Essen. Bei der Premiere der „Sugar Dollies“ in der ausverkauften Studio-Bühne bleibt Regisseurin Sandy Tomsits in den 1990ern stecken

Schrilles Gekreische, Gebelle und Gepiepe, Batman und Robin, Naziwitze – und vier Frauen, die sich in einer Kuppelshow verheizen lassen wollen: Um die Komödie „Sugar Dollies“, die Samstagabend in der ausverkauften Studio-Bühne Premiere feierte, mögen zu können, muss man eine gehörige Portion Trash-Bewusstsein mitbringen.

Nein, Subtilität hatte Klaus Chatten offenbar nicht im Sinn, als er 1998 dieses Stück schuf. Da ist die seit zwei Jahren arbeitslose Schauspielerin, die die Fähigkeit besitzt, mit ihrem Penthesilea-Monolog Brechreiz bei Intendanten-Gattinnen zu erzeugen. Und da ist die prollige Mutter im Batman-Outfit, die ihre pummelige Tochter im Robin-Kostüm auf den Karneval schleppen will, in der Hoffnung, dass sie dort wenigstens einen Kerl mit Humor abbekommt. Um auch kein Klischee auszulassen, fehlt auch nicht die Ossi-Tante aus dem Sonnenstudio, der reihenweise die Kerle abhauen, aber nicht ohne ihr jeweils ein Kind anzuhängen. Sie alle treffen sich in der Wartezone für ein Kuppelshow-Casting. Und wo wir von Klischees reden: Natürlich ist die junge Casting-Agentin eine kühle, arrogante TV-Tussi ohne Herz. Logisch, dass sie alle Bewerberinnen eiskalt abbügelt.

Schräges Deutschland nach der Wende

Chatten schuf mit „Sugar Dollies“ ein schräges Gesellschaftsbild Deutschlands nach der Wende. So prallt die aufgesetzte Fröhlichkeit der ostdeutschen Bewerberin Peterchen an der unerschütterlichen Fassade der Fernsehfrau Viola (Petra Hollstein) ab. Erst als Peterchen preisgibt, wie sie die Maueröffnung als schrecklich naive Liebesgeschichte erlebt hat, scheint Viola telegenes Potenzial zu entdecken: Seelenstriptease geht immer, selbst bei depressiven Ossis.

Sandra Mader gelingt es, Peterchen einen Hauch tragischer Tiefe zu verleihen – und somit eine der wenigen Figuren auf der Bühne darzustellen, die nicht wie ihre eigene Karikatur wirkt.

Bruch mit den Tabus auf der Bühne

Doch nicht nur diese etwas abgehalfterte Ost-West-Thematik erweckt den Eindruck, dass das Stück schlecht gealtert ist. Mit seinen Provokationsversuchen zum Beispiel: In Form von angeklebten Hitler-Bärtchen wirkt es wie ein Relikt aus den 1990ern, als das Theater der Postmoderne daran scheiterte, auch die letzten Tabus auf der Bühne brechen zu wollen. Doch immerhin: Eben dieser Aspekt wird in dem Stück durch die Figur der Schauspielerin Rosy parodiert, die Willen zur Provokation und Aktionismus mit Talent verwechselt.

Da ist es schade, dass Darstellerin Sandra Zambera diesem Gegensatz nicht mehr Raum geben darf, ebenso wie der Konflikt zwischen Mutter und Tochter an der Oberfläche verharrt: Nicolin Vook-Chabans hölzern-prollige Art und Ann-Kathrin Hundts betonte Trotzigkeit wirken so, als seien die beiden der RTL-Trash-Doku „Mitten im Leben“ entsprungen.

Die Regisseurin Sandy Tomsits scheint mehr an der Schrillheit des Stücks interessiert gewesen zu sein, als an der Fallhöhe der Figuren. Grelle Kostüme, eine Darstellerin, die den Papagei mimen muss, Kloschüsseln, Theaterblut und kreischende Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs: Alles ist überzeichnet, der Trash tritt jedem noch so kleinen Anflug von Tiefsinn ganz gehörig in den Hintern. Das könnte gelungene Satire sein – wenn die Realität diese über zehn Jahre alte Vision nicht schon längst eingeholt hätte.