Gelsenkirchen. Der Fall der spurlos verschwundenen Annette L. aus Gelsenkirchen wird wohl nie geklärt werden. Die Ermittlungen wurden vorerst eingestellt.

  • Dieser Artikel ist am 27.11.2014 erschienen.
  • Zuletzt hat diese Zeitung am 8. März 2019 über den Fall von Annette L. berichtet.
  • In der Berichterstattung aus dem März 2019 werden zudem drei weitere ungelöste Vermisstenfälle von Rhein und Ruhr vorgestellt.
  • Hier finden Sie den Artikel.

Seit viereinhalb Jahren sucht die Essener Mordkommission vergebens die Leiche einer 44-jährigen Frau. Im Frühsommer 2010 verschwindet die ehemalige Polizistin aus Gelsenkirchen spurlos von einem auf den anderen Tag. Obwohl es keine eindeutigen Beweise gibt, sind sich die Ermittler sicher: Annette L. ist tot, wurde umgebracht in ihrem Schlafzimmer, von ihrem Ehemann, dem Polizeibeamten Dirk L.. Angeklagt wegen Mordes wurde er bis heute dennoch nicht. Ohne die Leiche gibt es keinen Mordprozess.

Jetzt wurden die Ermittlungen gegen Dirk L. eingestellt. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage dieser Redaktion am Donnerstagmorgen.

Annette L. – der Fall der verschwundenen Polizistin aus Gelsenkirchen

In der Nacht zum 30. Mai 2010 soll Dirk L. seine Frau im Schlafzimmer der Ehewohnung getötet und die Leiche an einen unbekannten Ort gebracht haben. In jenem Haus, in dem das Ehepaar zusammen mit ihren vier Söhnen lebt. Eine Woche später, am 7. Juni 2010 meldet Dirk L. seine Ehefrau als vermisst. Seit dem 2. Juni sei sie verschwunden.

Als der erste Verdacht auf den Polizisten Dirk L. fällt, gibt die Gelsenkirchener Polizei das Verfahren an die Essener Mordkommission ab, um gar nicht erst den Verdacht der Kumpanei aufkommen zu lassen. An einen Selbstmord glaubt die Kripo nicht, auch nicht daran, dass Annette L. ihre Familie verlassen haben könnte. Denn dazu passt nicht, dass vermutlich am 3. Juni an einer Halde in Gelsenkirchen-Scholven die Matratzen aus dem gemeinsamen Ehebett verbrannt wurden.

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Im Brandschutt findet sich auch noch ein Esprit-Jeansknopf mit DNA-Spuren, die zu Annette L. passen könnten. Ehemann Dirk ordnen die Ermittler zudem den Kauf zweier Matratzen am 31. Mai im Dänischen Bettenlager zu.

Am 25. Juni entdecken Spaziergänger im Waldgebiet „Haard“ bei Marl den Mercedes Viano (GE-AL 2701), den Annette L. fuhr. Er ist vollständig ausgebrannt, Spuren gibt es nicht. Für die Kripo ist klar: Bei den Matratzen und beim Auto musste ein Täter Spuren vernichten, die auf den gewaltsamen Tod der Vermissten hinwiesen.

Eine Fährte gibt es: Spürhunde, denen eine Geruchsprobe von Dirk L. vorgehalten wird, laufen vom Autowrack im Wald schnurstracks zum acht Kilometer entfernten Haus seines Vaters in Marl, in dem Dirk L. sich oft aufhielt. Der Verdacht: Mit dem Fahrrad radelte er vom Brandort zum Haus des Vaters, wo er seinen eigenen Pkw abgestellt hatte.

Das Lügengeflecht des Dirk L.

Schon in den Tagen vor dem Fund des Autos hatte die „MK Buer“ ein Lügengeflecht des Dirk L. ans Tageslicht gebracht. Trotz einer völligen Überschuldung lebte er auf 180 Quadratmetern in einer wohlhabenderen Wohngegend von Buer. Zusätzlich hatte er seit Anfang des Jahres gegenüber der Polizeiwache Nord ein Appartement angemietet. Und er hatte seit über einem Jahr ein Verhältnis mit einer 33 Jahre alten Kollegin, die seit dem Frühjahr schwanger von ihm war.

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Sexuelle Kontakte hatte er zeitgleich auch noch zu zwei anderen Frauen. Seine Geliebte gab freimütig Auskunft. Wenn er einen gemeinsamen Urlaub versprochen hatte oder sie seine Ehefrau zur Aussprache treffen wollte, sei immer etwas dazwischen gekommen. Kurzfristig habe Dirk L. wegen schlimmer Schicksalsschläge abgesagt: Tod seines Vaters, seiner Schwester, seines Schwagers, Brustkrebs der Ehefrau. Nichts davon stimmte. Und seiner Geliebten, die immer mehr auf ein Treffen mit seiner Frau drängte, soll er sogar schon am 12. Mai erzählt haben, Annette L. sei verschwunden.

Wieder eine Lüge. Sie selbst sah die Nebenbuhlerin später in Buer. Und versuchte Ende Mai mehrfach, Annette L. zu treffen. Eine Katas­trophe für ihren Ehemann. Denn die Trennung von seiner Frau hätte für ihn den finanziellen Ruin bedeutet, sind sich die Fahnder sicher.

Anklage wegen Brandstiftung und Besitz von Kinderpornografie

2011 erhebt die Staatsanwaltschaft Essen Anklage am Amtsgericht Buer wegen Brandstiftung und Besitz von Kinderpornos gegen Dirk L.. Material, das während der Mordermittlungen sichergestellt wurde. Die Richter sprechen eine zweijährige Haftstraße aus. Antreten muss der vom Dienst suspendierte Gelsenkirchener Polizist diese aber nicht. 2012, im Berufungsverfahren am Essener Landgericht wird das Kinderpornografie-Verfahren eingestellt. Dirk L. bekommt eine Bewährungsstrafe wegen schwerer Brandstiftung. Ein Gutachter entlastet ihn: Es sei möglich, dass er nur zufällig auf den entsprechenden Seiten im Internet unterwegs war.

Es ist der vorerst letzte Tag an dem sich Dirk L. in der Öffentlichkeit äußert. Über seinen Verteidiger lässt er eine Erklärung verlesen, in der er Polizei und Justiz eine Verschwörung und einseitige Ermittlungen vorwirft. Die Polizei hätte ihn unter Druck gesetzt, Hilfestellungen seinerseits seien abgelehnt worden. Auch die Brandstiftung streitet er ab.

Seither ist es ruhig geworden im Fall Annette L.. Noch immer fehlt jede Spur von ihr. Es gibt kein Lebenszeichen und auch keine Leiche. Auch viereinhalb Jahre später gibt es keine Gewissheit für Familie und Freunde, keinen Ort, an dem sie Abschied nehmen können. Eines der dunkelsten Kapitel in der Gelsenkirchener Kriminalitätsgeschichte bleibt ungeklärt.