Gelsenkirchen. Sperrstunde in Gelsenkirchen: Für viele Wirte ist das ein neuer Nackenschlag, sie sehen sich zu Unrecht sanktioniert, in ihrer Existenz bedroht.

„Last Order – letzte Bestellung“: Diese Ansage kannte man bislang nur von britischen Pubs. Jetzt gilt auch in Gelsenkirchen eine Sperrstunde. Um 24 Uhr müssen Gastronomiebetriebe schließen, wahrscheinlich wird das Land NRW am Ende der Woche einen Erlass herausgeben, nachdem die Sperrstunde auf 23 Uhr vorgezogen wird. Wie reagieren die Wirte in der Stadt? Wir haben uns einmal umgehört.

Christoph Klug, der in Buer das „Domgold“ und das „Lokal ohne Namen“ betreibt, findet die Regel „wenig zielführend“. „Es hat sich doch in den vergangenen Wochen und Monaten gezeigt, dass die Infektionsherde nicht in der Gastronomie, sondern eher bei den privaten Feiern zu finden sind“, sagt er. In Restaurants und Kneipen würden die Inhaber darauf achten, dass die Hygieneregeln eingehalten würden – auch im Interesse der Gastronomen, denen bei einer Kontrolle empfindliche Strafen drohen. „Die Gefahr besteht doch daran, dass Gäste, die um 23 oder 24 Uhr die Kneipe verlassen müssen, sich privat treffen, wo keine Kontrolle stattfindet.“

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Von Jennifer Schumacher und Stefan Meinhardt

Vinz Elz, Inhaber der „Oisin Kelly Gallery“.
Vinz Elz, Inhaber der „Oisin Kelly Gallery“. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Vinz Elz, Inhaber der „Oisin Kelly Gallery“ in Buer, sieht das ähnlich. „Ich befürchte, dass es dann viel mehr Privatfeiern geben wird“, sagt er. Gerade jüngere Leute würde eher später in den Abend starten – für die sei die Nacht um 23 oder 24 Uhr noch lange nicht zu Ende.

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„Das ist ein echter Hammer“, ärgert sich auch Peter Wendt, der in Buer das „Fliegenpils“ betreibt. „Es wird eine Angst verbreitet, die völlig unangemessen ist.“ Gastronomen würden sanktioniert, obwohl es in den Betrieben nicht zu vermehrten Infektionen kommen würde. „Wir haben eben gelernt, wie man Abstände einhält“, sagt er. Er hat schon eine Konsequenz aus der Verordnung gezogen: „Ich mache meine Kneipe jetzt schon um 15 statt erst um 17 Uhr auf“, sagt er.

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Gelsenkirchener Gastronomen sprechen von Existenzangst

Ins gleiche Horn blasen Birgit und Timo Kaczmarek (Posthörnchen) Andreas Peine (Andy’s Traber), Anke Brennecke (Armin No. 8) und Ulf Timmermann (Friesenstube), allesamt Gastronomen im Stadtsüden. Sie eint das Gefühl, zu Unrecht sanktioniert und durch die verhängte Sperrstunde in ihrer Existenz bedroht zu werden. Timo Kaczmarek: „Wir hatten noch keinen Corona-Fall. Die Gastronomiebetriebe passen auf, alle Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Es sind vielmehr die privaten Treffen und Feiern, die steigende Infektionszahlen zur Folge haben.“ Seine Einschätzung daher: „Wenn sich alle vorher an die Corona-Regeln gehalten hätten, bräuchten wir jetzt keine Sperrstunde.“

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Anke Brennecke von der Gaststätte Armin Nr. 8. in Gelsenkirchen. Sie fürchtet, dass die Sperrstunde den klassischen Kneipen „das Genick bricht“.
Anke Brennecke von der Gaststätte Armin Nr. 8. in Gelsenkirchen. Sie fürchtet, dass die Sperrstunde den klassischen Kneipen „das Genick bricht“. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Andreas Peine spricht von „Existenzgefährdung“, Anke Brennecke gar davon, dass die Sperrstunde „uns Wirten das Genick bricht“. Eine Sinnhaftigkeit erkennen weder sie noch die Kollegen Kaczmarek und Timmermann in der Maßnahme. Ihrer Meinung nach verlagere oder verschärfte die Sperrstunde die Problematik noch. Peine und Brennecke sagen, dass die Gäste im Zweifelsfall früher anfangen zu trinken und dann womöglich daheim mit höherem Alkoholpegel bedenkenloser weiterfeierten – „unkontrolliert, oft auf engem Raum“. Da sei zumeist niemand, der auf Abstand und Hygiene achte.

Timo Kaczmarek und Ulf Timmermann sind skeptisch, ob mit der Sperrstunde die Corona-Zahlen tatsächlich sinken. Bei ihnen verteilen sich die maximal 25 Gäste gut im Raum. Beim Discounter an der Kasse in der Warteschlange oder aber auch mittwochs im Biergarten auf dem Heinrich-König-Platz seien die Gäste viel dichter beisammen. Sie spielen damit auf das Risiko der Ansteckung an.

Die Wirte sehen bereits jetzt das Weihnachtsgeschäft den Bach runter gehen. Normalerweise reservierten Firmen, Freundesgruppen in der Vorweihnachtszeit Tische für eine gemütliche Runde. „Das fällt alles weg.“ Wie dramatisch die Umsatzeinbrüche sind, schildert Anke Brennecke: „Seit dem Lockdown im Frühjahr sind bei mir elf Veranstaltungen geplatzt – das sind über 50.000 Euro. Die Restaurants sind noch halbwegs fein raus, bis elf Uhr sind die meisten Gäste satt und glücklich. Aber ich zumindest weiß langsam nicht mehr, wie ich meine Kosten mit Pacht, Strom und Ähnlichem noch bezahlen soll.“

Timo Kaczmarek nimmt’s kämpferisch: „Je konsequenter die Maßnahmen von allen eingehalten werden, desto schneller ist die Krise vorbei.“

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