Gelsenkirchen. Nur noch eine Arztpraxis in Gelsenkirchen nimmt Abtreibungen vor. Das stellt Frauen in Notsituationen vor Probleme. Wo die Hürden liegen.

  • Vor 13 Jahren, so eine Schwangerschaftsberaterin, haben noch fünf niedergelassene Ärzte in Gelsenkirchen Abtreibungen vorgenommen. Heute ist es nur noch einer.
  • Das stellt vor allem Frauen vor Herausforderungen, die nicht mobil sind oder sich noch um weitere Kinder kümmern müssen.
  • In den kommenden Jahren wird sich die Lage vermutlich weiter zuspitzen: Viele der Ärzte im Ruhrgebiet, die noch Schwangerschaftsabbrüche durchführen, stehen kurz vor der Rente.

Eine ungeplante Schwangerschaft kann für Frauen eine große Belastung sein. Einige von ihnen beschließen deshalb, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Doch ist diese bereits so schwierige Entscheidung getroffen, wird es nicht einfacher – denn die Zahl der Ärzte und Kliniken, die diesen medizinischen Eingriff vornehmen, sinkt seit Jahre. In Gelsenkirchen führt nur noch ein niedergelassener Arzt Abtreibungen durch.

Gelsenkirchener Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, sitzen möglicherweise kurz darauf Barabara Hildebrand-Vohl gegenüber. Die Schwangerschaftsberaterin von Donum Vitae führt sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatungen durch, die obligatorisch sind, um einen Abbruch vornehmen lassen zu können. Jobverlust, finanzielle Sorgen, eine bereits bestehende Belastung durch Kinder: Die Gründe, weshalb Frauen in ihre Beratung kommen, sind vielfältig.

Gelsenkirchener Schwangerschaftsberaterin: „Von Wahlfreiheit kann man nicht sprechen“

Wie die Situation für Frauen aussieht, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollten? „Schlecht“, sagt Hildebrand-Vohl. Einen Versorgungsengpass gebe es zwar nicht, auch in Gelsenkirchen müssten Frauen in der Regel nicht lange auf einen Termin für den Abbruch warten. Aber: „Dass es nur noch einen Arzt gibt, der diesen Eingriff vornimmt, macht vieles schwieriger.“

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Im dicht besiedelten Ruhrgebiet sei es natürlich möglich, den Abbruch in einer Nachbarstadt durchführen zu lassen. „Wenn Frauen aber nicht mobil sind oder weitere Kinder haben, um die sich sich kümmern müssen, ist das nicht so einfach. Von Wahlfreiheit kann man da nicht sprechen“, gibt die Schwangerenberaterin zu bedenken.

Viele Frauen in der Beratung, die kein Deutsch sprechen und einen Übersetzer brauchen

In Gelsenkirchen ein großes Thema: Viele der Frauen, die zur Konfliktberatung kommen, sprechen kein Deutsch. 360 Konfliktberatungen für Frauen aus Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck hat Donum Vitae 2020 durchgeführt – ein hohe Zahl, wahrscheinlich dadurch bedingt, dass die Gelsenkirchener Beratungsstelle in der Corona-Zeit noch Vor-Ort-Gespräche angeboten habe, schätzt Hildebrand-Vohl.

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Darunter waren über 100 Beratungen, in denen aufgrund der Sprachbarriere ein Übersetzer dabei sei musste. „Diese Frauen nehmen den kürzesten Weg“, so Hildebrand-Vohls Erfahrung. Stehe hier nur ein Arzt zur Verfügung, dann falle die Möglichkeit weg, sich für die Praxis zu entscheiden, in der man sich am besten aufgehoben fühle. Obwohl ein Arztbesuch – besonders in diesem Fall – eigentlich Vertrauenssache sei.

Jüngere Ärzte wollen den Eingriff häufig nicht mehr vornehmen

Hildebrand-Vohl arbeitet schon seit 13 Jahren für Donum Vitae. „Als ich angefangen habe, nahmen noch fünf Ärzte in Gelsenkirchen Abtreibungen vor“, erinnert sie sich. Ihre Erfahrung: „Die Ärzte im Ruhrgebiet, die es machen, gehören häufig noch zur 68er-Bewegung.“ Was im Umkehrschluss bedeutet: Sie stehen meist kurz vor der Rente. Jüngere Ärzte dagegen wollten dagegen kaum noch Abbrüche vornehmen. „Der Eingriff wird ja auch nicht an den Universitäten gelehrt“, so die Schwangerschaftsberaterin.

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Und: Laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches (StGB) ist das Abbrechen einer Schwangerschaft eine Straftat. Der Paragraf 218a sorgt dafür, dass der Abbruch straffrei bleibt, wenn er vor der zwölften Woche und nach vorheriger Beratung von einem Arzt vorgenommen wird. Dass er aber grundsätzlich als Tatbestand im StGB auftauche, spiele schon eine Rolle für Ärzte, sagt Hildebrand-Vohl.

„Das gesellschaftliche und politische Klima macht es vielen Ärzten nicht einfach“

Immer wieder wurden Gynäkologen, die den Eingriff durchführen, in der Vergangenheit außerdem belästigt oder bedroht. „Das gesellschaftliche und politische Klima macht es vielen Ärzten nicht besonders einfach, sich für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu entscheiden“, betonte Rolf Englisch, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte in Westfalen-Lippe, im Oktober 2020 im Gespräch mit der WAZ.

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Auch an Kliniken mit gynäkologischer Abteilung werden Schwangerschaftsabbrüche immer seltener vorgenommen. Susanne Minten, Geschäftsführerin von St. Augustinus, Träger des Marienhospitals Gelsenkirchen und des Sankt-Marien-Hospitals in Buer, teilte auf Anfrage mit: „Für uns als katholischen Träger von Krankenhäusern und Kliniken ist das Thema Schwangerschaftsabbruch keine Frage von Angebot, Verfügbarkeit und Leistungsdaten. Nach unserem Selbstverständnis hat eine Klinik immer den Auftrag, Leben zu schützen, Leben zu erhalten, Leben zu retten und nicht Leben zu beenden.“

Es gehe dabei immer um eine in der christlichen Ethik begründete Einzelfallentscheidung und nicht um grundsätzliches, medizinisches Know-how oder um das Angebot im medizinischen Leistungsportfolio, so Minten. Die Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen ließen die Anfrage, ob sie Abbrüche vornehmen, bisher unbeantwortet. Das Bergmannsheil Buer dagegen hat keine gynäkologische Abteilung und nimmt deshalb ebenfalls keine Abtreibungen vor.