Gelsenkirchen. Nach den antisemitischen Parolen bei einer Demo in Gelsenkirchen ermittelt der Staatsschutz. Laut Polizei gilt ein weiter Mann als tatverdächtig.

Anlässlich des blutigen Nahost-Konflikts zwischen Israel und extremistischen Palästinensern hatten sich in Gelsenkirchen am Mittwochabend, 12. Mai, etwa 180 Menschen zu einer Demonstration versammelt. Fahnenschwenkend und „Kindermörder Israel“ skandierend zog der Protestzug gegen 17.40 Uhr über den Bahnhofsvorplatz in Richtung Synagoge. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat auf seinem Twitter-Profil auch ein Video davon veröffentlicht.

Wie im Laufe des Freitages bekannt wurde, gilt nun auch ein weiter Mann als Tatverdächtiger. Es handele sich um einen 30-jährigen Deutschen, der in Gelsenkirchen lebt. Man sei zuversichtlich, weitere Tatverdächtige zu identifizieren, sagte ein Polizeisprecher. Es seien zahlreiche Hinweise eingegangen. Die Polizei sprach von einer Spontanversammlung – wer initiativ zu der Veranstaltung aufgerufen hatte, ist laut Polizei unklar. Geprüft wird der Straftatbestand der Volksverhetzung.

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Am Donnerstagabend vermeldete die Gelsenkirchener Polizei einen ersten Ermittlungserfolg: Man habe einen Tatverdächtigen identifizieren können, es handle sich um einen 26-jährigen Deutsch-Libanesen aus Gelsenkirchen. Der Staatsschutz habe eine Ermittlungskommission eingerichtet, "um zügig weitere Details aufzuklären".

Polizeikräfte stoppen Protestler an der Gildenstraße in Gelsenkirchen

Nach Angaben der Gelsenkirchener Polizei waren die Demonstrierenden am Mittwochabend auf Höhe der Volksbank an der Ecke Gildenstraße/Kirchstraße in der Altstadt von Einsatzkräften gestoppt worden. Die jüdische Synagoge befindet sich in der Nähe an der Georgstraße. Der Demonstrationszug machte kurz darauf kehrt und zog über die Bochumer Straße zum Wissenschaftspark an der Munscheidstraße in Ückendorf. Nach einer Abschlusskundgebung löste sich die Demonstration auf.

Auf dem Video ist zu sehen, dass Beamte trotz der Parolen nicht eingriffen. Das oberste Ziel sei der Schutz der Synagoge gewesen, hatte die Polizei am Donnerstag erklärt. Es seien zunächst nicht genug Beamte vor Ort gewesen, um gleichzeitig Tatverdächtige aus der Menge zu ziehen. Als weitere Beamte eingetroffen seien, habe sich der Demonstrationszug bereits wieder aufgelöst, hieß es.

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Nach dem Ende der Demonstration gegen 19.40 Uhr sorgte die Polizei im Bereich der Altstadt für Sicherheit und Ordnung. Bei dem Einsatz seien auch "Einsatzmehrzweckstöcke" benutzt worden, heißt es seitens der Polizei. Verletzt worden sei nach bisherigen Erkenntnissen niemand.

OB Welge: "Tolerieren bei uns keinen Antisemitismus"

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge hat unmittelbar nach den Vorfällen Kontakt zur Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Judith Neuwald-Tasbach, aufgenommen und deutlich gemacht: „Wir tolerieren bei uns weder Hass, Hetze, Gewalt noch Antisemitismus. Natürlich darf jeder seine Meinung äußern und bei Demonstrationen die Politik eines anderen Staates kritisieren. Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in Deutschland, rechtfertigt allerdings keine Volksverhetzung und erst recht keine Gewalt gegen Menschen oder Gebäude“. Welge setze nun auf Staatsanwaltschaft und Polizei, um die Demonstrierenden zu ermitteln.

Polizeipräsidentin Britta Zur äußert sich angesichts der Ereignisse erschüttert: „Rassismus und Antisemitismus haben in Gelsenkirchen keinen Platz. Die schrecklichen Parolen, die in der Gelsenkirchener Altstadt skandiert wurden, sind durch nichts zu entschuldigen. Ich bin erschüttert über diesen Hass und verurteile das Auftreten dieser Personen auf das Schärfste. Die Polizei Gelsenkirchen wird alles dafür tun, die dafür verantwortlichen Personen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen.“

Kirche und Musiktheater verurteilen die Ausschreitungen

Die katholische und evangelische Kirche bekunden ihre Solidarität. Superintendent Heiner Montanus (evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid) und der katholische Stadtdechant Markus Pottbäcker teilen mit: „Mit Abscheu nehmen wir wahr, dass es in unserer Stadt zu antisemitischen Ausschreitungen nahe der Synagoge gekommen ist. Wir stehen an der Seite der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und der jüdischen Mitbürgerinnen unserer Stadt. Wir stehen an ihrer Seite, weil wir Demokratinnen und Demokraten sind. Und weil wir Christen und Christinnen sind. Die gestrigen Ausschreitungen haben Menschen in ihrer Würde verletzt. Diese Ausschreitungen waren nicht anti-israelisch, sondern anti-semitisch. Mit Antisemiten haben wir nichts gemeinsam. Sie sind unsere Gegner.“

