englisch in den Grundschulen sehr unterschiedlich behandelt wird und ohnehin nur mündlich. „Aber die Aussprache zu üben in einer neuen Sprache im Homeschooling ist extrem schwierig. Über Video Aussprache zu üben und zu kontrollieren ist kaum möglich. Und gerade bei Anfängern ist das ja besonders wichtig“, erklärt Englisch- und zugleich Klassenlehrerin Elke Boele-Keimer.
Besser mit Maske als über Video im Homeschooling
Das Masken-Tragen im Präsenzunterricht macht es zwar auch nicht gerade leichter, die korrekte Aussprache zu kontrollieren. „Aber besser als über Video ist es auf jeden Fall,“ versichert Boele-Keimer. Zumal nicht jedes Kind mit seiner Grundschullehrerin per Video kommunizieren konnte.
Zu Beginn der Stunde steht ein Vokabeltest an. Den gibt es jede Woche: Genau fünf Minuten Zeit für zehn Worte, die auf deutsch ans Whiteboard geschrieben sind. „Am Donnerstag“ ist zum Beispiel gefragt. Beim schriftlichen Vokabeltest ist es mucksmäuschenstill, bei der anschließenden Auflösung wird es lebhaft. Alle Finger gehen hoch. Die Lust aufs Lernen scheint groß.
Spielen und Lernen Hand in Hand
Noch lebendiger aber wird es beim folgenden Spiel: „What’s in the box?“ Dabei legt ein Schüler einen Gegenstand – vom Radiergummi über einen Marker bis zur Schere – unter einem Tuch für die Klasse verborgen in einen Karton, die Mitschüler dürfen raten, was drin ist. Brian rappelt nach Kräften mit der Kiste, um Hinweise zu geben. „Rubber“ ruft Mia in die Klasse. „Please answer in full sentences“, ‘bitte antwortet in ganzen Sätzen’, fordert die Lehrerin. „Is it a rubber?“ setzt Mia neu an und Brian bestätigt: „Yes, it is a rubber“.
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In die Klasse kommt Bewegung, jeder möchte rappeln, aber das darf nur, wer zuerst richtig geraten hat. Und es muss immer abwechselnd ein Junge und ein Mädchen sein, die Regel gilt bei allem. Auch bei der Sitzordnung und bei den Klassensprechern, die in der zweiten Schulwoche gewählt worden sind. Noah ist es geworden „mit 20 Stimmen“, freut sich der Junge, der gerade erst zehn Jahre alt geworden ist. Mit ihm wurde Mia auserkoren. Mia, genannt Mimi, weil noch zwei weitere Mädchen namens Mia in der Klasse sind. Noch vor den Ferien werden die beiden bei der ersten Sitzung der Schülervertretung teilnehmen. Sie sind gespannt.
Bei Partnerübungen wird es richtig turbulent
Nach dem Ratespiel mit der Kiste folgt eine Hör-Übung: Vom digitalen Band wird eine Geschichte auf Englisch über einen Zoobesuch erzählt, die Fünftklässler sollen den Weg durch den Zoo auf dem dazu ausgegebenen Bild und auf dem Whiteboard nachzeichnen. Das klappt erstaunlich gut, zumal das Verstehen durch die corona-bedingt offenen Fenster nicht einfacher wird. Nach dem Spiel ist Pause, zehn Minuten, danach gibt es Partnerübungen, Zwiegespräche. „Da wird es richtig turbulent“, kündigt die Lehrerin an.
15 bis 60 Minuten Hausaufgaben
Obwohl die Klasse unübersehbar Spaß hatte am Lernen, stürmen die meisten in der Pause raus. Noah hat Tischtennisschläger dabei. Es ist sein neuer Lieblingssport, in jeder Pause spielt er, und nachmittags im Verein. Auch Basketball hat er für sich entdeckt. Ob er bei soviel Sport genug Zeit zum Lernen hat? „Na klar“, kommentiert er knapp und auf Nachfrage gibt sich auch die Mutter entspannt. 15 bis 60 Minuten braucht Noah nach eigener Schätzung täglich für die Hausaufgaben, „das ist ok“, findet er. Vor der ersten Arbeit – noch vor den Herbstferien – hat er keine Angst.
Große Herausforderungen für Lehrkräfte und Schülerschaft
Die WAZ begleitet Noah und seine Klasse in den ersten Monaten nach seinem Wechsel von der Grundschule ans Gymnasium. Der Schulwechsel nach dem langen Homeschooling, in dem die Lernbedingungen für Kinder noch unterschiedlicher waren als ohnehin, stellen Lehrkräfte und Kinder vor große Herausforderungen.
Zu den 29 Kindern vom ersten Tag sind hier in der 5c zwei weitere hinzu gekommen. Kinder, deren Deutschkenntnisse noch sehr rudimentär sind und die extra gefördert werden. Die sprachkundige Marina sitzt mittlerweile neben dem neu zugezogenen Jungen aus Serbien und übersetzt für ihn bei Bedarf.
Auch bei den beiden Neuen haben sich schon dolmetschende Nachbarkinder gefunden, berichtet die Lehrerin erleichtert. Langsam wird allerdings der Platz im kleinen Klassenraum extrem knapp. Jedenfalls, wenn die vier Kinder, die aktuell in Quarantäne sind, wiederkommen.