Gelsenkirchen. . Die Zentraldeponie Emscherbruch ist auch ein Platz für Kröte, Ringelnatter & Co. Die AGR setzt seit 2014 zur Begrünung ein Magerwiesenkonzept um.
Ein schwerer Sattelzug poltert die Piste hinauf, folgt der dunklen Wasserspur, die kurz zuvor ein Sprengwagen gelegt hat. So soll der Staub auf der kurvigen Trasse gebunden werden. Noch eine Kurve, dann ist der Lkw am Ziel: hoch oben auf der Zentraldeponie Emscherbruch. Radlader und Raupenfahrzeuge werden in wenigen Minuten die tonnenschwere Last verschieben und niederwalzen, die Kippe wird wieder um ein paar Kubikmeter wachsen.
Perspektivwechsel. Fort von Schutt und Schotter — Richtung Grün. Hier sieht die Halde auf einmal wie ein sanfter Berghang aus. Magerwiese macht sich breit, fällt sanft hinab zu einer Mulde, in der braunes Röhricht noch milde daran erinnert, dass hier vor der Sommerhitze ein Teich war – Laichgewässer für Molch, Kröte und Co. Die Natur hat hier einen Platz gefunden. Gestaltet von Menschenhand, konzipiert und realisiert von der AGR, der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet. Auf der Bauschuttdeponie im Emscherbruch, heißt es, bringt sie „Entsorgungssicherheit und Ökologie in Einklang“.
Beeindruckende Artenvielfalt entwickelt sich auf der Halde
Kalenderbilder 2018 mit zahlreichen Tiermotiven zeugen davon, dass das nicht bloß ein PR-Spruch ist: Eine Schafherde hält das Gras kurz, ein Schwalbenschwanz oder ein Hauhechel-Bläuling, beide nicht gerade Alltags-Schmetterlinge, saugen Nektar aus Blüten, ein Turmfalke lauert auf Beute, ein Fasan versucht, nicht zu selbiger zu werden. Ringelnattern schlängeln sich durchs Grün, eine knallrote Feuerlibelle ist ebenso ein Bild wert wie ein dickes Grasfroschmännchen, das aufmerksam aus einem der vier Kreuzkrötenlaichgewässer guckt.
Zugegeben, beim Deponiebesuch mit Petra Lindenhoven-Frölich und Heinz Getzewitz muss man auf die Macht der Bilder vertrauen. In natura machen sich Vertreter der Tierwelt an einem sonnigen Spätvormittag rar. Auch die Wiesenvielfalt erschließt sich nur dem Kennerblick. Am grünen Hang rund 80 Meter hoch über Resse erkennt der versierte Laie gerade mal ein paar wilde Möhren und Schafgarbe.
Expertin für „Rekultivierung von Flora und Fauna“
Lindenhoven-Frölich, Agraringenieurin der Gesellschaft für Umweltberatung und Projektmanagement, ist ausgewiesene Expertin für die „Rekultivierung von Flora und Fauna“. Getzewitz ist Deponie-Betriebsleiter der AGR. Seit 1990 arbeitet er auf der „Hügeldeponie“, die mit einer drei Meter dicken Oberflächenabdichtung gedeckelt und begrünt wird.
Früher üblicherweise mit Bäumen und Buschwerk. „Doch das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Getzewitz. Die ökologische Vielfalt ist so begrenzt, zudem eine Gefahr für die Abdichtung gegeben. Seit 2014 wird bei der AGR ein neues Konzept in die Praxis umgesetzt. Die Haldenflanken werden zu Magergrünland. Das ist artenreicher als fette Wiesen – und pflegeleichter.
Was wächst, was bleibt?
Lindenhoven-Frölich beschäftigt das Monitoring. Sie will wissen: Was wächst, was bleibt, was vermehrt sich, was überdauert nur am Standort oder kümmert dahin? Die Starthilfe kommt aus der Tüte: „Wir verwenden hochwertiges Saatgut aus der Region“, sagt die Agraringenieurin. Über 25 verschiedene Arten sind enthalten, darunter Margeriten, Schafgarbe und Laabkraut, aber auch Ruchgras und Hornklee.
Geduld ist dabei die Tugend der Naturbeobachter. Über fünf Jahre läuft das Monitoring. Dann gelte es zu entscheiden, ob der Versuch „funktioniert oder nicht“. Allein zwei bis drei Jahre, weiß die Expertin, dauere es, „bis sich das entwickelt und etabliert“. Die bisherigen Ergebnisse, das ist deutlich, machen Hoffnung. „Wir haben es beispielsweise schon geschafft, die Kreuzkröte zu etablieren.“
Ringelnattern und Kreuzkröten haben im Emscherbruch ohnehin größere Reviere. Bei den Vögeln wurden im Deponiebereich auch seltene Exemplare ausgemacht: Stieglitz, Feldlerche, Waldkauz und Braunkehlchen, Sumpfmeise, Zilpzalp und Zaunkönig wurden gesichtet, bei den Bachstelzen zwei Brutpaare registriert.
