Gelsenkirchen. Armut und Gerechtigkeit sind die Themen des OB-Kandidaten der Linken, Martin Gatzemeier. Was den Gelsenkirchener antreibt – auch im Video.

Martin Gatzemeier (62) hat sich als Treffpunkt für das Gespräch mit der WAZ für die Ausgabe der Tafel an der Hansemannstraße in der Altstadt entschieden. Der Ort fasst für ihn zusammen, was in der Gesellschaft nicht stimmt. Dass Menschen sich im reichen Deutschland nicht aussuchen können, wo sie einkaufen, sondern auf das Angebot der Tafel angewiesen sind, weil das Geld sonst hinten und vorne nicht reicht, will er nicht hinnehmen. Dabei will er die Tafel nicht abschaffen, im Gegenteil. „Hier wird auch Klimaschutz praktiziert, der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt. Aber der Anlass, hier einzukaufen, sollte nicht Armut sein“, erläutert er den Ansatz.

Der gebürtige Bueraner, der als OB- und als Bezirksvertretungskandidat in Erle antritt, sieht sich selbst schon als Tafel-Kunde, wenn er in Rente geht. „Ich bin zwar immer schon arbeiten gegangen, aber da ich erst spät auch rentenbeitragspflichtig war, wird es eng mit den Rentenpunkten.“ Der Schreiner wuchs mit fünf Geschwistern auf, als er 18 Jahre war, starb der Vater bei einem Unfall. Seither weiß Gatzemeier allzu gut, was es bedeutet, knapp bei Kasse zu sein.

Für den Maskenkauf bekommen Hartz-IV-Empfänger kein Extrageld

Auch zwischen Armut und Corona sieht er einen fatalen Zusammenhang: „Corona hat auch gezeigt, wie schlecht Hartz IV ist. Die Leute mussten sich die Masken selbst kaufen, es gab kein Extra-Geld dafür, auch kein Geld für die zum Teil teurer gewordenen Lebensmittel. Und auch beim aktuell nachgebesserten Satz: 1,58 Euro im Monat für Bildung für Erwachsene – das geht gar nicht!“

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Was auch verheerend sei: Der öffentliche Nahverkehr. „Wenn ich abends um acht Uhr von der Resser Mark nicht mehr wegkomme mit dem Bus, ist das nicht in Ordnung. Der ÖPNV muss länger laufen“, fordert er. Ohnehin müsse es längst ein 365-Euro-Jahresticket geben, wie in anderen Städten, also pro Tag ein Euro für alle Strecken. Erstmal, bevor der Nahverkehr ganz kostenlos werde. Er selbst hat allerdings auch ein Auto, seiner Hunde wegen.

Wahlkampf am Infostand statt Strandspaziergang in Holland

Beim Einbau der 70 Kilogramm schweren Schultüren in seinem Beruf als Monteur muss Martin Gatzemeier mit seinem von der Arbeit lädierten Rücken nur noch in Ausnahmefällen selbst zupacken. Doch in diesen Wochen hat er ohnehin Urlaub, Wahlkampfurlaub. Statt Strandspaziergang oder Jazzfestival („lieber modern als traditional“) in Nordholland steht Erholung an den Infoständen der Linken auf dem Programm.

Gehen für Die Linke in Gelsenkirchen ins Rennen: Hartmut Hering, Bettina Angela Peipe, Martin Gatzemeier und John Petschek (v. l.).
Gehen für Die Linke in Gelsenkirchen ins Rennen: Hartmut Hering, Bettina Angela Peipe, Martin Gatzemeier und John Petschek (v. l.). © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Praktischerweise engagiert sich die Gattin für die gleiche Partei. Die freiberuflich arbeitende Medienwissenschaftlerin Bettina Peipe tritt ebenfalls bei der Wahl an, saß bereits für Die Linke als Stadtverordnete im Rat. Neben ihrer politischen Arbeit teilen die beiden eine weitere Leidenschaft: tibetische Hunde. Vier oder fünf Exemplare, in der Regel bedrohte Tiere, die ihr Zuhause verloren haben, hat das Paar neben den Katzen meist daheim.

Schlichtes Telefon statt Smartphone

Gatzemeier ist froh, dass Straßenwahlkampf überhaupt möglich ist, wenn auch durch Corona unter erschwerten Bedingungen. Als noch offen war, wie Wahlkampf funktionieren kann, fürchtete er Stimmeinbußen für die Linken durch die denkbare Beschränkung auf Online-Wahlkampf und reine Briefwahl.

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Bei den Infoständen habe es aber schon ärgerliche Pannen gegeben, weil die Stadt Termine wohl versehentlich doppelt vergeben habe, klagt er. Apropos Online: Gatzemeier hat nur ein mobiles Telefon, kein Smartphone. Das muss reichen, findet er. Allerdings gebe es in seiner Partei durchaus auch Online-Experten, versichert er.

Blau-Weiß - Aber Blau-Weiß Gelsenkirchen statt Schalke 04

Der Lieblingsfußballverein des gebürtigen Bueraners ist Blau-Weiß. „Aber Blau-Weiß Gelsenkirchen, nicht Schalke! D ie spielen noch echten Fußball, nicht wie die Schalker. Ich verstehe bloß nicht, warum wir in Gelsenkirchen immer noch so viele Ascheplätze haben, auf denen es immer so hässliche Verletzungen an den Knien gibt. Anderswo sind schon viel mehr Kunststoffrasenplätze angelegt worden.“

Martin Gatzemeier: Meine Themen

Bund und Land haben die Stadt mit den Folgen der Deindustrialisierung über Jahrzehnte allein gelassen, bis heute. Die Folgen sind eine enorm hohe Armut und Kinderarmut, hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Aufstiegschancen und sogar eine geringere Lebenserwartung als in schuldenfreien Kommunen. Dabei wirkt Hartz IV als Brandbeschleuniger. Wir wollen auf der einen Seite die Symptome lindern: Indem wir Gelsenkirchen zum Beispiel durch gerechtere Bildung, eine gut ausgestattete Verwaltung und einen attraktiven Nahverkehr lebenswert machen, geben wir den Menschen hier ihre Zukunftsperspektive zurück.

Außerdem packen wir das Problem bei der Wurzel. Wir werden uns massiv für einen kommunalen Altschuldenfonds stark machen, damit unsere Stadt mehr Investitionsspielraum hat.

Geld genug ist da, es ist in Deutschland nur ungerecht verteilt. Um unabhängig zu bleiben, im Vergleich zu den anderen Parteien, verzichten wir auf Großspenden von Unternehmen, Superreichen oder Lobbyverbänden. Das macht uns stark!

Es gibt noch vieles, was Martin Gatzemeier ärgert und antreibt, und fast immer hat es mit Gerechtigkeit zu tun. Zu niedriger Mindestlohn, Vermögenssteuer, gigantische Erbschaften, die Altschulden der armen Kommune: Zumindest letztere hofft er vor Ort streichen lassen zu können.