Gelsenkirchen. Fehlende Sozialkontakte im Lockdown haben für Kinder und Jugendliche schwere Folgen. Eine Gelsenkirchener Psychologin erklärt, warum.
Bildungsgerechtigkeit ist ein wichtiges Thema und die bleibt im Lockdown allzu sehr auf der Strecke. Das sieht auch Andrea Höncke, Diplom-Psychologin und systemische Therapeutin am Sozialpädiatrischen Zentrum der Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil so. Aber es bleibt noch etwas anderes, ihren Erfahrungen nach nicht weniger Wichtiges, auf der Strecke: Das Emotionale, die soziale Kompetenz.
In ihrer Praxis hat sie viele Patienten mit Problemen bei der Verhaltenssteuerung, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom oder auch Schwierigkeiten bei der Impulssteuerung. Soll sagen: Die Kinder und Jugendlichen werden schneller ungeduldig, haben sich weniger im Griff als andere. Und bei Kita-Kindern hat sie seit dem Lockdwon eine zunehmende Ängstlichkeit gegenüber Fremden wahrgenommen statt der sonst üblichen alterstypischen Neugier.
Kontrolle über Impulse geht bei manchem verloren
Bei den meisten ihrer Patienten mit Problemen bei der Impulskontrolle gab es bislang kaum Einschränkungen im Alltag, sie kamen auch ohne Medikamente aus. „Die Isolation hat vieles verändert, verschlimmert. Eine Mutter hat mir berichtet, dass ihr jugendlicher Sohn, der zwar schon immer schnell von Null auf Hundert kam, aber nie gewalttätig war, jetzt seinen kleinen Bruder schlägt und alles kurz und klein haut. Sie weiß nicht mehr ein und aus“, berichtet die Psychotherapeutin.
Optimismus und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken ist kaum möglich
Aber es gibt auch andere Entwicklungen. Ein anderer ihrer Patienten, ebenfalls in der Pubertät, ist depressiv geworden. Er ist überdurchschnittlich intelligent, aber ihm fehlt die Tagesstruktur. Seine Mutter ist berufstätig, er ist dann allein zuhause und spielt den ganzen Tag online. Er habe überhaupt keinen Tag-Nacht-Rhythmus mehr. Früher ging er Tischtennis spielen, hat auch Freunde – all das ist weggebrochen“, klagt Höncke.
Das Problem der Therapeuten ist: All das, was normalerweise hilft, aus zunächst leichten depressiven Verstimmungen wieder herauszukommen, ist derzeit nicht möglich. Belohnungssysteme mit Aktivitäten unterschiedlicher Art funktionieren im Lockdown nicht.
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„Die einzigen Anreize, die geboten werden können, sind häufig Süßes und Mediennutzung. Wer geht schon mit 13 gern mit seinen Eltern spazieren! Aber Widerstandsressourcen, Resilienz, werden gespeist aus Optimismus, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, aus dem Glauben an das Gute in der Welt. All das ist im Moment mehr als schwierig.
Das bedeutet auch: Unsere Beratungsmöglichkeiten sind im Moment ausgebremst“, so Höncke. Und nicht nur die Therapie wird schwierig: Die Prävention, normalerweise eine der Hauptsäulen ihrer Arbeit, bleibe vielfach auf der Strecke. Und auch für die Kita-Kinder sei der Verzicht auf Aktivitäten mit Gleichaltrigen verheerend gewesen.
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Für Pubertierende seien die Rückkehr ins soziale Umfeld, die Außenkontakte, das Loslassen und die Struktur besonders wichtig, da sich in diesen Jahren die Persönlichkeit entwickelt. „Und das kann nicht ausschließlich in der Familie gelingen“, weiß Andrea Höncke.
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