Gelsenkirchen. Die CDU verschiebt das Feiern auf die Zeit nach der Stichwahl, die FDP lobt ihre Kandidatin – so lief der Wahlabend bei den Parteien vor Ort.
Die Kommunalwahl 2020 hat die politische Landschaft in Gelsenkirchen zum Beben gebracht: Die SPD hat ihre absolute Mehrheit eingebüßt, Grüne und AfD konnten kräftig zulegen.
Die CDU hat am Wahlabend allein das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl im Blick, jedenfalls auf der Leinwand in dem mit 85 Christdemokraten gut gefüllten Saal im Hans-Sachs-Haus. Als gegen 19.30 Uhr 65 Prozent der Stimmen ausgezählt sind, greift CDU-Kreisvorsitzender Sascha Kurth zum Mikrofon und verkündet: „Der Wahlkampf ist für uns nicht vorbei!“ Und um 20.09 Uhr, als Stuckmann die 25 Prozent-Grenze geknackt hat, holt Fraktionschef Wolfgang Heinberg die Flyer für den Wahlkampf zur OB-Stichwahl am 27. September raus. Im Saal haben die meisten weiterhin ihr Handy mit den Ergebnissen aus den Wahlbezirken im Blick. Schließlich geht es für viele um ihren Einzug in den Rat.
Die CDU gibt nochmal Vollgas
Kandidat Malte Stuckmann, der zu Beginn des Abends noch einräumt, dass er zwei weitere Wochen Wahlkampf in dem Takt nicht zwingend braucht, verspricht jetzt: Wir geben ab morgen früh noch einmal zwei Wochen lang Vollgas! Er hat seine ganze Familie inklusive Eltern zur Verstärkung dabei an diesem Abend. Ala Karin Welge mit Markus Töns kurz vor Auszählung aller Wahlkreise eine Stippvisite macht, fordert Wolfgang Heinberg sie zur Entschuldigung für die Art der Wahlkampfattacken auf.
Großer Jubel bei den Grünen im Museumscafé in Buer: Auch wenn OB-Kandidat David Fischer es nicht in die Stichwahl schaffte, zeigte er sich hochzufrieden mit dem „großartigen Wahlergebnis“: „Wir haben unsere Ziele erreicht, für den Rat doppelt so viele Stimmen wie 2014 zu holen, zweistellig zu werden und die absolute SPD-Mehrheit zu brechen. Das ist der Knaller!“ Begeistert war auch MdB Irene Mihalic: „Das ist ein Mega-Rückenwind!“. Offenbar sind unsere Themen Umweltschutz und Verkehrspolitik durchgedrungen.“
Dass die Partei ihr Ziel verfehlte, vor der AfD drittstärkste Kraft im Rat zu werden, bezeichnete Fischer als „bitter“, zumal deren OB-Kandidat in der Wählergunst fast drei Prozentpunkte vor ihm landete. „Das macht die Ratsarbeit nicht angenehmer. Aber wir werden dagegenhalten.“ „Keine Überraschung“ war das gute AfD-Abschneiden für Mihalic. Sie machte „viele andere Parteien auch in Gelsenkirchen“ mitverantwortlich. „Sie haben der AfD Recht gegeben, wenn diese von einem Zuwanderungsproblem geredet hat. Wer das ähnlich sieht, wählt aber das Original.“
AfD nicht zufrieden mit Ergebnis
Gemischte Gefühle auch bei der AfD: Die Rechtspopulisten haben zwar stark zugelegt, sich aber mehr versprochen. „Wir sind nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis“, sagt Jörn Schneider vom Kreisverbandsbüro aus. Man hatte sich hier offenbar schon daran gewöhnt, nach Bundestags- und Europawahl AfD-Hochburg in NRW zu sein...
Trotzdem, wirft Spitzenkandidat Jan Preuß ein, sei man ja „der große Gewinner“. Als starke Fraktion im Rat wolle man den anderen Fraktionen gegenüber „grundsätzlich aufgeschlossen“ sein.
