Gelsenkirchen. . In Gelsenkirchen wird anerkannt viel gefördert, trotzdem gibt es mehr Schulabbrecher als anderswo. Die Analyse und Suche nach Auswegen läuft.

  • Bildungsverwaltung arbeitet auf Hochtouren an der Analyse der Ursachen für das Scheitern
  • Auch wer in der Statistik ohne Abschluss geführt wird, kann noch gefördert zum Abschluss kommen
  • Hoher Anteil der Abbrecher hat keinen deutschen Pass – Seiteneinsteiger brauchen drei Jahre länger

Das Thema Schulabbrecher beschäftigt derzeit das Gelsenkirchener Bildungsreferat besonders. Nach der jüngsten, in der WAZ veröffentlichten Statistik von it.nrw stieg der Anteil Jugendlicher in Gelsenkirchen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, klar an. Entgegen dem Landestrend und dem Trend in vergleichbaren Städten. 223 Jugendliche ohne jeden Abschluss listet die Statistik für 2016 auf — gegenüber 127 im Vorjahr. Ohne Hauptschulabschluss 11,8 Prozent, 5,6 Prozent in NRW.

Wer diese Jugendlichen in Gelsenkirchen sind, an welchen Schulen sie gelernt haben, welchen Hintergrund sie haben – all das analysiere die Verwaltung derzeit, so Stadtsprecher Martin Schulmann. Markus Karl, Sprecher der CDU-Fraktion im Ausschuss, hat bereits einen entsprechenden Prüfantrag für die nächste Sitzung des Schulausschusses Ende Juni gestellt.

Abschlüsse an der Volkshochschule fehlen in Statistik

Stadtsprecher Martin Schulmann verweist auf Abschlüsse an Abendschule und Volkshoschule, die in der Statistik nicht einbezogen sind..
Stadtsprecher Martin Schulmann verweist auf Abschlüsse an Abendschule und Volkshoschule, die in der Statistik nicht einbezogen sind.. © Martin Möller

Untersucht wird auch, ob andere Städte wie Duisburg, die eigentlich eine ähnliche Situation wie Gelsenkirchen haben mit vielen Internationalen Förderklassen (IFÖ) und einem hohen Anteil von Seiteneinsteigern aus EU-Ostzuwanderung, die Schulpflicht ebenso strikt einhalten wie Gelsenkirchen. Was jetzt schon klar sei: In Gelsenkirchen gibt es besonders viele junge Erwachsene, die ihren Schulabschluss an Abendschule und Volkshochschule nachholen. Diese sind in der it.nrw-Statistik nicht erfasst. Auch hier soll die Situation mit anderen Städten verglichen werden. Ein weiterer Punkt: In Gelsenkirchen gibt es viele Förderschulen, auch vom Landschaftsverband betriebene, die nicht nur Kinder aus Gelsenkirchen besuchen. Wer dort den Abschluss nicht schafft, taucht jedoch in der Gelsenkirchener Statistik auf. Allerdings gehe es nicht nur um das Erklären der hohen Abbrecherquote, sondern auch ums künftige Verhindern, betont Schulmann. Klar zu sein scheint, dass die meisten Abbrecher keinen deutschen Pass haben.

Marco Sawatzki hat an seiner Hauptschule am Dahlbusch, die er seit 2016 leitet, keine Negativentwicklung bei den Schulabgängern beobachtet. Im Gegenteil, jedenfalls in Bezug auf die Regelklassen: „Da geht so gut wie keiner ohne Abschluss.“ Die Situation in den Internationalen Förderklassen – die Hälfte aller Klassen am Dahlbusch – sei eine andere. „Schüler der Internationalen Förderklassen brauchen nach unserer Beobachtung drei bis vier Jahre länger für einen Abschluss. Je nach Vorbildung und Situation“ räumt er ein. Wer mit zehn Jahren quasi erstmals in die Schule komme und dann erst lerne, was Still sitzen und Lernen heißen, brauche einfach mehr Zeit.

Doppelbesetzung mit Lehrern besonders wichtig

Am Dahlbusch sind viele IFÖ-Schüler bereits in Regelklassen integriert. Nach zwei Jahren in Förderklassen soll das spätestens geschehen, sieht die Landesregelung vor. „Aber dann sind längst nicht alle soweit, dass sie im Stoff mitkommen. Die Doppelbesetzung mit Lehrkräften ist da sehr wichtig.“

Kochschüler am Berufskolleg Königstraße in Aktion. Am Berufskolleg können Schulabgänger ohne Abschluss über eine Kooperation unter anderem mit dem Job-Center eine gefördete Ausbildung etwa zum Kochhelfer machen – und dbaei den Schulabschluss nachholen.
Kochschüler am Berufskolleg Königstraße in Aktion. Am Berufskolleg können Schulabgänger ohne Abschluss über eine Kooperation unter anderem mit dem Job-Center eine gefördete Ausbildung etwa zum Kochhelfer machen – und dbaei den Schulabschluss nachholen. © Martin Möller

Wer schon älter ist, wenn er in Gelsenkirchen landet, geht direkt an ein Berufskolleg. Am Berufskolleg Königstraße war die Situation im Schuljahr 2015/16 erstaunlich. Nur 60 Prozent der Schüler der Regelklassen zur Ausbildungsvorbereitung in Vollzeit- und Teilzeitklassen schafften einen Abschluss. Bei den IFÖ-Klassen gelang das 75 Prozent. Hannelore Pohl, Leiterin des Berufskollegs: „Viele IFÖ-Schüler sind sehr wissenshungrig. Bei uns haben sogar 20 den Übergang in einen höheren Bildungsgang geschafft. Drei sind im Jahrgang Elf am Beruflichen Gymnasium“. Bei den Vollzeitklassen in der Ausbildungsvorbereitung sei das Hauptproblem zu viele Fehltage, so Hannelore Pohl. Viele hielten auch das Praktikum, das durch die Schule begleitet wird, nicht durch.

GEW: Finanzierung von Projekten für die Fläche fehlt

Lothar Jacksteit, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Gelsenkirchen, hingegen findet die Zahlen nicht erstaunlich. Seit Jahren mahne seine Gewerkschaft, mehr Geld in die Bildung zu investieren. Gute Projekte gebe es in Gelsenkirchen, was fehle, sei das Geld um sie auf die Fläche auszuweiten.

>>> Aufenthaltsstatus ist oft ein Problem bei Förderung

Im März 2017 lernten in Duisburg 3950 IFÖ-Schüler, davon 40 Prozent aus EU-Ostzuwanderung. In Gelsenkirchen waren es 2510 IFÖ-Schüler, davon 45 Prozent aus Bulgarien und Rumänien.

  • Von den 5141 Schulabgängern in Duisburg hatten 294 keinen Hauptschulabschluss (HSA), 115 gar keinen. In Gelsenkirchen hatten von 3197 Abgängern 378 keinen HSA, 223 gar keinen. In Herne hatten von 1629 Abgängern 107 keinen HSA, 63 gar keinen Abschluss.

  • Berufsschulabgänger ohne Abschluss können über eine Kooperation mit dem Job-Center, über eine geförderte Ausbildung einen Schulabschluss nachholen. Problem hierbei häufig: Der Aufenthaltsstatus der Schüler.