Gelsenkirchen. „Mensch wähl mich“ statt „Monopoly“: Beim frischen Wahlkampf-Event des DGB zeigen sich Gelsenkirchens Politiker überzeugend und zitternd.

Der Kommunal-Wahlkampf ist öde? Von wegen. Mit einer erfrischenden Idee trotzte der DGB Emscher-Lippe am frühen Mittwochabend der Corona-Pandemie, begeisterte für die Politik und forderte Gelsenkirchens OB-Kandidaten Karin Welge (SPD), Malte Stuckmann (CDU), David Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), Susanne Cichos (FDP) und Martin Gatzemeier (Die Linke). Die präsentierten sich beim Livestream-Format „Mensch wähl mich“ ganz unterschiedlich.

Der große Saal der Zentralbibliothek erinnert an diesem Mittwoch an ein TV-Studio. Auf der Bühne stehen sieben Monitore, sitzen drei Regisseure, liegen jede Menge Kabel. In der Arena vor ihnen baut sich weitere Technik auf, um den Wahlkampf ohne Schlagabtausch in die Wohnzimmer der Gelsenkirchener zu streamen.

70 Zuschauer vor den Bildschirmen, 20 Kacheln auf dem Spielfeld

Das klappt, von kleinen Startschwierigkeiten abgesehen, ziemlich reibungslos. Und so können sich die gut 70 Zuschauer frei von Ablenkung auf das Spiel konzentrieren, das der DGB in den vergangenen anderthalb Monaten ausgetüftelt hat.

Die Moderatoren Jördis Thiele und Mark Rosendahl schauen in die Kamera, sehen sich auf dem rechten und die Zoom-Zuschauer auf dem linken Bildschirm.
Die Moderatoren Jördis Thiele und Mark Rosendahl schauen in die Kamera, sehen sich auf dem rechten und die Zoom-Zuschauer auf dem linken Bildschirm. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

20 Kacheln liegen in der Mitte, darauf acht Themenfelder wie Bildung, Mobilität, Umwelt und Soziales – ergänzt durch eine Publikums- und Schätzkategorie. Die Kandidaten mit ihren farbigen Pylonen ziehen nach dem Würfeln vorwärts, bei jedem Stopp wartet das Moderatorenduo Jördis Thiele/Mark Rosendahl mit einer scharf formulierten Frage und genau zwei Minuten Zeit für die Antwort.

Karin Welge mit energiegeladenem Auftritt

In rund 100 Minuten kommt jede Politikerin und jeder Politiker sechs Mal an die Reihe. SPD-Spitzenkandidatin Karin Welge macht dagegen den Eindruck, als wolle sie sich auch den restlichen Abend mit Fragen löchern lassen. Vor der Kamera legt die aktuelle Stadtdirektorin einen energiegeladenen Auftritt hin: Sie nickt schon bei den Fragen, reibt sich die Hände, klatscht und legt los. Wenn sie spricht, dann sicher und mit ausdrucksstarker Gestik und Mimik. Auch inhaltlich zeigt sich Welge gut vorbereitet, Unsicherheit ist für sie an diesem Abend ein Fremdwort.

Konzentrierter Auftritt: Karin Welge (SPD) beantwortet für das Publikum vor den heimischen Bildschirmen eine Frage der Moderatoren.
Konzentrierter Auftritt: Karin Welge (SPD) beantwortet für das Publikum vor den heimischen Bildschirmen eine Frage der Moderatoren. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Das trifft auch auf Malte Stuckmann (CDU) zu, der es auf Grund der Themenauswahl – etwa ohne Sicherheit und Ordnung – schwieriger hat. Und auch der Würfel tut dem Rechtsanwalt keinen Gefallen: Mobilität, Umwelt, Wirtschaft, Arbeit, Umwelt und das Publikum sind seine Kategorien – was er mehr als einmal mit hochgezogenen Augen quittiert.

Malte Stuckmann ebenso souverän – und doch anders

Gelassen geht der 42-Jährige in Position, mit festem Stand und vor dem Bauch gefalteten Händen beantwortet er die Fragen. Er ist präsent im Raum, sein Auftritt ist ebenso souverän wie der von Karin Welge – und dennoch unterscheiden sich die Konkurrenten deutlich.

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Gleich zwei der drei Ermahnung von Moderator Mark Rosendahl kassiert David Fischer. Der Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen hat viel zu sagen und nutzt sein Zeitlimit mehrfach bis auf die Sekunde aus. Sowieso: Das Rennen in der Kategorie „Anzahl Wörter“ gewinnt an diesem Abend der 46-Jährige. Die wählt Fischer mit fester Stimme und bodenständiger Ausstrahlung, konzentriert trägt er seine Standpunkte vor und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Der Auftritt von Susanne Cichos und Martin Gatzemeier

Deutlich wechselhafter präsentiert sich da Susanne Cichos. Mal einladend mit offener Körpersprache, mal deutlich geschlossener mit verschränkten Armen und gekreuzten Beinen tritt die Führungspersonen der FDP vor die Kamera. Sie spricht klar und ohne Wackler. Auffällig: Ihre gelbe Pylone und die schwarze von Malte Stuckmann teilen sich mehr als einmal das gleiche Feld.

Der Würfel fällt: Karthika Nadarasalingam bescherte den Politikern nicht immer die angenehmsten Zahlen.
Der Würfel fällt: Karthika Nadarasalingam bescherte den Politikern nicht immer die angenehmsten Zahlen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Nicht seine Chance nutzen kann dagegen Martin Gatzemeier von der Partei Die Linke. Der Fraktionschef präsentiert sich unsicher, gleich vier Fragen der Moderatoren bringen ihn hör- und sichtbar ins Schwimmen. Mal kippt er ein wenig zur Seite, mal zittert die Stimme – dafür überzeugt er mit seinem Schlussappell an die Runde, statt Klientel-Politik für die Interessen aller Gelsenkirchener einzustehen.

Eindringliche Worte von DGB-Regionsgeschäftsführer Rosendahl

Nach sehr dichten 100 Minuten mit vielen Themen schließen Jördis Thiele und Mark Rosendahl die kurzweilige Veranstaltung. „Wir haben ein Bild von den Personen gewonnen“, freut sich der Regionsgeschäftsführer des DGB und setzt fort: „Klasse, dass sich die Kandidaten auf das Wagnis eingelassen haben.“

Weitere Veranstaltungen geplant

Gut anderthalb Monate Vorlaufzeit benötigte der DGB Emscher-Lippe mit Unterstützung des Bezirks NRW, um die Veranstaltung auf die Beine zu stellen. „Wir haben nicht nur die Lieblingsfragen gestellt und die Unterschiede herausgearbeitet“, bilanzierte der politische Gewerkschaftssekretär Tobias Krupp.

Für den DGB war das Format eine Premiere – eine gelungene dazu, weshalb weitere Termine bereits feststehen. Unter anderem in Erkenschwick, Haltern und Datteln fühlen die Gewerkschafter der kommunalen Politik noch auf den Zahn.

Mit auf den Weg gibt Rosendahl eindringliche Worten. „Hier sitzen heute Abend für uns die Ansprechpartner. Sie verdienen trotz Meinungsverschiedenheiten Anerkennung für ihre Arbeit. Bitte geht wählen, dann können wir viel für die Demokratie erreichen.“