Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen. An der Bulmker Straße geht es auch über Nacht noch in die Grube. Mit 450 Tonnen schiebt sich Rohr für Rohr das Abwassersystem nach Norden vor.

Was hier gefördert wird, ist Mergel, graues und fein zermahlenes Gestein, typisch für die Gegend. Es ist unter Tage im Gelsenkirchener Süden, die Grube ist abgesichert gegen das Erdreich, um Platz zu schaffen. Platz für eine riesige Maschine, die Rohre von 1,6 Metern Innendurchmesser in Richtung Norden schiebt und treibt, wo der Bohrkopf ganz weit vorne gewirkt hat. Der Abraum kommt in Loren zurück. Mit schwarzem Gold hat das hier allerdings nichts zu tun, hier wird in Zukunft das Abwasser fließen. Das landet dann nicht mehr im Sellmannsbach, der nebenan noch an der Erdoberfläche in einer Betonsohle in Richtung Emscher vor sich hin dümpelt.

Die Rohre bilden den „Zubringer“, der in die „Autobahn“, den AKE, den Abwasser-Kanal Emscher, mündet, und der Bedingung dafür ist, dass der Fluss getrennt davon wieder sauber fließen kann. Genau das soll auch mit den zahlreichen Bächen geschehen, die noch zwischen steilen Böschungen, hinter Zäunen grau und trüb fließen und einen typischen Mief hinterlassen: „Köttelbecke“.

Mit bis zu 450 Tonnen Druck werden die Rohrstücke nach Nordwesten auf der Sohle der elf Meter tiefen Grube in Gelsenkirchen vorgetrieben.
Mit bis zu 450 Tonnen Druck werden die Rohrstücke nach Nordwesten auf der Sohle der elf Meter tiefen Grube in Gelsenkirchen vorgetrieben. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Auch über Nacht durch den Mergel unter Gelsenkirchen

Der Sellmannsbach verläuft über fünf Kilometer von der Hohenstaufenallee/Wanner Straße in Bulmke-Hüllen durch Bismarck und Schalke-Nord bis zur Emscher an der Kurt-Schumacher-Straße als so genannter offener Abwasservorfluter. In acht bis zehn Metern Tiefe ist er ein Teil des „Riesenpuzzles“, das hier unterhalb der Florastraße von der AGG Gelsenkanal zusammengeknüpft wird. Dieser städtische Eigenbetrieb übernimmt drei der Bauabschnitte, drei die Emschergenossenschaft.

Wegen des Mergels, einem Sedimentgestein, das hier auch Risse aufweist, haben sie auch nachts gearbeitet. Immer sechs Mann in drei Schichten schickt die Firma Epping in die gigantische Grube, von der aus der Vortrieb über 620 Meter Richtung Plutostraße erfolgt. Die Nachtarbeit ist um eine Woche länger gestattet worden, weil die Mergelschicht noch weiter reicht. So müssen die Arbeiten nicht unterbrochen werden, denn dann könnte das graue Gestein nachrutschen.

Die riesige Grube verschwindet dann unter einem Deckel

Viel bekommen die Nachbarn von dem Betrieb im unterirdischen Rohrvortriebsverfahren nicht mit, die kreisrunde Grube von elf Metern Durchmesser ist mit Beton eingefasst, die Sohle ist in zehn Metern Tiefe. „Da ist der Straßenverkehr lauter“, meint Andreas Fischer, für die Bauausführung bei der AGG zuständig. Wenn der Durchstich erfolgt ist, kommt hier ein unscheinbarer Deckel drauf und die Grube ist praktisch verschwunden.

Der Abraum schwebt am Kran ins Scheinwerferlicht der Großbaustelle in Gelsenkirchen.
Der Abraum schwebt am Kran ins Scheinwerferlicht der Großbaustelle in Gelsenkirchen. © Heinrich Jung

Etwa drei Rohrstücke presst die Maschine pro Schicht weiter. 450 Tonnen leistet sie, hinter den armdicken Leitungen steht oben am Rand der Grube dafür allerdings auch ein ganzer Container. Denn 10.000 Volt Mittelspannung sind dafür nötig. Rohre bis zu 3,8 Metern Durchmesser könnte sie schaffen, eine Strecke von 1500 Metern „ohne Schwierigkeiten“, erzählt Bauleiter Steffen Quest. Der Bohrer schafft einen „Überschnitt“, einen um zwei Zentimeter größeren Durchmesser, um die Rohre durchzuschieben und Betonit drumherum zu pumpen, eine Suspension aus natürlichem Ton-Material, das die Reibung nimmt und nach dem Aufquellen das Erdreich abhält.

Blaues Klassenzimmer

Nach dem naturnahen Rückbau sollen Neugierige am Sellmannsbach an verschiedenen Stationen auch die sich nach und nach entwickelnde Natur beobachten oder sich ausruhen können. Die Stationen führen ans Wasser heran oder über Trittsteine über den Bachlauf, am Ufer sollen sollen Tafeln Informationen zum Sellmannsbach bieten.

Im Bereich des Tossehofs soll ein „blaues Klassenzimmer“ Unterricht direkt am und rund um das Thema Bach ermöglichen. Der Bach wird hier durch eine besondere Gestaltung und Naturbaustoffe zu einem Freiluftklassenzimmer für Schulklassen und Kitas.

Jetzt ist direkt am Rohr ein Durchzug zu spüren, er geht in Richtung des Pumpwerks an der Bulmker Straße. „Das wird dann mit dem Anschluss überflüssig“, erklärt Heiner Link von der Bauüberwachung. Sichtbare Arbeiten wird es wieder an der Oberfläche geben, wenn an der Florastraße die kleineren Abwasserrohre angeschlossen werden.

Noch etwa zwei Jahre bis zur Fluss-Landschaft

2022 sollen dann alle Arbeiten abgeschlossen sein und der Sellmannsbach sich mit breiten Auen, flachen Böschungen und einem natürlichen Flussbett ohne Beton präsentieren.