Stadträtin Annette Berg blickt mit der WAZ auf ihr erstes „Schuljahr“ in Gelsenkirchen zurück. Und findet viel Lob für die Kultur.
- Dezernentin sieht aktuell bei der Beschulung in Gelsenkirchen die Kapazitätsgrenze erreicht
- Bestandsaufnahme von Schülern, deren Bildungsstand und den Schulen steht ganz oben auf der Agenda
- Das Land muss helfen bei Konzepten für die Überführung Internationaler Förderschüler in Regelklassen
Gelsenkirchen. Stadträtin Annette Berg ist seit Oktober 2016 Dezernentin für Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration in Gelsenkirchen. Im SommerGEspräch blickte WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies mit ihr auf ihr „erstes Schuljahr“ in Gelsenkirchen.
Frau Berg, die erste Klasse haben Sie in Gelsenkirchen als Bildungsdezernentin hinter sich gebracht. Als Quereinsteigerin quasi, da Sie ja erst im Oktober angefangen haben. Welche Note würden Sie der Stadt nach dieser Zeit geben?
Das waren vom Programm her eher drei Jahre als eins! Aber zur Frage: Ich habe ein tolles, engagiertes und motiviertes Team hier. Also gebe ich eine Zwei plus – (lacht) man muss ja immer noch Luft nach oben halten.
Für jedes Kind die bestmöglichen Voraussetzungen
Im Ernst: Ihr Aufgabengebiet ist ja extrem vielfältig mit Kultur, Bildung, Jugend, Sport, Integration. Auf welchem dieser Felder liegt derzeit Ihre größte Baustelle?
Eindeutig in der Bildungs- und Schulentwicklung insgesamt und in der Integration insbesondere. Ich werde mir aber zukünftig auch mehr Zeit für die Kultur nehmen.
Was steht denn im Bereich Schule oben auf Ihrer Agenda?
Wir müssen an der Schulplanung arbeiten. Ich sage bewusst nicht Schulentwicklungsplanung, um nicht einen viel zu langen bürokratischen Prozess anzustoßen. Wir können nicht vom jetzigen Stand der Schulen und Schülerzahlen ausgehen und dies auf die kommenden zehn Jahre hochrechnen. Es geht vielmehr darum, eine Bestandsaufnahme von Schülern, deren Bildungsstand und den Schulen zu machen, um zu wissen, was kurz- und mittelfristig notwendig ist, um die Bildungslandschaft in Gelsenkirchen weiterzuentwickeln. Mein Ziel ist es, jedem Kind die individuell bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen.
Bewältig dank großartiger Schulleitungen und Lehrer
Falls Martin Schulz recht behält und wieder mehr Flüchtlinge kommen: Schaffen unsere Schulen das?
Wir hatten 2016 / 17 eine echte Notunterbringungssituation zur Sicherstellung der Schulpflicht, die wir nur gut bewältigen konnten, weil wir so großartige Schulleitungen und Lehrer haben. Es wurde eine gemeinsame Kultur aufgebaut, wir sind in enger Abstimmung, haben gemeinsam Lösungen gefunden. Aber wir sind bei der Beschulung an der Kapazitätsgrenze. Mehr geht derzeit nicht.
Wie weit ist das Konzept zur Überführung der Internationalen Förder- Schüler in Regelklassen gediehen? Wird es auch künftig jeweils ganze Jahrgänge geben, die an einer bestimmten Schule aufgefangen werden oder sollen die Schüler eher verteilt werden?
Gelsenkirchen ist gern bereit und arbeitet intensiv daran, Beispielkonzepte für die Einbindung von Zuwandererkindern zu entwickeln. Das haben wir ja schon getan in diesem Jahr mit der jahrgangsweisen Verteilung in Klasse sieben bis neun. Auch das Land ist in der Pflicht, Konzepte zu entwickeln. Aber nach meiner Einschätzung ist von Landesseite noch nirgends eine entsprechende, tragbare Konzeption im Gespräch.
„Wir müssen Integration referatsübergreifend denken“
Unter Ihrer Dezernatsleitung wurde ja auch das neue Referat Integration eingerichtet, um die vorhandenen Angebote zu bündeln. Hat es sich schon bewährt?
