Herne. Ein neues Immobilienportal hat jedes Wohnhaus in Herne im Internet mit einem Preisetikett versehen. Die Besitzer wurden nicht gefragt.

Eigentümer von Wohnhäusern in Herne könnten angesichts dieser Tatsache verwundert oder verärgert sein: Ein neues Portal hat alle Wohnimmobilien in der Stadt auf ihren Wert geschätzt und im Internet - für jeden sichtbar - mit einem Preisetikett versehen. Was dahinter steckt und welche Kritik es gibt.

Das Start-up Scoperty ist seit November vergangenen Jahres bundesweit aktiv und hat nach eigenen Angaben rund 35 Millionen Wohnimmobilien auf ihren Wert geschätzt. Der Impuls zum Aufbau dieses Marktplatzes sei gewesen, dass man als Käufer die Sorge habe, dass man zu viel für die wahrscheinlich größte Anschaffung im Leben bezahlt habe. Und als Eigentümer nicht genau wisse, was die eigene Immobilie wert ist, wenn man sie verkaufen will, so Gründer Michael Kasch im Telefonat mit der Herner WAZ-Redaktion. Scoperty wolle den intransparenten Markt transparent machen.

Daten sind teilweise deutlich von der Realität entfernt

Wie diese Transparenz aussieht: Über die Satellitenansicht von Google Maps hat Scoperty auf jedes Haus ein Etikett gelegt, dass zeigt, wie viele Wohnungen das Haus hat und in welcher Preisspanne der Wert des Hauses oder der Wohnungen liegen könnte. Diese Schätzspanne errechne ein Algorithmus, der aus einer Vielzahl an Daten den Wert ermittle. Klickt man auf das Etikett, werden weitere Daten sichtbar.

Allerdings: Die Daten sind zumindest teilweise deutlich von der Realität entfernt: Der Autor dieser Zeilen hat es an der eigenen Immobilie überprüft. Schon die Zahl der Wohnungen (vier) ist falsch. Ebenso die Wohnungsgrößen. Das hat selbstverständlich Auswirkungen auf den Schätzwert pro Wohnung. Ebenso werden Dinge wie Renovierung, Ausbau oder Details wie Solarthermie nicht berücksichtigt. Offenbar orientiert sich der Algorithmus vor allem am Baujahr. Allerdings zeigt das Portal auch selbst, dass die Vollständigkeit der Daten bei sieben Prozent liege. Was so kurz nach dem Start kein Wunder ist.

Haus & Grund wird Mitgliedern empfehlen, sich nicht an Scopery zu beteiligen

Die Plattform solle dazu dienen, potenzielle Käufer und Verkäufer möglichst früh in Kontakt zu bringen. Eigentümer könnten ihre Daten vervollständigen, um genauere Schätzwerte zu bekommen, Käufer könnten ihre Suche mit verschiedenen Kriterien verfeinern, so Kasch.

Bei Uwe Kasimir, Rechtsanwalt und Herner Vorsitzender von „Haus & Grund“, kommt die Plattform gar nicht gut an. Er hat die Daten für zwei Häuser, die vor kurzen verkauft worden sind, abgeglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die von Scoperty dargestellten Preise unrealistisch seien. Auch die Tatsache, dass bei einem verkauften Haus die Wohnungen dem sozialen Wohnungsbau zuzurechnen seien, sei nicht berücksichtigt worden. In einem Fall sei ebenfalls das Baujahr falsch gewesen.

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„Das ist ja so, als ob jemand ungefragt ein Preisschild an mein Auto klebt“, zieht Kasimir einen Vergleich. Unter anderem sieht er folgendes Problem: Wenn Mieter das Haus, in dem sie wohnen, auf der Plattform sehen, könnten sie das „Preisschild“ missdeuten und glauben, dass das Haus verkauft wird. Das könnte dazu führen, dass sie ausziehen, denn Mieter mögen keine Eigentümerwechsel. Er werde den Mitgliedern von Haus & Grund dazu raten, sich nicht an Scoperty zu beteiligen und Widerspruch einzulegen.

Der Hinweis auf den Widerspruch ist relativ leicht zu finden, datenschutzrechtlich ist Scoperty offenbar auf der sicheren Seite. Kasch weist darauf hin, dass das bayrische Landesamt für Datenschutz keine Probleme sehe.

Dirk Leutbecher, Geschäftsführer von Stony Real Estate und Veranstalter der Herner Immobilienkonferenz, kennt so ein Angebot aus dem gewerblichen Bereich, auch in den USA sei so etwas bekannt. „Das sind Sachen, die kommen werden“, so Leutbecher. Auch der Immobilienmarkt wird immer stärker von der Digitalisierung erfasst. Noch seien die Daten von Scoperty nur sehr eingeschränkt nutzbar, „wenn für ein Haus eine Preisspanne von 100.000 bis 300.000 Euro angegeben wird: Was soll diese Information wert sein?“ Je mehr sich beteiligten, desto besser würden die Daten. Doch auch Leutbecher sieht potenzielle Probleme: Neben der Tatsache, dass die Daten ungefragt veröffentlicht wurden, könne es Konflikte mit Maklern geben.

>> DAS SAGT VONOVIA ZU DEN BEWERTUNGEN

Was ebenfalls auffällt: Scoperty hat auch Häuser von Wohnungsgesellschaften bewertet, unter anderem von Vonovia. Auf WAZ-Anfrage teilt das Unternehmen mit: „Wir haben Kenntnis von der Bewertung, bei der es sich aus unserer Sicht um eine reine Desktoprecherche handelt. Beim näheren Hinschauen stimmt sie jedoch in aller Regel nicht mit den realen Werten überein. Wir lassen unsere Bestände regelmäßig durch externe Fachgutachter bewerten und berichten dies auch transparent.“

Und weiter: „Darüber hinaus ist unsere grundsätzliche Strategie, unsere Wohnungen langfristig zu bewirtschaften, so natürlich auch in Herne. Es wäre schade, wenn die Bewertung von Scoperty bei unseren Mieterinnen und Mieter zu Verunsicherung führen würde.“

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