Essen. Im Ruhrgebiet gibt es nur noch wenige Frauenärzte, die Abbrüche vornehmen. Experten erklären, woran das liegt und was das für Frauen bedeutet.

„Will ich jetzt ein Kind?“ – eine unerwartete Schwangerschaft stellt Frauen nicht nur vor große Herausforderungen, sondern kann auch sehr belastend sein. Entscheidet sich eine Schwangere für eine Abtreibung, wird es für sie zudem immer schwieriger, einen Gynäkologen in Nordrhein-Westfalen zu finden, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.

So gibt es nach Angaben der Beratungsstelle Pro Familia in der ganzen Stadt Bochum nur noch einen Frauenarzt, der Abtreibungen durchführt. In Oberhausen gibt es sogar keinen einzigen mehr. „Besonders das nördliche Ruhrgebiet ist mittlerweile sehr schlecht abgedeckt“, sagt die Bochumer Familientherapeutin Dorothee Kleinschmidt.

Die Zahl der Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, ist bundesweit seit 2003 um rund 44 Prozent gesunken. Gab es damals noch 2050 Praxen, so sind es im Jahr 2020 nur noch 1150. Auch in Nordrhein-Westfalen setzt sich dieser Trend fort, sagt Kleinschmidt. So hätten im Jahr 2009 noch 21 Gynäkologen in Bochum, Castrop-Rauxel, Dortmund, Herne, Recklinghausen, Witten, Hagen, Essen und Marl Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Aktuell seien es nur noch 13.

Kliniken in konfessioneller Trägerschaft lehnen Schwangerschaftsabbrüche ab

Die Gründe für den Rückgang sind verschieden. Betroffene Frauenärzte aus der Region sprechen von Morddrohungen, Sachbeschädigungen und Abtreibungsgegnern, die vor der Praxis lauern und Patientinnen ansprechen. „Das gesellschaftliche und politische Klima macht es vielen Ärzten nicht besonders einfach, sich für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu entscheiden“, sagt Rolf Englisch, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte in Westfalen-Lippe.

Familientherapeutin und Ärztin Dorothee Kleinschmidt berät in der Bochumer Beratungsstelle des Bundesverbands „Pro Familia“ Frauen zum Thema Schwangerschaftsabbruch.
Familientherapeutin und Ärztin Dorothee Kleinschmidt berät in der Bochumer Beratungsstelle des Bundesverbands „Pro Familia“ Frauen zum Thema Schwangerschaftsabbruch. © FUNKE Foto Services | Gero Helm



Kliniken in konfessioneller Trägerschaft würden es außerdem oft ablehnen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, sagt Englisch. Im Ruhrgebiet gibt es derzeit nur noch eine Klinik in Marl, in der Abtreibungen möglich sind. Für Patientinnen, für die aus gesundheitlichen Gründen kein ambulanter Abbruch in Frage kommt, ist das schon jetzt ein Problem.

Aber auch einige niedergelassene Gynäkologen entscheiden sich aus moralischen Gründen gegen einen Schwangerschaftsabbruch. Besonders Frauen, die bereits im dritten Monat schwanger sind, hätten häufig Probleme, einen geeigneten Arzt zu finden, sagt Dorothee Kleinschmidt. Denn die kindlichen Strukturen seien im dritten Monat bereits deutlich erkennbar. „Auch für die Ärzte und das Personal kann das eine Belastung sein.“

„Früher haben viele niedergelassene Frauenärzte oft 70, 80 Stunden gearbeitet“

Einen Versorgungsengpass gibt es im Ruhrgebiet derzeit aber noch nicht. Im Münsterland, im Sauerland und am Niederrhein sieht es dagegen schon anders. Ein Frauenarzt aus Essen führt das auch auf hohe Kosten für Geräte, Räumlichkeiten und Personal zurück: „In den ländlichen Regionen lohnt es sich aufgrund der geringen Einwohnerzahl für viele Frauenärzte nicht, Operationen und damit Abbrüche durchzuführen.“

In ein paar Jahren könnte es jedoch auch im Ruhrgebiet deutlich weniger operative Praxen geben. Acht der 13 Gynäkologen, die noch Abtreibungen vornehmen, stehen kurz vor der Rente oder sind bereits weit über das Renteneintrittsalter hinaus. Zu der neuen Generation gehören aber immer mehr Frauen. Sie wollten nur selten operativen Praxen übernehmen, sagt Berufsverbands-Chef Englisch.

„Früher haben viele niedergelassene Frauenärzte oft 70, 80 Stunden gearbeitet.“ Viele junge Frauenärztinnen seien nicht mehr zu einem solchen Arbeitseinsatz bereit, weil sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen.

Versorgungsengpass: Frauen müssen mit weiten Anfahrten und Wartezeiten rechnen

Die Folgen für die Schwangeren sind schon heute zu spüren: Weil immer weniger Ärzte Abtreibungen durchführen, müssen Frauen mancherorts länger auf einen Termin zur Voruntersuchung warten – in Dortmund etwa bis zu zehn Tage. „Diese langen Wartezeiten sind nicht zumutbar“, kritisiert Dorothee Kleinschmidt. Schwangerschaftsanzeichen wie Übelkeit und Erbrechen würden die Frauen ständig an die bevorstehende Abtreibung erinnern. „Das ist eine enorme psychische Belastung.“

Auch die weitere Anreise bereite manchen Frauen Probleme. Einige wollten die Schwangerschaft unbedingt geheim halten – und geraten in Erklärungsnot, wie Kleinschmidt berichtet: „Erklären Sie mal Ihrem Arbeitgeber oder Ihrer Familie, warum Sie plötzlich einen gesamten Tag fehlen.“

Die Familientherapeutin hofft daher, dass künftig mehr Ärzte zumindest für ihre eigenen Patientinnen einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten. Dieser sei zwar nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich, könnte aber auch von Ärzten durchgeführt werden, die keine operative Praxis leiten.

Der Frauenarzt aus Essen betrachtet die Situation ebenfalls mit Sorge. Er betreibt seine Praxis seit 20 Jahren und erlebt immer wieder, wie schwer vielen Frauen die Entscheidung zur Abtreibung fällt. „Einige tun sich damit sehr leicht, andere zerbrechen an einer Entscheidung.“ Gerade deshalb findet er es so wichtig, dass es Anlaufstellen für Schwangere gibt, die eine Abtreibung wollen.