Michael Schulz, Intendant des Musiktheaters im Revier äußert sich ähnlich: „Das Musiktheater im Revier, aber auch ich persönlich schäme mich dafür, dass Juden in Gelsenkirchen und in ganz Deutschland sowie die Unversehrtheit von jüdischen Gotteshäusern erneut in nicht zu ertragender Art und Weise zum Ziel von Hass und Gewaltbereitschaft werden. Wiederholt müssen sie als Symbol für politisch motivierte Zielsetzung und Handlung herhalten, die Leib und Leben, Hab und Gut in Gefahr bringen. Das darf nicht sein! Das Musiktheater im Revier steht an der Seite der Bedrohten und Beschimpften und verurteilt die Übergriffe aus Wort und Tat auf das Schärfste.“

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Innenminister Reul: "Antisemitische Parolen sind unerträglich"

Die antisemitischen Ausschreitungen der vergangenen Tage sind nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums einem gemischten Täterspektrum zuzuschreiben. „Das sind nicht nur palästinensische Gruppen“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Freitag im „Morgenecho“ von WDR 5. Zwar seien die Fälle noch nicht zu 100 Prozent ermittelt, es gehe aber insgesamt um Menschen aus dem arabischen Raum, aus Syrien etwa und im Fall eines Verdächtigen aus Gelsenkirchen um einen Deutsch-Libanesen. „Da mischt sich unheimlich viel zusammen.“

Reul bezeichnete es im WDR als „erschreckend, nicht akzeptabel, unerträglich, wenn auf deutschem Boden antisemitische Parolen skandiert werden“. Jüdisches Leben in Deutschland müsste eine Selbstverständlichkeit sein. Die Vorfälle zeigten auch, dass die Bürger, insbesondere junge Leute, noch besser aufgeklärt werden müssten, meinte Reul. Dies sei aber nicht nur ein Bildungsauftrag für die Schulen, die ohnehin schon sehr viele Aufgaben zu leisten hätten, erklärte der Minister. „Ich habe manchmal den Eindruck, nicht jeder hat verstanden, was der Rechtsstaat eigentlich bedeutet, welche Chance das ist.“

Der Innenminister kündigte eine konsequente Verfolgung der Täter an. „Unsere Polizei verfolgt die Täter mit aller Konsequenz, damit sie bestraft werden können.“ Reul sagte, er sei froh, dass die ersten Polizisten bei der unangemeldeten Spontanversammlung in Gelsenkirchen so schnell vor Ort gewesen seien, um die Synagoge zu schützen. NRW habe in den vergangenen Jahren sehr viel Geld investiert, um jüdische Einrichtungen sicherer zu machen - Türen und Fenster etwa - und nicht nur Polizisten vor die Tür zu stellen, sagte der Innenminister. Die besonders wichtigen jüdischen Einrichtungen würden rund um die Uhr bewacht, andere im Wechseldienst.

Polizei: Anzeigen geschrieben und Beweise gesichert

Die Polizei teilte unterdessen mit: Während der Demo seien Beweise gesichert und mehrere Anzeigen geschrieben worden – wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruchs, Widerstands und Beleidigung. Dazu kamen Vergehen gegen die Coronaschutzverordnung. Demonstrantinnen und Demonstranten seien nicht festgenommen worden. Die Behörde sei aber zuversichtlich, die Verdächtigen ermittelt und Verfahren einleiten zu können.

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In Düsseldorf haben Unbekannte am Donnerstagabend eine vor dem Rathaus gehisste israelische Flagge angebrannt. Die an einem dortigen Fahnenmast gehisste, circa vier mal fünf Meter große, Flagge wurde dabei beschädigt. Der Staatsschutz der Polizei ermittelt.

In Solingen wurde am Donnerstag eine Israel-Flagge am Rathaus angezündet. Sie sei erst am Vortag gehisst worden, erklärte die Stadt. Die Stadtverwaltung habe damit an die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 erinnern wollen. Die Polizei hat Ermittlungen übernommen.

In der Nacht zuvor waren vor Synagogen in Münster und Bonn israelische Flaggen angezündet worden. Die Landesregierung habe daraufhin zusätzliche Schutzmaßnahmen ergriffen, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Wir haben den Schutz an allen herausragenden jüdischen Orten erhöht.“ Für alle anderen jüdischen Objekte laufe „eine aktuelle Beurteilung der Gefährdungslage“.

Antisemitische Ausschreitungen: Sondersitzung im Landtag beantragt

Die antisemitischen Ausschreitungen sollen am Donnerstag auch den nordrhein-westfälischen Landtag beschäftigen. CDU und FDP haben eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt, wie die FDP-Landtagsfraktion am Freitag mitteilte. Unter anderem solle es um den Polizeieinsatz in Gelsenkirchen gehen.

„Es ist unerträglich, dass in NRW Antisemitismus hemmungslos zur Schau getragen und jüdische Einrichtungen und Menschen bedroht und angegriffen werden“, unterstrich der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marc Lürbke. Hier müsse die Demokratie glasklar Haltung zeigen. „Das Brüllen von antisemitischen Parolen hat rein gar nichts mit Demonstrationsfreiheit, dem Recht auf Meinungsäußerung oder einer kritischen Position zum Nahostkonflikt zu tun“, sagte Lürbke. „Antisemitismus und Volksverhetzung sind keine Haltung, sondern ein Verbrechen.“

Massiver Raketenbeschuss aus Palästina auf Israel

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Seit Montagabend beschießen militante Palästinenser Israel massiv mit Raketen. Dabei sind bislang mehrere Menschen getötet und mehr als 200 verletzt worden. Israels Armee reagiert darauf nach eigenen Angaben mit dem umfangreichsten Bombardement seit dem Gaza-Krieg 2014. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza beträgt die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser 65 - darunter 16 Kinder. Hunderte Menschen seien verletzt. (red/dpa)