Gelsenkirchen. 800 Gäste beim Stadtempfang im Musiktheater: Sie erleben Alltagsexperten aus Gelsenkirchen, Musik, den OB im Abschiedsmodus und Schalke im Foyer.
Stadion oder Stadtempfang, Bundesliga oder bunter Abend voller Botschaften? Für manche Schalke Fans war es Freitag geradezu eine Gewissensentscheidung, den Tribünenplatz mit dem Theatersitz zu tauschen. Im Musiktheater im Revier zelebrierte die Stadt Gelsenkirchen ihren Neujahrsempfang mit der gewohnt unterhaltsamen Mischung aus Talk und Kabarett, mit Musikeinlagen, Häppchen für zwischendurch und Raum für Gespräche. Es war ein Abend unter besonderen Vorzeichen im (Kneipen)-Bühnenbild der komischen Oper „Orlando Paladino“, die Sonntag Premiere feiert.
Ein Statement für die Heimatstadt Gelsenkirchen
Es war sicher auch ein besonderer Abend für Frank Baranowski, der am Ende seiner Rede stehende Ovationen und Bravorufen erlebte. Zum letzten Mal begrüßte er in seiner Funktion als Oberbürgermeister die lange Reihe der Gäste. Rund 1600 Einladungen wurden verschickt, über 800 wurden angenommen – mehr als in den vergangenen Jahren. Für Baranowski waren die Zusagen auch „ein Statement zugunsten ihrer Heimatstadt“. Und auch die Schalke-Fans wurden bedient: Im Foyer lief die Übertragung vom Liga-Kracher gegen Gladbach.
Musikalisches Zwischenspiel der MiR-Backstage-Talente
Matthias Bongard, Radio- und TV-Journalist, übernahm wieder gewohnt souverän und launig die Moderation, Fußballschmäh inklusive. Für das musikalische Zwischenspiel sorgten sexy-frivol und durchaus stimmgewaltig MiR-Backstagetalente, die sonst ein Job hinter den Kulissen vereint. Die 15-köpfige Dance Company des Hauses zeigte poetisch-kraftvoll einen Part aus der nächsten Produktion: Momo. Dort geht es um gestohlene Zeit. Der Abend kannte nur Gewinner, auch beim kabarettistischen Nachschlag, serviert von Christoph Sieber, der mit Worten und Werten jonglierte und der kollektiven Lust am Scheitern spielte. Soweit alles wie gewohnt. Wäre da nicht der OB im Abschiedsmodus.
Auch interessant
2020, so Baranowski, werde sich das Leben der Gelsenkirchener, werde sich auch sein Leben in einer Welt verändern, deren „Zukunft in unseren Händen liegt“. Es war ein nachdenkliche, mahnende, auch fordernde Rede, die Baranowski hielt, die in Teilen auch wie ein Vermächtnis wirkte – die sich vor allem um Demokratie, Werte und Teilhabe, um Gemeinsamkeit und Gemeinschaft, um Bürgerengagement, um den oft so verqueren Binnenblick auf Gelsenkirchen und die Außenwirkung der Stadt drehte. Und um Aufmerksamkeit, Neugier und Rückgrat, das Auf- und Einstehen gegen rechte Kräfte, um den guten Umgang miteinander und die Fähigkeiten, notwendige Kompromisse zu finden – und die dafür nötige Geduld aufzubringen.
Blick auf die Speisekarte
Die Awo Service GmbH tischte auch 2020 als Caterer beim Neujahrsempfang auf. Als Fingerfood wurden den Gästen Lachs- und Garnelenhäppchen, Chickenlollies oder auch Currywurst serviert.
Auf dem Büfett war eine klare Tendenz hin zu Gemüse und Salaten unverkennbar - bei hausgemachten Antipasti, Orangen-Fenchel-Salat, Käse und Steinpilzen oder auch Ricotta, Spinat und Tomaten mit Frischkäse. Eher leicht auch diesmal die Hauptspeisen: Ganzer pochierter Lachs mit Cranberries und Limetten, Zander, Blätterteigtaschen mit Truthahnbrust oder tranchiertes Schweinefilet „Florentiner Art“. Versüßt wurde der Abend mit Obstsalat, Himbeer-Kefircreme und auch Tiramisu.
Dass die Ausführungen eine persönliche Note bekamen, versteht sich nach 16 Jahren Amtszeit: Es gehöre zur Demokratie, „dass sie von Menschen gemacht wird, von Menschen mit ihren jeweiligen Eigenarten und Handschriften, Stärken und Schwächen. Und dabei gilt immer: Die handelnden Personen wechseln, die Demokratie bleibt“, so Baranowski, der sich – hier mit belegter Stimme – bei vielen dieser „handelnden“ Gelsenkirchener für ihren Einsatz im Dienste der Stadt bedankte. Dass es ihm schwergefallen sei, nicht noch einmal für „dieses so schöne, besonderer Amt“ des Oberbürgermeisters zu kandidieren, gestand der OB erneut. „Ich war noch lange nicht fertig mit diesem Amt und meiner Stadt – und ich werde es so bald wohl auch nicht sein. Sie dürfen sicher sein, denn ich habe bisher stets mein Wort gehalten: Das werde ich auch bis zum 31. Oktober dieses Jahres genauso weiterhalten.“
Dank für die handelnden Personen
Der Fokus richtete sich bei diesem Empfang ganz aufs Lokale, auf Gelsenkirchen. „Weil es unsere Stadt ist“ – der Spruch lieferte, wie bei den gezielten Aktionen und Strategien für mehr Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt, das Leitmotiv für den Abend und die Twitter-Wand über der Bühne, die von den Gästen mit Tweets beschickt wurde. Im Mittelpunkt standen dabei die Menschen, die sich, so der OB, „nicht von Berufs oder Amts wegen auszeichnen, sondern durch ihren persönlichen Beitrag, durch ihren ganz und gar freiwilligen Beitrag zu unserem Zusammenleben“.
Einspielfilme von Frank Bürgin
Auch interessant
Der Gelsenkirchener Filmemacher Frank Bürgin stellte diese „Alltagsexperten“ in kurzen, sehenswerten Einspielern vor. Die Liste der Vorgestellten war lang: Unter ihnen Amevida-Chef Matthias Eickhoff, der sein Unternehmen in Schalke ansiedelte. Oder Norbert Labatzki und Petra Bec, die das „Straßenfeuer“ und „Warm durch die Nacht“ als Hilfe für Obdachlose entfachten. Oder Olivier Kruschinski, den seit einer Dekade das Wohl und Wehe der „Schalker Meile“ umtreibt. Matthias Bongard hinterfragte den persönlichen Antrieb, die Motivation von Akteuren, die Bildung gegen Wohnen in Ückendorf bieten oder Softwarelösungen in einem Start-up. Am Kneipentisch saß auch Nabil Ghobrial, ein wahres Sprachtalent. Der Ägypter unterrichtet Arabisch an der VHS, schrieb für seine Schüler eine Lernfibel und ist angehender Busfahrer. In Gelsenkirchen ist er durch Zufall gelandet. „Die Stadt hat mich ausgesucht“, sagt er und machte seiner neuen Heimat ein großes Kompliment. Hier, so der 32-Jährige, fühlten er und seine Familie sich „sicher und respektiert.“
Und Schalke? Spielte mit: 2:0 gegen Gladbach!