Gelsenkirchen. Das Aus fürs Gelsenkirchener Rats-TV kam unerwartet, fest geglaubte Mehrheiten scheinen auf den Kopf gestellt. Die Nachlese zum Livestream-Ärger:
In geheimer Abstimmung haben sich die Gelsenkirchener Stadtverordneten wie berichtet mehrheitlich grundsätzlich gegen eine Livestream-Übertragung von Ratssitzungen ausgesprochen. Die von SPD, CDU, FDP und Tierschutz hier! sowie Grünen und Partei vorab formulierten Umsetzungsanträge waren damit obsolet. Das Ergebnis war angesichts der Mehrheiten und der Debatte überraschend. Eine Nachlese:
Gelsenkirchener Grüne: Ergebnis ist frustrierend
Adrianna Gorczyk,Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen: „Das Ergebnis ist frustrierend, auch weil wir viel Energie in das Thema gesteckt haben. Aber das ist nicht entscheidend. Ich finde vor allem fatal, wie es gelaufen ist. Man kann selbstverständlich dagegen sein und so abstimmen. Das ist völlig legitim. Doch ich hätte mir gewünscht, dass das offen geschieht. In allen Debattenbeiträgen im Rat wurde Donnerstag der Eindruck erweckt, man wäre für das Livestreaming. Doch so konnte sich die Menge, die eigentlich dagegen ist, in der geheimen Abstimmung verstecken.“
Die Liberalen fühlen sich „von der Groko veräppelt“
Susanne Cichos,FDP-Stadtverordnete, stand mit der Groko und Tierschutz hier! hinter dem gemeinsamen Antrag, über den - nach der geheimen Grundsatzentscheidung – letztlich nicht mehr abgestimmt wurde: „Ich war wirklich verblüfft und bin wirklich sauer. Ich fühle mich von der Groko veräppelt. Das sieht schon nach Taktik aus. Ich kann jeden verstehen, der als ehrenamtlicher Politiker bei dem Thema zögerlich ist. Aber wir reden die ganze Zeit darüber, dass wir Transparenz brauchen und näher an die Leute heran müssen. Dann finde ich es feige, sich in geheimer Abstimmung aus der Verantwortung zu stehlen. Für mich hat das Vertrauen in die Zusammenarbeit zerstört und es wirft ein wenig innovatives Licht auf unsere Stadt.“
Der CDU-Fraktionschef hätte Live-Streaming „ganz cool gefunden“
Sascha Kurth,CDU-Fraktionsvorsitzender: „Wer uns wie die Grünen vorwirft, das sei ein Fake-Antrag gewesen, der hört die Flöhe husten. Wir haben erst einmal eine Grundsatzentscheidung getroffen und wie bereits 2014 die Abstimmung freigegeben. Es war klar: Wir wollten abstimmen. Und wenn sich der Rat dafür entscheidet, dann bitte auch mit einem guten System, das wir in unserem gemeinsamen Antrag formuliert haben. Ich hätte ganz cool gefunden, wenn es zum Live-Stream gekommen wäre, aber ich vertrete als Fraktionschef auch die Kollegen, die Vorbehalte haben. Ich persönlich fände es unehrlich, wenn wir sagen: Ihr entscheidet frei und wenn ich dann gleichzeitig hinter den Kulissen Druck ausübe. Dennoch habe ich mit einer Mehrheit gerechnet. Insgesamt zeigt die Entscheidung, dass wir politisch keine ehrliche Debatte geführt haben. Dass die AfD in der Ratssitzung angekündigt hat, dass sie sich nicht an die Regeln beispielsweise zu Nutzungsrechten halten wird, hat sich sicher auch bei der Abstimmung ausgewirkt.“
Einstimmiger Beschluss zum gemeinsamen Antrag in der SPD-Fraktionssitzung
Axel Barton, SPD-Fraktionschef: „Ich kenne die Strömungen in der Fraktion, wusste aber nicht, wie das ausgehen würde. In der Fraktionssitzung wurde unser gemeinsamer Antrag einstimmig beschlossen. Doch wir haben die Grundsatz-Abstimmung absolut freigegeben. Für mich war das nicht das große, entscheidende Projekt. Das war auch keine Entscheidung alt gegen jung in der Fraktion. Für mich persönlich war mir der Ausgang eher egal. Doch die SPD hätte super mit einem Live-Stream der Ratssitzungen nach den Vorgaben unseres gemeinsamen Antrags leben können.“
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Digital-Sprecher: Wir wollten dem Rechte-Missbrauch einen Riegel vorschieben
Taner Ünalgan, SPD-Stadtverordneter und Sprecher für digitale Entwicklung seiner Partei in Gelsenkirchen: Wir haben uns intensiv mit der Thematik Livestreaming in der Ratsfraktion befasst. Bis zur geheimen Wahl war nach der vorliegenden Stimmverteilung davon auszugehen, dass eine Mehrheit für den ersten Antrag mit der grundsätzlichen Entscheidung stimmen würde. In meinem Redebeitrag im Rat bin ich besonders darauf eingegangen, dass sich nicht alle in unserem Stadtrat an dieselben Regeln halten und dass es gut ist, dass wir in unserem zweiten Antrag eine Lösung gefunden haben, wie wir dem Missbrauch von Videoaufzeichnungen durch die AfD, für die es entsprechende Beispiele gibt, einen Riegel vorschieben können. In ihrem Beitrag kündigte die AfD allerdings an, dass sich ihre Fraktion nicht an die vorgesehene Festsetzung, dass allein die Stadt Gelsenkirchen die Rechte über alle Videos behält, halten wird. Aus meiner Sicht hatte das den Effekt, dass einige nicht mehr grundsätzlich zustimmen wollten. Was mich ärgert, ist das jetzt die Vorwürfe verbreitet werden, die SPD sei gegen Fortschritt und Transparenz.“
Linker Fraktionsvorsitzender: An Unfähigkeit ist das kaum zu überbieten
Martin Gatzemeier,Fraktionsvorsitzender der Linken: „Was sich in der Ratssitzung abgespielt hat, ist als Zeichen von Unfähigkeit, unsere Stadt vernünftig zu führen und zu gestalten, kaum noch zu überbieten. Da nennt sich Gelsenkirchen digitale Modellstadt und wirbt damit. Aber dann schafft die GroKo es nicht einmal, die eigenen Abgeordneten hinter sich zu versammeln, um diesem Namen gerecht zu werden. Aussagen von SPD und CDU, mehr Transparenz in ihre Arbeit zu ermöglichen, sind reine Lippenbekenntnisse.“
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