Fünf Bienenvölker auf der Halde
Ohne Hege und Pflege können sich auch anspruchslosere Magerweiden nicht entwickeln – Schafe als Öko-Rasenmäher halten Bewuchs klein. Der erste Versuch mit einer Herde verlief befriedigend, aber ohne regelmäßige Mahd geht es nicht. Und auch in anderen Fällen hilft nur die Motorsense. Getzewitz: „Staudenknöterich bekämpfen wir und auch das Jakobskreuzkraut. Das ist eine unselige Angelegenheit.“
Brütende Uhus mitten im Schüttbetrieb
Mit schweren Maschinen im direkten Umfeld tun sich manche Tiere offenbar leicht. „Wir hatten Uhus mitten im Schüttbetrieb. In einer kleinen Böschung haben die zwei Junge aufgezogen. Für eine gewisse Zeit haben wir den Betrieb direkt an der Stelle dann stillgelegt. Aber insgesamt waren wir überrascht: Da fahren jeden Tag über 200 Lkw vorbei und die Vögel nisten trotzdem“, sagt Getzewitz.
Über 65 verschiedene Vogelarten wurden laut Petra Lindenhoven-Frölich bislang auf der Deponie gezählt. Darunter auch weitere Raubvögel. Für den Mäusebussard wurden beispielsweise Nisthilfen in den benachbarten Wäldern installiert.
100 000 tierische Bestäuber werden künftig helfen, die Vielfalt zu vergrößern. Ein Imker wird fünf Bienenvölker auf die Deponie setzen. „Im Bereich des Bodenlagers, dort haben sie hoffentlich eine gute Weide“, sagt der Betriebsleiter. Und dann wird es ihn vermutlich auch erstmals geben – den Honig von der Halde.
Teil der regionalen Infrastruktur
Für die AGR arbeiten auf der Zentraldeponie rund 60 Mitarbeiter. Für Jürgen Fröhlich, Leiter der Unternehmenskommunikation der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet in Herten, ist die Zentraldeponie ein wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge und regionaler Infrastruktur.
„Eine Gesellschaft braucht auch dringend Orte, wo sie ihren Abfall beseitigt.“ Ohne die Deponiekapazitäten, so Fröhlich, sei beispielsweise die Renaturierung der Emscher nicht möglich. „Das geht nur, weil die hier ihren Aushub deponieren können.“
Deponie-Kapazität soll erweitert werden
AGR sieht Bedarf für Abfallmengen von rund 4,6 Millionen Kubikmetern. Die Deponie soll dafür um bis zu zehn Meter erhöht werden. Auch im Bereich des heutigen Zwischenlagers für Sonderabfälle soll die Deponie wachsen. Nach der geplanten Verlagerung des Zwischenlagers zum Abfallkraftwerk RZR Herten sollen dort Böden und Bauschutt gelagert werden.
Das Zusatzvolumen hier: 1,5 Millionen Kubikmeter, die Kapazitäten würden für etwa zehn bis 15 Jahre reichen. Die Genehmigung soll noch 2018 bei der Bezirksregierung Münster beantragt werden.
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3000 bis 5000 Tonnen Boden und Bauschutt landen pro Tag auf der Halde im Emscherbruch oder in der Aufbereitungsanlage. Über 90 Prozent des Deponieguts stammen aus dem Kernruhrgebiet.
89 Hektar misst die eigentliche Deponiefläche. Das gesamte Gelände ist über 110 Hektar groß, 32 davon wurden zu Grünland- und Weidenflächen entwickelt. Auf bislang 3,5 Hektar bietet der nährstoffarme Untergrund dabei den Nährboden für Artenvielfalt.
5 Brände in nur sieben Monaten hat es auf der Deponie gegeben: Am 9. Dezember 2017, 11. März, 20. April, 7. Juni und 16. Juli. Jedes Mal brachen die Flammen im Nebenlager (genehmigt für 25 000 Tonnen Siedlungs- und Hausabfälle für maximal zwölf Monate) aus. Ein neues Lager wird in Herten gebaut. Die Bezirksregierung hat bis dahin ein erweitertes Brandschutzkonzept eingefordert.
Die AGR hat reagiert und nach dem Juni-Brand die Schüttkante niedriger angelegt. Außerdem seien zuletzt 2000 Tonnen Bodenmaterial ans Lager gefahren und eine zusätzliche Wasserversorgung eingerichtet worden. Das Interimslager – 40 Meter hoch auf der Halde – soll im Februar 2019 geräumt werden. Das neue Lager entsteht am Fuß der Halde und ist dort weniger dem Wind ausgesetzt, der die Flammen anfacht.