Gelsenkirchen. Birgitt B. wiegt 119 Kilo. Im Alltag erlebt die Gelsenkirchenerin abwertende Blicke und Diskriminierung. Sie wünscht sich mehr Verständnis.
„Moppelig“ sei sie schon als Kleinkind gewesen, sagt Birgitt B. Heute wiegt die 1,73 große Schalkerin 119 Kilo. Damit gilt sie als adipös, hat also ein deutlich erhöhtes Übergewicht. Die 54-Jährige, die ihren vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, ist grundsätzlich mit sich im Reinen. Trotzdem aber gibt es Situationen, in denen sie sich ungerecht behandelt und diskriminiert fühlt: Denn das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Adipositas, so ihre Erfahrung, ist häufig von Vorurteilen geprägt.
„Man spürt die Blicke der Leute, es gibt blöde Bemerkungen“, sagt Birgitt B. „Viele denken eben immer noch, die Betroffenen sind einfach, dick, dumm und gefräßig.“ Dass viele Adipöse sich durchaus bewegten, sei den meisten gar nicht klar. „Ich selbst habe – als es gesundheitlich noch möglich war – immer gern Sport gemacht und sogar eine Hockergymnastik-Gruppe für Übergewichtige gegründet“, so die 54-Jährige.
Erfahrung der Gelsenkirchenerin: Ärzte geben Universalratschlag „Abnehmen“
Weiter gehe es beim Arzt. „Wenn ein adipöser Mensch irgendetwas hat, dann lautet die Diagnose oft: ‘Sie müssen abnehmen, essen Sie einfach weniger’. Weiter wird gar nicht geschaut“, schildert Birgitt B. „Außerdem gibt es Ärzte, die die Behandlung von Übergewichten von vornherein ablehnen.“ Und letztlich seien es eben die kleinen, einfach unangenehmen Situationen im Alltag. Zum Beispiel der zu kleine Stuhl im Restaurant, bei dem man immer Angst haben müsse, dass er am Po kleben bleibt, wenn man aufsteht.
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Sucht Birgitt B. die Ursache für ihr Übergewicht, so wird sie vor allem in ihrer Kindheit fündig. „Mit vier Jahren hatte ich den typischen Babyspeck. In einer Kinderkur gab man mir daraufhin Appetitzügler“, erzählt sie. Die Rede ist von Pillen, die sogar „Erwachsene reihenweise zum Umkippen brachten“, und die sicher nicht für Kinder geeignet waren. „Das hat meine Kalorienzufuhr komplett geschrottet“, sagt B. Recht früh habe sich ihr Gewicht dann auf dem heutigen Niveau, bei etwa 119 Kilo, eingependelt.
Gelsenkirchenerin ließ eine Magen-Operation vornehmen – „Kein Allheilmittel“
„Ich habe natürlich 1000 Diäten gemacht“, sagt Birgitt B. Die hätten meist auch zumindest vorerst gewirkt – doch irgendwann kam immer wieder der Jojo-Effekt. Vor einigen Jahren dann erkrankte die Gelsenkirchenerin an Rheuma, musste Cortison nehmen. In der Folge stieg ihr Gewicht auf 187 Kilo. Der medikamentenbedingten Zunahme konnte sie nur mit einer Magen-Operation Herr werden.
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„Eine OP ist kein Allheilmittel und ich würde sie nicht jedem empfehlen“, sagt B. heute. Denn schließlich bedeute Adipositas nicht einfach nur: Man hat nur zu viel gegessen. Vielmehr gebe es Stressesser oder Frustesser, bei denen erst einmal eine Therapie vonnöten sei. Und: „Bei einem Magenbypass erleidet man einen hohen Vitaminmangel. Die fehlenden Vitamine muss man sein Leben lang ergänzen.“
Adipositas-Verband hilft Betroffenen und kämpft gegen Diskriminierung
Abnehmkurs für Menschen mit schwerer Adipositas
Im Bergmannsheil Buer gibt es einen Abnehmkurs speziell für Menschen mit einem BMI ab 40. „E.a.t. XXL“ soll Betroffenen dabei helfen, ihr Gewicht dauerhaft in den Griff zu bekommen. Der Kurs besteht aus Ernährungstraining, Mentaltraining und Bewegungstraining.
Ein Kurs dauert zehn Monate. Die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen ist nach Einzelfallprüfung möglich. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass der Hausarzt die Betroffenen vorher untersucht sein Okay gegeben hat.
Aller Informationen gibt es auf der Homepage des Bergmannsheil Buer.
Auf ihre Ernährung achten muss Birgitt B. auch nach der Operation. Gesundes Essen ist ihr wichtig, genau wie der tägliche Gang zur Waage. „Damit mache ich mich nicht verrückt, für mich ist das eher ein Ritual geworden“, sagt sie. Weiter abzunehmen, das scheint ihr unrealistisch: „Unter mein jetziges Gewicht bin ich in all den Jahren nie gekommen.“ Doch wenn die Waage ein Kilo zu viel anzeigt, ist sie bereit, sofort gegenzusteuern.
Um anderen Betroffenen zu helfen, engagiert sich B. im Adipositas-Verband Deutschland. Gemeinsam kämpfen sie dort gegen Diskriminierung. Sehr froh ist die 54-Jährige darüber, dass Adipositas mittlerweile offiziell als Krankheit anerkannt ist. Dafür fehle aber oft noch das gesellschaftliche Verständnis. Deshalb hat der Verband gemeinsam mit zwei anderen Organisationen vor kurzem Karten zum Verteilen gedruckt. „Gewichtsdiskriminierung – Nein danke“, steht auf einer. Und auf der anderen: „An 1. Stelle bin ich Mensch.“
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