Die FDP hatte ihr Quartier traditionell im „Domgold“ in Buer aufgeschlagen – Inhaber Christoph Klug ist schließlich stellvertretender Kreisvorsitzender der Gelsenkirchener Liberalen. Schnell wurde klar: Das ehrgeizige Ziel, das OB-Kandidatin Susanne Cichos vorgegeben hatte („Ich will in die Stichwahl“) war nicht zu erreichen. Bei der Wahl zur Oberbürgermeisterin landete die 52-Jährige auf Platz fünf, bei der Ratswahl holte die FDP 4,0 Prozent der Stimmen. Marco Buschmann, Bundestagsabgeordneter und Kreisvorsitzender, hob die positiven Aspekte hervor und lobte Susanne Cichos: „Wer das Ergebnis zum Rat verdoppelt, wer das Ergebnis bei der OB-Wahl vervierfacht hat, dem gebührt ein großer Dank.“ Cichos selbst zeigte sich dagegen eher enttäuscht: „Auf sechs Prozent hätte ich schon gehofft“, sagte sie. Am späteren Abend stand aber fest: Weil der neue Rat aufgrund einer großen Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten deutlich größer wird, wird die FDP mit vier Mitgliedern ins Hans-Sachs-Haus einziehen und somit Fraktionsstärke haben.
Die Linken verfolgten die Auszählung der Stimmen ebenfalls im Hans-Sachs-Haus, in der Nähe der CDU, aber weniger glamourös. Schon früh schien für Martin Gatzemeier sicher, was später auch so eintraf: Es läuft auf eine Stichwahl zwischen Karin Welge (SPD) und Malte Stuckmann (CDU) hinaus. Dass am Ende der Wahl 3,0 Prozent der Wähler ein Kreuzchen hinter seinem Namen gemacht haben, überrascht ihn nicht. „Es muss viel Wasser den Rhein hinunter fließen, bis einer Oberbürgermeister wird, der Tacheles redet“, ordnet er ein.
Erwartbare Verluste bei den Linken
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Hartmut Hering, Sprecher des Linken-Kreisvereins in Gelsenkirchen, resümiert: Anscheinend seien die Ansätze der Linken nicht so durchgedrungen. Dass sie am Ende mit leichten Verlusten abschneiden, sei erwartbar gewesen. Generell sei es schwieriger geworden, linke Alternativen publik zu machen. „Wir müssen nun versuchen, die sozialen Interessen der Menschen noch stärker zu vertreten.“ Das Ergebnis der AfD sei für ihn und seine Parteikollegen bedenklich. Die Ergebnisse für den Rat der Stadt bewerten die Linken so: „Das ist das, was wir wollten: Dass die absolute Mehrheit einer Partei gebrochen wird.“
WIN vermutlich in allen Bezirksvertretungen
WIN, die Wähler-Initiative NRW, hat sich für den Saal Büyükçekmece in der vierten Etage des Hans-Sachs-Hauses entschieden. Viele sind gekommen, um zu verfolgen, wie die Partei und auch Ali-Riza Akyol als Oberbürgermeisterkandidat abschneiden. Am Ende des Wahlabends gibt sich Akyol zufrieden. „Wir sind sehr wahrscheinlich in allen Bezirksvertretungen vertreten. Das bringt uns noch näher an die Menschen.“ Er und seine Parteikollegen freuen sich, dass sie nun die Gelegenheit haben werden, Politik für die Menschen zu machen. „Uns konnte nichts besseres passieren“, so Akyol.
Grundsätzlich freuen sich die Menschen hinter WIN schlicht über die Tatsache, dass man sie und ihre Ansätze gehört hat. „Politischer Erfolg lässt sich nicht immer nur am Wahlergebnis messen“, ist Akyol überzeugt. Und er blickt zurück: „Wenn man als Partei regelmäßig vernünftige Ergebnisse bringt, dann ist das auch eine Leistung.“