Essen-Rüttenscheid. . Die Rüttenscheider Agentur Seidl will der Deutschen liebstes Gemüse noch beliebter machen - im Auftrag der EU und der niederländischen Erzeuger. Geschäftsführerin Daniela Seidl fordert „mehr Werbung für Gemüse“ - die Gemüsetheke sei das Stiefkind des Handels, sagt sie.
Milene L. Rijcken und Daniela Seidl haben eine rote Mission: Die Tomate, der Deutschen liebstes Fruchtgemüse, noch beliebter zu machen. Denn die Niederlande, die mit rund 306 Millionen Kilogramm exportierter Tomaten rund 80 Prozent des Markts in Deutschland halten, fürchten den demografischen Wandel. Mit Fördermitteln der EU schrieb die Dutch Produce Association deswegen eine Image-Kampagne aus, die die Tomate zum ultimativen Helden zwischen schnöden Speisezwiebeln und Kartoffeln befördern soll.
Den Zuschlag bekam die Rüttenscheider PR-Agentur Seidl, die Erfahrung hat, wenn es darum geht, eher unpopuläre Lebensmittel wieder den Stempel „en Vogue“ aufzudrücken. So erfand das Seidl-Team etwa das Logo „Superhuhn“, das das Suppenhuhn auch in die Töpfe jüngerer Konsumenten bringen soll: Denn jene, heißt es, würden die Vielseitigkeit des Huhns unterschätzen.
Tomaten in allen Varianten
Doch zurück zur Tomate. Davon gibt es im Büro an der Rüttenscheider Straße alle Varianten und Farben: Die edle Sorte „Coeur de Boeuf“, klassische Strauchtomaten und sogar die kleinsten Tomaten der Welt, die etwa so groß wie kleine Schokolinsen sind. „Die Lebensmittelindustrie steckt Millionen in das Marketing von Produkten wie Süßigkeiten oder Tiefkühlkost. Die Gemüsetheke ist das Stiefkind des Handels“, beklagt die 41-jährige PR-Expertin, die in Gronau nahe Enschede aufwuchs und deswegen fließend holländisch spricht.
Ihre in Essen aufgewachsene Projektleiterin Milene L. Rijcken hat holländische Wurzeln - und mittlerweile ein Imperium rund um den Exportschlager aufgebaut. Der hat seinen schlechten Ruf aus den Neunzigern als „wässrige Gewächshaustomate“ verloren, meint Rijcken. Mit der „My Tomato“-Community hat sie gar eine Art Facebook für Tomatenfans ins Leben gerufen, auf der sich Gemüseverrückte vernetzen können. Dort werden Rezepte von der Tomatenquiche bis hin zur Tomaten-Honig-Gesichtsmaske ausgetauscht - der Inhaltsstoff Lykopin könne dabei helfen, den Schutz gegen UV-Strahlen zu erhöhen, lernt man dort.
Mit der Renntomate durchs Ziel
Zudem organisiert das Rüttenscheider Büro Roadshows und Promotion-Aktionen Diskotheken, bei denen hübsche Damen mit grünen Perücken und roten Kleidchen Snacktomaten unters Partyvolk bringen. Ein weiterer PR-Coup ist die Renn-Tomate, die von entsprechenden Paten bei Laufveranstaltungen durch das Ziel getragen wird - zu bewundern auch beim Stadtlauf in Essen am 7. Oktober. Ob all die Instrumente bei einem selbsterklärenden Produkt wie der Tomate notwendig sind? „Und ob!“, sagt Daniela Seidl, die im gleichen Atemzug auf die steigende Zahl Fettleibiger in Deutschland verweist: „Bei einer Roadshow neulich hat ein Zuschauer eine Aubergine für eine Papaya gehalten. Gemüse und Obst bräuchten mehr Werbung. Außerdem muss mehr über die Produkte informiert werden“, fordert Seidl.
In den Niederlanden beschreitet man längst andere Wege. Dort ist nahe Den Haag gar das Kompetenzzentrum „Tomato World“ entstanden, wo Saatgutunternehmen neue Sorten und den Geschmack der Verbraucher erforschen. Besucher können erleben, wie die Tomaten in die Ketchup-Flasche kommen und wie unterschiedlich landestypische Geschmäcker sind. „In Russland sind möglichst große Tomaten gefragt, Japaner bevorzugen äußerst süße Sorten. Die haben einen höheren Brixwert, also Zuckergehalt als Erdbeeren“, weiß Daniela Seidl.
Auch der Geschmack der Deutschen habe sich verändert, ist experimentierfreudiger geworden: Strauchtomaten sind in der Beliebtheitsskala zwar uneinholbar vorn. Dennoch holen Cherry, Roma, San Marzano und auch die grüngoldene Kumato auf. „Die bewahrt man übrigens alle nicht im Kühlschrank auf, sonst verlieren Tomaten ihren Geschmack“, rät die Tomatenexpertin Seidl. Hat sie nicht so langsam Tomaten auf den Augen und hängt ihr das Gemüse nicht zum Hals raus? „Nie!“, sagt Seidl. Irgendjemand muss schließlich für den 25-Kilo-Verbrauch pro Kopf in Deutschland verantwortlich sein.