Gelsenkirchen-Resse. Der in Gelsenkirchen-Resse aufgewachsene Star-Bariton sang für Schwerkranke. Die meisten seiner Zuhörer konnte er gar nicht sehen.
Das gibt es nicht häufig: Der renommierte Bariton Oskar Hillebrandt singt, und jene, für die er es tut, sind gar nicht sichtbar. So aber ist es heute im Emmaus-Hospiz. Der einstige Resser steht im Wohnzimmer der Einrichtung an der Ahornstraße, gleich neben dem Klavier, und singt von Heinrich, dem Vogeler. Am Klavier begleitet wird er von Yuna Saito, Pianistin am Musiktheater. Die „Gäste“, wie man sie hier nennt, also die Patienten, sind in ihren Zimmern geblieben. Durch die geöffneten Türen aber können sie den Gesang hören.
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Vor zwei Jahren hat Hillebrandt erstmals engeren Kontakt zum Hospiz, gibt damals ein Konzert in der Matthäuskirche zugunsten der Einrichtung. In den Räumen an der Ahornstraße singt er zum ersten Mal. „Das ist schon etwas Besonderes“, sagt er, dem die Einrichtung sehr am Herzen liegt. Schon im Vorfeld hat man ihn darauf vorbereitet, dass es sein könne, dass keiner der Gäste in der Lage ist, dem Konzert tatsächlich beizuwohnen. Der Profi, der im Laufe seiner Karriere schon auf allen bekannten Opernbühnen gestanden hat, Bayreuther Festspiele inklusive, trägt das mit Fassung: „Ich bin es auch gewohnt, vor zwei oder drei Leuten zu spielen. Das macht mir nichts aus. So sind die Gelsenkirchener. Die sind etwas robuster.“ Gut, dass er seine Familie und ein paar Freunde mitgebracht hat.
Ein sinnliches Erlebnis
Umso größer ist die Freude, als eine Dame dann doch noch im Rollstuhl in den Raum geschoben wird. Für sie ist es wohl ebenfalls ein besonderer Moment. Denn als der Kammersänger so kraftvoll wie virtuos seine Stimme erhebt, da hört man jene nicht nur, da spürt man sie förmlich in diesem kleinen Raum. Da vibriert die Luft, wird das Erlebnis noch sinnlicher.
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Das berührt alle Beteiligten. Yuna Saito, die den Bariton schon lange kennt, ist sehr emotional. „Ich finde es schön, für Menschen in solch besonderen Lebenssituationen zu spielen.“ Und auch Michael Rohr, Sozialarbeiter im Leitungsteam der Einrichtung, ist begeistert. „Alle Künstler, die sich für uns einsetzen wollen, sind für uns sehr wertvoll.“
Opern-Star hält Kontakte in seine Heimat
Oskar Hillebrandt wird zwar 1943 in Schopfheim (Baden-Württemberg) geboren, dies aber ist den Kriegswirren geschuldet. Die Familie stammt aus Resse und hier verbringt er große Teile seiner Kindheit und Jugend.
In der Gelsenkirchener Heimat erhält er auch im Alter von 14 Jahren seinen ersten Gesangsunterricht. Im Laufe seiner Karriere steht er auf zahlreichen Opernbühnen, singt in der Mailänder Scala, in der Carnegie Hall in New York, im Royal Opera House. Er wirkt mit bei den Bayreuther Festspielen und ebenso bei den Bregenzer Festspielen – und kehrt doch in regelmäßigen Abständen in die Heimat von einst zurück.
Überhaupt gebe es vielfach Konzerte im Hospiz – mit so verschiedenen Musikrichtungen wie hier Geschmäcker vereint sind. Mit dem Umstand, dass nur wenige Gäste am Konzert teilnehmen können, müsse man umgehen. So sei das Leben im Hospiz: niemals berechenbar. Dennoch würden solche Momente wertgeschätzt. „Und die Töne verbreiten sich über die Gänge in die Zimmer.“
Musik weckt Erinnerungen
Sofern deren Bewohner das so möchten. „Jeder Gast hat ja auch einen anderen Musikgeschmack“, erzählt Krankenschwester Violette Arndt und erklärt, es sei ganz unterschiedlich, wie Menschen auf die jeweiligen Stücke reagieren. „Musik hat ja etwas mit der Vergangenheit zu tun, sie weckt Erinnerungen.“ Gute wie schlechte. „Deswegen fragen wir die Gäste und Angehörigen, welche Musik sie mögen.“ Noch ein Aspekt: „Musik hat etwas sehr Kraftvolles.“ Das könne natürlich guttun, Lebensfreude und Energie freisetzen. Wenn aber jemand gerade starke Schmerzen habe, könne der Reiz zu groß sein. „Dann brauchen die Menschen vor allem Ruhe.“ Und dann bleibe die Türe zum Zimmer natürlich geschlossen.
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Drei Loewe-Lieder hat Oskar Hillebrandt mitgebracht. Das letzte: „Die Uhr“. Ein Lied über die Lebenszeit, die hier ganz anders erfahren wird als draußen. Es folgt noch „Zueignung“ von Richard Strauß – als kleine Zugabe. Dann bedankt sich der Weltstar für den Applaus weniger Hände und reist weiter. Nicht aber ohne zu versprechen: „Ich komme gerne wieder.“
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