Zeitreise vom Kumpel zum Knebel – in der Altenessener Zeche Carl
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Essen. Erst wurde hier Kohle gefördert, dann Kunst: Die Altenessener Zeche Carl ist eine der wichtigsten soziokulturellen Zentren des Landes und bestes Ziel für eine Zeitreise – vom Kumpel zum Knebel.
Es gibt Orte, die riechen an einem Samstagmorgen immer noch so vertraut nach schalem Bier und Jugendsünden, dass man gleich ein wenig berauscht ist vom Aroma der Erinnerungen. Es wird nicht wenige Essener geben, die einen wesentlichen Teil ihre musikalische Sozialisation auf dem Tanzboden der Altenessener Zeche absolviert haben und diese Zeit noch in der Nase haben.
Damals kamen zum „Smoke on the Water“ allerdings auch noch die Rauchschwaden der Selbstgedrehten, was den berühmtesten Hornbrillenträger dies- und jenseits der A 40, Herbert Knebel, mal zu folgenden Zeilen animiert hat: „Boh glaubse, die ganzen Knochen gelb. Dat krisse doch nie im Leben wieder ab. Wir ham aber wieder wat weggeraucht, mein lieber Herr Gesangsverein.“ Qualm der Geschichte.
Am Anfang war das Affentheater
Als Herbert Knebels legendäre „Rauchernummer“ im Juni 1988 in der Zeche Carl erstmals vor Publikum präsentiert wurde, da erfand Uwe Lyko nicht nur den berühmtesten Frührentner der Kabarett-Geschichte, er hat auch eine der bis heute größten Erfolgsstorys der bundesdeutschen Soziokultur weitergesponnen. Denn in Altenessen hat es mit dem Affentheater damals angefangen. Und allen, denen der Begriff Soziokultur bis dahin allzu sehr nach Palästinensertuch und Müslirevolte klang, die bekamen eine Ahnung davon, was diese in den 1970ern zu Dutzenden gegegründeten Zentren sein konnten: Ort des kreativen Austauschs, des sozialen Netzwerkens, des kulturellen Ausprobierens und demokratischen Mitmachens, warum nicht auch Karriere-Sprungbrett?
Fast könnte man eine Ahnengalerie der Carl-Künstler einrichten, in der natürlich auch die Altenessener Trash-Metal-Mannen von „Kreator“ Platz fänden.
Kinderflohmarkt und Seniorencafé
Das ist EssenAber Carl ist ja kein Nostalgieverein, der die 1973 zu Grabe getragene Kumpelkultur in Altenessen freitags mit ein paar wummernden Elektrobeats wachschüttelt. Das denkmalgeschützte Industrie-Ensemble, dessen Anlagen teilweise aus 1855/56 stammen, ist heute für vieles offen, Kinderflohmarkt und Seniorencafé, Gothic Rock und Comedy Carl, Kampfsport und bosnische Mädchentanzgruppe, Börek und Bockwurst, Kindertheater und Weiterbildung.
Über 35 Jahre ist sie inzwischen „soziokulturell“, die Zeche Carl. Hat damit das Aus für die Kohle überstanden und den geplanten Abriss, den Bürger, Jugendliche und ev. Kirchengemeinde 1977 abwendeten. Auch die Insolvenz des Trägervereins 2008 war nicht das Ende. Mit neuer Technik, 300 Liter Farbe und knapp vier Millionen Euro hat Carl zuletzt sogar eine Verjüngungskur bekommen. Der Duft der Jugendsünde, er ist trotzdem nicht ganz verflogen.
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