Gelsenkirchen. Die CDU Gelsenkirchen sagt: Kinder sehen Mitschülern beim Essen zu, weil Hilfsgelder nicht beantragt werden. Wie eine Scheckkarte helfen könnte.
Was die Gelsenkirchener CDU-Fraktion in einer Anfrage an die Verwaltung schildert, klingt erschreckend: Weil offenbar zu wenig bedürftige Familien die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragen, um ihre Kinder für ein warmes Essen in der Schule anzumelden, würden manche Schüler am Mittag überhaupt nicht versorgt. Exemplarisch habe dies die CDU aus der Gesamtschule Berger Feld geschildert bekommen. „Faktisch müssen die Kinder ihren Mitschüler beim Essen zusehen“, schreibt CDU-Ratsherr Alfred Brosch in seiner Anfrage.
Nicht mal jeder zehnte Anspruchsberechtigte ruft in Gelsenkirchen Mittel ab
Fakt ist: Obwohl das Bildungs- und Teilhabepaket, das Kindern von Hartz-IV- und Sozialhilfeempfängern Unterstützung für Bücher, Schulessen oder Klassenausflüge sichern soll, schon vor zehn Jahren eingeführt wurde, rufen NRW-weit immer noch wenig Menschen die Mittel ab. Einer Studie des Paritätischen vom Ende des vergangenen Jahres zufolge kommen die Mittel in Gelsenkirchen nicht mal bei jedem zehnten Anspruchsberechtigten an. Die sogenannte Teilhabequote beträgt hier nur 9,2 Prozent - rund fünf Prozent weniger als im NRW-Schnitt. Fokussiert hat sich der Verband dabei auf die Mittel aus dem Paket, die für Sport, Musik oder Kultur zur Verfügung stehen, eine Einzelerhebung fürs Schulessen gibt es nicht.
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Das steckt im Teilhabepaket
Das Bildungs- und Teilhabepaket beinhaltet einen Pauschalbetrag von 15 Euro im Monat, der etwa für Musikunterricht, die Mitgliedschaft in einem Sportverein oder Babyschwimmen genutzt werden kann. Zusätzlich gibt es ein Schulbedarfspaket in Höhe von 154,50 Euro je Schuljahr. Die Kosten für Kita- oder Schulausflüge werden komplett übernommen.
In vielen anderen Ruhrgebietsstädten ist die Quote ähnlich schlecht: In Essen liegt sie bei nur 8 Prozent, in Oberhausen bei 9,9 Prozent und in Bottrop bei 9,7 Prozent. Die große Ausnahme ist Hamm. Dort erreicht man seit Jahren eine Quote von über 90 Prozent. Der Grund: Die dortige Verwaltung hat bereits vor Jahren eine Scheckkarte für arme Familien eingeführt, über die Leistungen aus dem Bildungspaket auf simple Weise abgerechnet werden können. Einzelanträge für Schulmaterial oder Mittagsverpflegung werden damit überflüssig. Inzwischen macht die Bildungskarte auch in anderen Städten Schule, am 1. Februar wurde sie etwa auch in Oberhausen eingeführt.
Stadt: Wir machen es den Leistungsberechtigten einfach
Dennoch schreibt die Stadt in ihrer Antwort an die Anfrage der CDU: „Das Team Bildung und Teilhabe unternimmt vielfältige Anstrengungen, damit nicht nur die Kostenübernahme des Mittagessens, sondern alle Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes in Anspruch genommen werden.“ Anträge seien bewusst einfach gehalten, für den Bereich Mittagessen reiche pro Schuljahr einer aus. Als „besonderen Service“ erinnere man alle Bezieher des Mittagessens vor Ende des Schuljahres an die Möglichkeit, das Angebot zu verlängern. [Lesen Sie auch:Große Beliebtheitsunterschiede bei Gelsenkirchens Schulen]
Die geschilderte Situation aus der Gesamtschule Berger Feld sei „weder bekannt, noch wurde sie in dieser Form bisher an die Verwaltung herangetragen.“ Ohne die Benennung konkreter Fälle könne nicht beurteilt werden, welche Gründe für die nicht vorhandene Teilnahme an dem Bildungspaket vorliegt, heißt es.
Schulleiterin zum Bildungs- und Teilhabepaket: Es braucht ein einfacheres Verfahren
Maike Selter-Beer, Schulleiterin der Gesamtschule Berger Feld, beobachtet in ihrer Mensa nicht, dass dort täglich hungernde neben satten Kinder sitzen müssen. Allerdings sieht auch sie Probleme beim Bildungs- und Teilhabepaket. „Das Verfahren ist entsetzlich umständlich“, beklagt sie. Zwar würden die Lehrkräfte darauf achten, dass alle anspruchsberechtigten Eltern erreicht werden. Allerdings bedeute die Hilfe bei der Antragstellung immer auch Mehraufwand.
„Manchmal scheint vergessen zu werden, dass Bildung und Erziehung unsere Kernkompetenzen sind, nicht zuletzt haben wir aber durch Corona zahlreiche Sonderaufgaben erhalten.“ Die Verfahren für die staatlichen Hilfsgelder zu vereinfachen sei deshalb nicht nur sinnvoll für Eltern, sondern könne auch die Lehrkräfte ein Stück weit entlasten. Eine Scheckkarte wie in Hamm oder nun in Oberhausen hält Selter-Beer dabei für eine gute Idee. [Lesen Sie auch:An Gelsenkirchener Schulen sind 155 Stellen nicht besetzt]
“Fassungslos und wütend“: Der Paritätische über die Situation in Gelsenkirchen
Martin Debener, Fachreferent für Armut und Grundsicherung beim Paritätischen, fragt sich, warum man die Vereinfachung der Teilhabe zehn Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes immer noch fordern muss. „Das macht mich fassungslos und wütend.“ Die seit Jahren schlechten Teilhabequoten hätten Kommunen wie Gelsenkirchen längst als Alarmsignal verstehen müssen, um endlich über neue Wege nachzudenken. „Hamm bekommt es mit der Karte auf die Reihe - warum so viele anderen Städte nicht?“
Für Nichtmuttersprachler sei alleine das Wort „Bildungs- und Teilhabepaket“ eine Überforderung, deswegen müsse man das Verfahren so einfach wie möglich gestalten. „Es kann nicht sein“, sagt Debener, „dass manche Kinder aufgrund Bürokratieschwierigkeiten anscheinend immer noch kein anständiges Essen in der Schule bekommen.“