Die Struktur ist geschaffen, es ist viel Innovatives angestoßen. Wir wollen Perspektiven schaffen und Integration referatsübergreifend denken. Auch bei den Präventionsketten im Kinder- und Jugendbereich muss das im Blick sein. Das fängt bei minderjährigen Müttern von Zuwanderern an, bei denen wir Vormund sind, geht weiter über frühe Förderung in der Kita und später in den Schulen und bei Abschlüssen. Wir müssen alles tun, damit Bildungskarrieren für alle Kinder gelingen können. Das Mindeste ist, dass alle einen Abschluss erreichen. Hierbei wollen wir Eltern stärker einbinden. Dazu wird es eine Gesprächsrunde mit der Stadtschulpflegschaft geben im Herbst. Beteiligung erfolgreich praktiziert haben wir ja bereits bei den Barcamps. Und wir wollen schon im Kindergarten Talente suchen und fördern. Da ist viel im Aufbau.
Landesprojekt „Wegweiser“ kommt nach Gelsenkirchen
Der Jugendbereich ist ihr ureigenstes Fachgebiet. Genau hier gab es ja große Probleme wegen des früheren Referatsleiters Alfons Wissmann. Wo stehen Sie da heute?
Mit Wolfgang Schreck haben wir einen guten, besonnenen Nachfolger gefunden. Aber für das nächste Jahr haben er und ich in dem Bereich noch viel vor. Wir sind froh, dass das Landesprogramm „Wegweiser“, das gefährdete Jugendliche begleitet, künftig auch in Gelsenkirchen vertreten sein wird.
Wann dürfen wir mit einer Analyse zu der hohen Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss rechnen?
Wir sind dabei. Sicher sagen können wir aber: Die meisten derer, die die Schule ohne Abschluss verlassen, haben keinen deutschen Pass. Und in der Statistik erfasst sind auch Schüler, die auf ein Berufskolleg wechseln und erst dort den Abschluss machen.
Die Schulsozialarbeit muss dauerhaft gesichert sein
Zu einem anderen Ihrer Fachbereiche. Hat Sie die extrem kontroverse Diskussion über die Bäder überrascht?
Nur bedingt. Bäder sind immer ein politisches Thema. Ich bin froh, dass das Konzept zunehmend sachlich und lösungsorientiert diskutiert wird. Für mich ist es besonders wichtig, dass Schulschwimmen gewährleistet ist und dass die Sportvereine ausreichend Trainingsmöglichkeiten haben.
Was macht die Besetzung der Planer-Stellen, die Voraussetzung für die bauliche Planung von Schul-Aus-und Umbauten ist?
Wir sind sehr gut in der Umsetzung und haben bereits eine Menge der Stellen besetzt. Dennoch konnten einige Fachdisziplinen aufgrund des Fachkräftemangels bisher noch nicht vollumfänglich besetzt werden.
Wenn Sie drei konkrete Wünsche frei hätten für Ihre Arbeit: Was würden Sie sich wünschen?
Dass die Förderung der Schulsozialarbeiter-Stellen über 2018 hinaus gesichert und weiter ausgebaut wird. Wir brauchen unbefristete Stellen für eine kontinuierliche Arbeit. Und ich wünsche uns Bauplaner, damit wir die nötigen Um- und Ausbauten im Schulbereich umsetzen können.
Eine Frage an die Kulturdezernentin: Welche Inszenierung am Musiktheater oder auf Consol hat Sie am meisten beeindruckt?
Ich habe mir in dieser Saison fast jede Premiere am Musiktheater im Revier angesehen, und ich war auch viel am Consol Theater. Fantastisch fand ich am MiR „Die Passagierin“ mit dem umfangreichen Begleitprogramm zu diesem wichtigen Thema, bei dem auch Schulen und der Ziegenmichel eingebunden waren. Aber auch das „!Move“-Projekt hat mich sehr beeindruckt. Beim Bibellesen in der Bleckkirche habe ich mitgemacht. Unsere innovative Kulturverwaltung als auch die Werkstatt in Buer haben mich wirklich überzeugt mit ihrem Engagement. Ich habe viel mit Vertretern der freien Kulturszene gesprochen und möchte diese unterstützen. Wir haben die Vertreter jetzt eingeladen zu einer Zukunftskonferenz Anfang September, um noch besser miteinander ins Gespräch zu kommen.
Und eine letzte, ganz private Frage: Zieht es Sie im Urlaub eher in die Berge oder ans Meer?
(mit Inbrunst): Ans Meer!