Gelsenkirchen. Das Online-Portal Scoperty schätzt online den Wert von Gelsenkirchener Immobilien – ohne dass die Eigentümer es wissen. Was Experten dazu sagen.
Reihenhaus an der Cranger Straße, Baujahr 1965, 469 Quadratmeter Wohnfläche: 488.000 bis 732.000 Euro. Fünf Wohnungen an der Kurt-Schuhmacher-Straße, zwischen 44 und 82 Quadratmeter Wohnfläche, Baujahr 1930: Zwischen 44.000 und 88.000 Euro. Das neue Immobilienportal Scoperty hat den Wert von einer Vielzahl Gelsenkirchener Immobilien geschätzt und im Internet veröffentlicht. Experten warnen jedoch: Die Ergebnisse seien realitätsfern.
Ein Blick auf Scoperty.de. Die Plattform zeigt eine Satellitenkarte im Stil von Google Earth, auf der man per Suchfunktion an jeden beliebigen Ort in Deutschland springen kann. Viele Häuser in Gelsenkirchen sind auf dieser Karte mit einem digitalen „Preisschild“ versehen: Ein Klick auf das jeweilige Objekt offenbart eine Schätzung des Immobilienwertes und weitere Angaben, zum Beispiel die geschätzte Anzahl der Wohnungen in einem Haus, die geschätzte Wohnfläche und das geschätzte Baujahr.
Eigentümer werden nicht über die Schätzung ihrer Immobilien informiert
Die Idee dahinter: „Eigentümer können erstmals ohne Zutun den aktuellen Marktwert ihres Wohneigentums erfahren und ein reales Marktinteresse testen – ohne in einen verbindlicheren Kaufprozess einsteigen zu müssen und ohne Geld zu investieren“, sagte Scoperty-Gründer Michael Kasch der WAZ. Man wolle einen intransparenten Markt transparenter machen.
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Informiert werden die Eigentümer nicht, dass auf Scoperty.de jedermann den Schätzwert ihrer Immobilien online einsehen kann. Lediglich einen „Widerruf“-Button gibt es, der Mietern und Vermietern verspricht, schnell und einfach gegen die Veröffentlichung des Schätzwertes vorgehen zu können.
Scoperty: Alle Daten sind öffentlich zugängig
Ermittelt werden die Schätzwerte durch einen Algorithmus, der unter anderem die Adresse, die geschätzte Wohnfläche, die geschätzte Grundstücksgröße, das geschätzte Baujahr, den Objekttyp und die Anzahl an Privathaushalten miteinbezieht. Alle diese Daten seien öffentlich zugänglich, heißt es auf Scoperty.de, wenn auch zum Teil kostenpflichtig.
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Gelsenkirchener Immobilienexperten reagieren mit Skepsis auf die ungefragte Objektschätzung im Netz. Stefan Biermann, Geschäftsführer der S-Versicherungen- und Immobilien-GmbH der Sparkasse, gibt zu bedenken, dass in die Schätzung eines Objektes normalerweise viele Parameter einfließen, die der Online-Algorithmus nicht erfassen könne – beispielsweise der Zuschnitt der Wohnungen oder der Gesamtzustand der Immobilie.
„Persönliche Beratung lässt sich so nicht ersetzen“
Eine wirklich fundierte Schätzung sei ohne dieses Wissen kaum möglich. Auch die Lage einer Immobilie sei ohne einen ortskundigen Makler nicht zu bewerten. Und: „Die persönliche Beratung eines Maklers, die Vor-Ort-Besichtigung eines Objekts – das lässt sich so auf keinen Fall ersetzen“, sagt Biermann.
Auffällig ist: Die von Scoperty angegeben Preisspannen sind sehr groß, umfassen bei Häusern nicht selten über 100.000 Euro, bei vielen Wohnungen mehrere 10.000 Euro. So stellt sich mindestens die Frage, wie viel Besucher der Website mit denen ihnen dargebotenen Information überhaupt etwas anfangen können.
„Die Preise sind völlig unrealistisch“
Doch davon abgesehen – entsprechen die Schätzungen überhaupt annähernd der Realität? „Nein“, sagt Ralf Robert Hundt, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion Gelsenkirchen und Immobilien-Unternehmer. Er hat mehrere Schätzungen von Scoperty überprüft und kommt zu dem Schluss: „Die Preise sind völlig unrealistisch.“
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So sei beispielsweise ein Haus, das er selbst vor zwei Jahren für rund 730.000 Euro vermittelt habe, von Scopertys Algorithmus auf 240.000 bis 460.000 Euro geschätzt worden. „Auf der Website wird der Eindruck vermittelt, man kenne den Markt. Das ist aber nicht der Fall. Der Betrachter wird getäuscht“, kritisiert Hundt. Auch Angaben wie die Wohnfläche und das Baujahr hätten in den von ihm überprüften Fällen nicht gestimmt.
Gefahr: Zu niedrige Preise könnten Kaufinteressenten verunsichern
Auf möglicherweise ungenaue Werte weist Scoperty selbst hin: „Der Schätzwert ist kein Gutachten und kein Verkehrswert gemäß Immobilienwertermittlungsverordnung und auch kein rechtsverbindlicher Marktwert“, heißt es online. „Vielmehr hat der Scoperty-Schätzwert das Ziel, die Dynamik am Markt abzubilden und auf Basis der tatsächlichen Marktlage eine Einschätzung des möglicherweise erzielbaren Marktwertes zu geben.“
Hundt sieht dennoch eine Gefahr – besonders für Eigentümer, die ihre Immobilie tatsächlich gerade verkaufen wollen. Denn seine Stichprobentests hätten gezeigt, dass der Immobilienwert bei Scoperty tendenziell deutlich zu niedrig geschätzt sei. „Stellen Sie sich vor, ein potenzieller Käufer sieht diese Website und geht davon aus, dass er einen viel zu hohen Preis bezahlen soll. So etwas kann ihn massiv verunsichern oder sogar den Deal kaputtmachen“, so Hundt.
Gelsenkirchener Immobilienexperte geht von Abmahnungswelle aus
Der Immobilienexperte vermutet: Auf Scoperty werde eine Welle von Abmahnungen zurollen. Denn die Praxis des Online-Portals könne Vermögensschäden verursachen. Genau wie Biermann rät auch er, sich in Immobilienfragen lieber auf einen persönlichen Berater vor Ort zu verlassen: „Immobilienkauf ist Vertrauenssache.“
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