Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen sind jüngst 127 Fälle von Kindergeldbetrug aufgedeckt worden. Wie die Stadt neue Mittel im Kampf gegen Sozial-Missbrauch sieht.

Der jüngste erfolgreiche Schlag gegen Sozialleistungsmissbrauch – Kindergeldbetrug – in Gelsenkirchen beflügelt die Hoffnungen der Behörden, durch solch konzertierte Aktionen den Abfluss von Geldern in dunkle Kanäle dauerhaft zu verschließen. Insbesondere die Stadt Gelsenkirchen sieht im neuen Datenabgleich ein „gutes Werkzeug“, immense Schäden für den Steuerzahler und das Gemeinwohl zu verhindern.

„Jeder Tag früher, an dem illegale Machenschaften aufgedeckt werden, verringert den Schaden für die Gesellschaft“, da sind sich Stadtsprecher Martin Schulmann und Christoph Löhr, Sprecher der Regionaldirektion NRW der Arbeitsagentur, einig. Die Kindergeldkasse, über die die Gelder an die Familien fließen, untersteht der Arbeitsagentur. Für Gelsenkirchen ist die Kindergeldkasse Bochum zuständig.

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Gelsenkirchen: Schaden durch Kindergeldbetrug geht in die Millionen

Zwar lässt sich der genaue Schaden vorerst nicht beziffern, weil die Behörden in dieser frühen Phase der Ermittlungen noch genau herausarbeiten müssen, über welchen Zeitraum beispielsweise Geld für Kinder gezahlt wurde, die es vor Ort tatsächlich gar nicht gab. „Legt man bei 127 aufgedeckten Fällen in Gelsenkirchen Leistungen in Höhe von 204 Euro für das erste und zweite Kind zugrunde, so ist ein monatlicher Schaden von 26.000 Euro entstanden“, sagte Löhr.

Auf ein Jahr hochgerechnet sind das 312.000 Euro. Der wirkliche Schaden dürfte daher beträchtlich sein und in der Fläche in die Millionen gehen, weil derartige Kontrollen nach dem Willen der Landesregierung Tagesgeschäft für die Kommunen sein sollen.

Vergangene Woche wurden in Gelsenkirchen 127 Fälle aufgedeckt

Anfang vergangener Woche hatten rund 100 Einsatzkräfte des Landeskriminalamtes, der Polizei, des Kommunalen Ordnungsdienstes und der Kindergeldkasse 105 Wohnungen in Gelsenkirchen durchsucht und dabei 127 Fälle von Kindergeldbetrug aufgedeckt.

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Basis für den Ermittlungserfolg ist das von Innen-, Justiz- und Finanzministerium initiierte Projekt „Missimo“, bei dem Daten von Jugend-, Schulverwaltungs- und Einwohnermeldeamt über Auffälligkeiten bei Kindern ausgetauscht und mit denen der Familienkasse verglichen werden. „Früher vergingen Wochen oder teilweise Monate, bis die Verwaltung die Information erreichte, dass beispielsweise Kinder längerfristig in der Schule oder in der Kita gefehlt haben“, so Schulmann weiter zum neuen Prozedere, „jetzt geschieht das sehr zeitnah“.

Arbeitnehmerfreizügigkeit öffnet kriminellen Geschäftemachern die Tür

Die Behörden in Gelsenkirchen und andernorts sahen sich in der Vergangenheit oftmals mit dem Phänomenen konfrontiert, „perfekt ausgefüllte Kindergeldanträge vorgelegt zu bekommen, ohne dass die Antragsteller überhaupt ein Wort deutsch sprachen, geschweige denn verstanden oder schreiben konnten.“

Mit Beginn der vollen EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit 2014 hat das insbesondere für einen großen Zustrom von Unionsbürgern aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland geführt. In Gelsenkirchen leben aktuell 5456 Rumänen und 2945 Bulgaren, die Zahl der Kinder bis 18 Jahre, beläuft sich auf 3747. Ein Kindergeldbezug ist bis zum 25. Lebenjahr möglich, Ausbildung und Studium vorausgesetzt.

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Vielfach angelockt durch dubiose Geschäftemacher, sind Neubürger den Angaben des LKA und der Arbeitsagentur NRW zufolge in maroden Häusern, Schrottimmobilien, untergebracht worden, während die Täter „Sozialleistungen wie Kindergeld beantragten, ganz oder teilweise“ einkassierten und die Eltern in illegale Beschäftigung vermittelten. „Sozialversicherungspflichtige Jobs“, betont Agentursprecher Löhr, „fallen aus dem Kreis der Verdächtigen heraus“, meist handele es sich um Arbeiten mit Mini-Job-Bezug.

Arbeitsagentur NRW rechnet mit wenigen Einsprüchen

Für Betrug wie beispielsweise beim Kindergeld sieht der Paragraf 263 eine Geldstrafe oder eine mehrjährige Freiheitsstrafe vor. Bei den aufgedeckten Fällen von Sozialleistungsmissbrauch haben die Betroffen aber ein Anhörungsrecht.

Beschuldigten wird die Möglichkeit eingeräumt, Einspruch gegen die Betrugsvorwürfe einzulegen und die Existenz der Kinder und damit den Anspruch auf Kindergeld nachzuweisen., bevor ein Strafverfahren eingeleitet wird und Rückforderungen erhoben werden. „Wir gehen aber davon aus“, sagte Arbeitsagentursprecher Christoph Löhr, „dass in den wenigsten Fällen Einspruch erhoben wird.“


390 Problemhäuser in Gelsenkirchen

Den Hintermännern dieser „menschenverachtenden Geschäftemacherei“, das betonen Stadt, Landeskriminalamt und Arbeitsagentur unisono, gelten diese konzertierten Kontrollaktionen. Nicht rechtsschaffenden Neubürgern mit sozialversicherungspflichtigen Jobs.

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In Gelsenkirchen gibt es etwa 390 (Stand November 2019) solcher Schrottimmobilien. „Und pro Woche kontrollieren wir ein bis zwei Problemhäuser“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. Aber dabei stößt die Stadt auf weitere Schwierigkeiten, um den Kriminellen den Boden für ihr Treiben zu entziehen. Etwa wenn aus Miet- Eigentumswohnungen werden und Instandsetzungs- oder Rückbaugebote als städtisches Handlungsmittel ins Leere greifen und sich Verfahrensschritte in extreme Längen ziehen.

Deshalb hat die Stadt Land und Bund um weitere Hilfe gebeten. Der Vorschlag: Bei Wohnungseigentumsgemeinschaften, für die kein Verwalter bestellt ist, soll die Bestellung eines gerichtlichen Verwalters beantragt werden können, der ausschließlich zur Umsetzung von behördlichen Maßnahmen, die alle Wohnungseigentümer betreffen, zuständig ist.