Gelsenkirchen. Mit „Experten des Alltags“ arbeitet Theatermacher Volker Lösch in Gelsenkirchen. Stück „Stadt der Arbeit“ läuft im Musiktheater zur Saisonstart.
Einst trug sie stolz den Titel „Stadt der tausend Feuer“. Geblieben ist vom Glanz der prosperierenden Industriemetropole nur noch der Mythos. Heute wird Gelsenkirchen vor allem durch die hohe Arbeitslosenquote geprägt. Was das mit den Menschen vor Ort macht, das will der bekannte Berliner Theaterregisseur Volker Lösch am Musiktheater im Revier mit seiner Produktion „Stadt der Arbeit“ untersuchen.
Die Hauptrolle auf der Bühne werden dabei Frauen und Männer aus Gelsenkirchen spielen. Und zwar genau solche, die Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Armut hautnah erlebt haben, die ihren Job verloren oder nie einen gefunden haben, die aus der Gesellschaft herausgefallen sind. MiR-Intendant Michael Schulz wird die nächste Spielzeit Mitte September nicht mit einer klassischen Oper von Verdi, Wagner oder Mozart eröffnen, sondern mit diesem außergewöhnlichen, experimentellen, stadt-soziologischen und gesellschaftsrelevanten Projekt.
Theatermacher setzt sich in Gelsenkirchen mit gesellschaftlichen Verwerfungen auseinander
Dafür konnte das MiR Regisseur Volker Lösch (Jahrgang 1963) gewinnen, der sich in zahlreichen Produktionen an großen Häusern mit den Miseren dieser Zeit, mit sozialen Fragen und gesellschaftlichen Verwerfungen auseinandergesetzt hat und dabei immer wieder Betroffene zu Wort kommen ließ. Intendant Michael Schulz lernte einige der Produktionen von Volker Lösch kennen und lud ihn ans Haus ein.
Menschen und ihre Geschichten
Drei Mitspieler und ihre Geschichten werden noch gesucht für das Theaterprojekt „Stadt der Arbeit“. Interessenten können eine Mail schicken an: mitmachen@musiktheater-im-revier.de oder anrufen unter: 0178 1491863
Regie führt der Berliner Theatermacher Volker Lösch, der zu den wichtigen politischen Regisseuren des Gegenwartstheaters zählt. Oft erarbeitet er mit Profis des jeweiligen Ensembles und Vertretern sozialer Gruppen gemeinsam eine Produktion.
Die Grundidee war“, so Lösch, „Gelsenkirchen auf der Bühne abzubilden. Da waren wir schnell beim Thema Arbeit.“ Was einen durchaus traurigen Aspekt habe: „Die Stadt landet derzeit bei vielen Rankings ganz unten, wird als Armenhaus der Republik gehandelt.“Um Menschen zu finden, die von dieser Situation bedrückend betroffen sind und darüber erzählen können, gab es bereits im letzten Herbst ein Casting am Musiktheater. „Wir haben Leute gesucht, deren Biografien in besonderer Weise durch das Thema Arbeit geprägt worden sind.“
Drei Mitspieler, die ihre Geschichten rund ums Thema Arbeit erzählen wollen, werden noch gesucht
Auch der für Lösch überholte Begriff der „Vollbeschäftigung“ soll auf den Prüfstand kommen: „Die gibt es nicht mehr, das Arbeitsamt strebt sie aber immer noch an.“ Dadurch würden Schicksale entschieden, „Menschen in Sackgassen geparkt“ und die Politik schaue zu. Es sei ein Skandal, auf die Potenziale dieser Menschen zu verzichten: „Die Theaterproduktion wird ein Gegenentwurf sein zu dieser Entsolidarisierung.“
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Drei Mitspielerinnen und Mitspieler werden für die Inszenierung noch gesucht, zwölf sind bereits gefunden. Sie sind zwischen 20 und 70 Jahre alt. „Darunter zum Beispiel Langzeitarbeitslose, Alleinstehende, ein Mann, der sein Leben lang gearbeitet hat, aber von seiner Rente nicht leben kann, Ehrenamtler, die immer umsonst im Einsatz waren oder Menschen, die von ganz Oben nach ganz Unten gefallen sind“, beschreibt der Regisseur seine bereits entdeckten „Experten des Alltags“, wie er sie nennt. Das Wort „Laiendarsteller“ nutzt er bewusst nicht.
Das Grundgerüst der Inszenierung entstand gemeinsam mit dem Berliner Autor Ulf Schmidt
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Und mit Statisterie hätten diese Rollen ohnehin nichts gemein. „Diese Menschen werden auf der Bühne sprechen, erzählen, tanzen, singen, sie sind die Hauptdarsteller.“ Das Grundgerüst der Inszenierung „Stadt der Arbeit“ steht. Es entstand gemeinsam mit dem Berliner Autor Ulf Schmidt. Die kompletten Texte, Szenen und Spielhandlungen aber entwickeln sich erst in Zusammenarbeit mit den Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern. Unterstützt werden sie dabei von den Profis des Hauses, von einer Sängerin und einem Sänger, zwei Schauspielern und einer Band.
Alle Darsteller erhalten eine Gage für die Proben im Musiktheater und die Aufführungen
Wer noch mitspielen möchte, kann am nächsten Casting am 7. Juni teilnehmen. Theatererfahrung muss niemand haben. Neben dem biografischen Bezug zum Thema Arbeit sollten Interessenten viel Zeit mitbringen und körperlich fit sein. Denn geprobt wird wie bei den Profis acht Stunden am Tag. Der erste Probenblock findet am 8. Juni für vier Wochen statt, der zweite dann im August bis zur Premiere. Das alles unter Coronaschutzmaßnahmen. Vorstellungen sind bis Dezember geplant. Und: Für alle Teilnehmenden gibt es eine Gage.
Auch wenn Volker Lösch aus Berlin anreist, kennt er das Ruhrgebiet sehr gut. Häufig inszenierte er am Grillo-Theater in Essen, am Theater Oberhausen, besuchte das Bochumer Schauspielhaus: „Ich schätze die Menschen hier sehr, mag das Direkte, dieses nicht Drumherumreden.“ Das Arbeiten im Ruhrgebiet, versichert Volker Lösch, mache ihm immer besonders viel Spaß.
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