Annette L. ist verschwunden, und das schon fast ein halbes Jahr lang. Die Polizei ermittelt und ist sich sicher: Ihr Ehemann hat sie umgebracht. Doch die Leiche fehlt – und damit der letzte Beweis für seine Schuld.
Fast ein halbes Jahr schon ist Annette L. verschwunden. Die Polizei geht von einem Kapitalverbrechen aus, davon dass die 44-Jährige tot ist. Und sie ist sich sicher: Der Ehemann war der Täter.
Selten hat sie sich so weit aus dem Fenster gelegt, vielleicht auch weil der einzige Hauptverdächtige, Dirk L., selbst Polizist ist. Seit über zwei Monaten liegen die Akten bei der Staatsanwaltschaft in Essen. Doch Anklage wurde bislang nicht erhoben. „Wir sind jetzt in der entscheidenden Phase“, so Staatsanwalt Marcus Schütz.
Selten hat ein Fall die Öffentlichkeit in Gelsenkirchen so bewegt: Anfang Juni kam die erste Meldung, dass die vierfache Mutter verschwunden ist. Schon bald rückte der Ehemann ins Zentrum der Ermittlungen, der erst einige Tage nach dem Verschwinden Vermisstenanzeige erstattet hatte. Drei Wochen später wurde ihr Wagen ausgebrannt in der Haard gefunden. Nach Zeugenhinweisen auch die verbrannten Matratzen aus dem Ehebett.
Lange Indizienkette
Die Indizienkette gegen den Ehemann, der eine schwangere Freundin hatte, ebenfalls Polizistin, wurde dichter und dichter. Er soll sich in Widersprüche verwickelt haben, auch falsche Aussagen gemacht haben. Er ist weiter vom Dienst suspendiert, aber ansonsten ein freier Mann. Trotz des Einsatzes von Hundertschaften, Tauchern und Hundestaffeln wurde die Leiche von Annette L. aber nicht gefunden.
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Und das ist Hauptproblem für den Staatsanwalt: Eine Anklage ohne Leiche ist ein juristischer Drahtseilakt. Eine Tat, Mord oder Totschlag, muss allein mit Indizien ohne ein Geständnis – der Verdächtige schweigt – nachgewiesen werden und die Beweiskette muss vor einem Richter stand halten. Und grotesk mutet geradezu an: Die Staatsanwaltschaft müsste nachweisen, dass das mutmaßliche Opfer auch tot ist. „Das ist das Entscheidende“, weiß auch der Staatsanwalt. Auch dass das Auto ausbrannte, die Matratzen versengt auf einer Müllhalde gefunden wurden, mag die Öffentlichkeit im Urteil bestärken, ist aber auch nicht mehr als ein Indiz. Juristisch bliebe vielleicht bei den Matratzen nicht mehr als die illegale Müll-Entsorgung.
Seit gut zwei Monaten arbeitet sich Schütz durch die 200 Aktenordner. Er hat auch andere Fälle zu bearbeiten, aber dieser nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Eine mögliche Anklage ohne Opfer ist keine Seltenheit und füllt die Fachliteratur. Doch kein Fall ist wie der andere. „Das ist eine komplizierte Beweisführung“, gesteht Schütz. Auf jedes Detail, auf jede Nuance muss er achten, die Ermittlungsakten weiter durcharbeiten. Schütz ist vorsichtig in seinen Äußerungen. Wen wundert’s. Doch er sagt auch, dass es noch in diesem Jahr zu einer Anklage kommen wird.
Mord verjährt nicht
Nur zu welcher Anklage, das sagt er verständlicher Weise nicht. Es gibt auch andere Delikte, die dem Tatverdächtigen offenbar zur Last gelegt werden können. Wegen des ausgebrannten Pkw vielleicht, wegen Finanzdelikten oder Betrugsfällen? Es gibt Andeutungen zu Geldproblemen. Näheres ist dazu aber nicht zu erfahren. Gewiss wird nur hieb- und stichfest und nicht voreilig auch wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt. Denn Mord verjährt nicht. Und die Polizei ist sich sicher: Irgendwann wird die Leiche gefunden und damit der vielleicht letzte Beweis.
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