gelsenkirchen. . Annette Berg leitet seit drei Monaten das Dezernat für Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration in Gelsenkirchen. Eine Bestandsaufnahme.
- Die neue Stadträtin will die ohnehin zusammenhängenden fünf Bereiche in ihrem Dezernat noch enger verknüpfen
- Große Herausforderung, die Schulen bei der Integration der zugewanderten Kinder zu unterstützen
- Es fehlt an Räumen, Personal und Gesamtschulplätzen. Kein Handlungsbedarf bei Gymnasien
Seit dem 1. Oktober ist Annette Berg (49) als Stadträtin für den Bereich Bildung, Jugend, Sport, Kultur und Integration verantwortlich. Im WAZ-Gespräch mit Redakteurin Sibylle Raudies zieht sie die Bilanz ihres ersten Quartals.
Frau Berg, Sie haben 25 Jahre Erfahrung in der Jugendarbeit, -förderung und -hilfe, 17 Jahre leitend, in Monheim und in Essen. Hier erstreckt sich Ihr Wirkungsfeld zudem auf Bildung, Jugend, Kultur, Sport und Integration. Wo liegt ihrer Einschätzung nach in Gelsenkirchen die größte Baustelle?
Annette Berg: In Gelsenkirchen liegt die besondere Herausforderung in der Sicherung von Chancengleichheit in Bezug auf Bildung und Teilhabe. Die einzelnen Bereiche meines Dezernates passen da inhaltlich gut zusammen und es ist mir wichtig, die Bereiche noch enger zu verknüpfen. Wir müssen Kindern und Jugendlichen die Chance bieten, ihre persönlichen Möglichkeiten kennenzulernen und ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen.
Ihr Vorgänger hatte einen klaren Schwerpunkt bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wo sehen Sie Ihren Schwerpunkt hier?
Bildung für nachhaltige Entwicklung ist für die Zukunftsfähigkeit einer Kommune bedeutsam. Mir ist zudem wichtig, Chancengerechtigkeit für alle Kinder zu erreichen. Wir müssen Armutsfolgen bei Kindern verringern um den Start ins Leben zu verbessern. Gelsenkirchen hat bereits kommunale Präventionsketten aufgebaut. Die Bildungs- und Präventionsangebote möchte ich weiterentwickeln. Die ersten Pflöcke haben wir bereits gesetzt, mit der besseren Ausstattung von Schulen mit Mitteln aus „Gute Schule 2020“. Die Zielsetzung ist klar: Bildung schafft Chancen und kein Kind darf verloren gehen.
„Ungeheure Qualität“ bei den Bildungsinstituten vor Ort
Wie sind die Bildungsinstitute in Gelsenkirchen ihrer Einschätzung nach denn dabei aufgestellt?
Der kulturellen Bildung, wie etwa den Angeboten des Musiktheaters, der Musikschule, des Kunstmuseums, des Consol Theaters und des Kulturreferates kommt neben der formalen Bildung der Schulen, den Angeboten der VHS und der frühkindlichen Bildung der Kitas ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Hier sehe ich eine ungeheure Qualität. Auch die Arbeit von Gelsensport sichert Zugänge für alle Bevölkerungsgruppen.
Wie gut kennen Sie denn die Kulturszene hier schon?
Ich hatte schon viele Gelegenheiten die vielfältige Kulturlandschaft Gelsenkirchens kennenzulernen. Ich freue mich darauf, in 2017 weitere Künstlerinnen und Künstler sowie Initiativen persönlich kennenzulernen. Die Bedeutung von Kunst und Kultur für eine Stadtgesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Schulen brauchen mehr räumliche Kapazitäten und mehr Personal
Wie läuft es bei der Integration?
Bildung und Integration gehören zusammen. Wir stehen vor der großen Herausforderung, Schulen bei der Aufgabe der Integration der zugewanderten Kinder zu unterstützen. Zur Gestaltung der Integration gründen wir Anfang 2017 ein neues Referat „Zuwanderung und Integration“.
Es gibt keinen gültigen Schulentwicklungsplan für weiterführende Schulen. Wie finden Sie das?
Wir müssen Planungssicherheit für die Schulen und ihre vielfältigen Aufgaben schaffen. Mein Ziel ist, in 2017 mit der Arbeit an einem Schulentwicklungsplan zu starten.
Und wo sehen Sie notwendige Schwerpunkte dabei?
Wir brauchen mehr Gesamtschulplätze, wie die Anmeldezahlen seit Jahren zeigen. Die zusätzlichen 2000 Schüler zu versorgen und der Anspruch, Bildungschancen zu ermöglichen, stellen uns vor eine große Herausforderung.
Kein Handlungsbedarf bei den Gymnasien
Können Sie sich vorstellen, bei der Planung einer neuen Gesamtschule im Gegenzug auf ein Gymnasium zu verzichten?
Nein. Bei den Gymnasien sehe ich keinen Handlungsbedarf. Die Schulen benötigen insgesamt zusätzliche räumliche Kapazitäten. Und wir brauchen mehr Personal von Bauplanern über Sozialarbeiter bis hin zu Sonderpädagogen und Lehrern. . .
Wie sieht es im Jugendamt aus?
Das Jugendamt wird sich in unterschiedlicher Hinsicht neu aufstellen. Wir werden die Präventionsarbeit weiterentwickeln und die Jugendhilfe als Akteur in der Bildungslandschaft stärker in den Blick nehmen. Wir müssen frühestmöglich bei den Familien sein. Der Sozialdienst Schule hier ist sehr interessant. Insgesamt müssen wir mehr biografie- und sozialraumorientierte Bildungsplanung betreiben. Es gibt hier zu viele Schulabgänger ohne Abschluss.
Verantwortungsgemeinschaft für Entwicklungsförderung
Und wo ist dabei Ihre Aufgabe?
Wir brauchen eine Verantwortungsgemeinschaft, mit der wir gemeinsam Eltern, Kinder und Schulen unterstützen, sie im Sinne der Chancengleichheit zusammenbringen und für gemeinsame Bildungs- und Entwicklungsförderung gewinnen. Wir knüpfen an die Landesinitiative „Kein Kind zurücklassen“ vor Ort an und entwickeln sie konsequent weiter. Diesen Prozess will ich initiieren und begleiten.
Gelsenkirchen ist für Sie...?
Eine Entscheidung für eine sehr aufregende, spannende Stadt, in der ich künftig mit meinem Mann auch leben will. Es gibt Widersprüchliches und Zukunftsweisendes zu entdecken. Das gefällt mir. Ich habe sehr engagierte Menschen hier kennengelernt und ein tolles Team in meinem Dezernat.
Vielen Dank, Frau Berg, für dieses Gespräch.