Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, reagiert auf die antisemitischen Proteste in Gelsenkirchen. Ein Gastbeitrag.
Wieder einmal müssen wir als jüdische Gemeinde fassungslos erleben, dass Menschen mit verzerrten Gesichtern und geballten Fäusten vor unserer und auch vor anderen Synagogen stehen und ihren Judenhass ungeniert herausbrüllen. Wieder einmal sind es Menschen, die keiner von uns kennt, aber vor allem auch, die keinen von uns kennen. Wieder einmal fragen wir uns: Hört das denn niemals auf?
Natürlich hat dieser Hass auf jedes Mitglied unserer Gemeinde eine emotionale Auswirkung. Wir begehen am Sonntag einen hohen jüdischen Feiertag und wollen gemeinsam beten und miteinander feiern. Keiner von uns wird den Gang zur Synagoge unbelastet zurücklegen. Jeder von uns wird sich fragen, was passiert heute? Zum Glück ist unsere Gemeinde eine starke Gemeinschaft, in der jeder jeden unterstützt. Das hilft in diesen Tagen ungemein.
Hass, Antisemitismus und Rassismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben
Auch interessant
Aber wieder einmal versuchen wir, aus dieser Situation Kraft zu tanken und unsere Anstrengungen, dagegen anzugehen, zu verstärken. Wir wissen, dass diese Menschen in ihrem grenzenlosen Hass nicht mit uns reden werden. Bei ihnen ist es viel mehr wichtig, dass sie realisieren, dass sie das, was sie machen, nicht ungestraft machen dürfen. Hass, Antisemitismus und Rassismus dürfen in unserer Gesellschaft nämlich keinen Platz haben. Nicht einen Millimeter.
Zur Person
Judith Neuwald-Tasbach wurde im Mai 2007 zur ehrenamtlichen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde gewählt. 1960 geboren, wuchs sie als Kind von Holocaust-Überlebenden in Gelsenkirchen auf. Ihr Vater Kurt Neuwald war in den 1950er Jahren Gründer und bis 2001 Vorsitzender und später Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, die aktuell rund 400 Mitglieder hat.
Judith Neuwald-Tasbach initiierte zahlreiche Veranstaltungen für verschiedene Personen- und Altersgruppen, um jüdisches Leben mit seinen kulturellen und religiösen Facetten in der Region sichtbar und erfahrbar zu machen. Dazu zählen Führungen durch die Neue Synagoge, Vermittlungen von Kenntnissen zur Geschichte des deutschen Judentums und zur Judenverfolgung.
2017 wurde Judith Neuwald-Tasbach das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Wir versuchen daher, den Menschen, die sich für unsere Religion und Kultur interessieren, in Führungen, in Gesprächen und in gemeinsamen Aktionen die Möglichkeit zu geben, auf Basis von Informationen und persönlichen Eindrücken ihre eigene Meinung über unsere Religion zu bilden. Seit der Eröffnung der Neuen Synagoge haben schon weit mehr als 60.000 Menschen diese Chance genutzt.
Schlüssel für eine Veränderung liegt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Der Schlüssel für eine Veränderung dieser Situation liegt aus meiner Sicht aber in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie sind den Vorurteilen, die sie zuhause, in der Schule und in ihrem Freundeskreis erleben, vollkommen ungeschützt ausgeliefert. Sie sind es aber auch, die bei Führungen in unserer Gemeinde deutlich zeigen, dass sie diese Vorurteile löschen können, weil der persönliche Eindruck, und die Geschichten aus dem Leben unserer Mitglieder plötzlich etwas Reales sind und sich in ihren Köpfen festsetzen können.
.
Auch interessant
Die zahlreichen berührenden und mutmachenden Emails, Apps, SMS und Anrufe, die uns als Reaktion auf diesen Vorfall erreichen, zeigen uns, dass sich dieser Einsatz auszahlt. Sie zeigen uns, dass die Neue Synagoge nicht nur im Herzen von Gelsenkirchen steht, sondern vor allem, dass die jüdische Gemeinde schon lange im Herzen unserer Bürger*innen angekommen ist.
Ja, es schmerzt, wenn man Zusammenrottungen dieser Art miterleben muss, es ängstigt auch sicherlich viele, vor allem ältere Mitglieder unserer Gemeinde, die damit schlimme Erinnerungen verbinden. Es kostet unendlich viel Kraft, Emotion und der feste Glaube an das Gute im Menschen, um diesen Weg immer weiterzugehen.
Aber es lohnt sich, weil wir alle wissen: Diese hasserfüllten Menschen sind nicht Gelsenkirchen!
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Gelsenkirchen in unserem Newsblog