Essen. Der sonst souveräne Starchirurg Christoph Broelsch wirkt nervös. Er errötet, nimmt die Brille ab, setzt sie wieder auf. Erstmals sagt eine ihm eigentlich dankbare Patientin vor dem Landgericht, dass er den Zeitpunkt der vermeintlich lebensrettenden OP von einer "Spende" abhängig gemacht habe.
Bislang ließen sich die Zeugen grob in zwei Gruppen unterteilen. Einmal die dankbaren, die sich nach seiner Operation bester Gesundheit erfreuen. Sie betonen an bislang fünf Prozesstagen vor der XXI. Strafkammer, dass die erbetene Spende auf sie keinen Druck ausgeübt hätte. Auf der anderen Seite die Zeugen, die einen Angehörigen trotz der Operation verloren haben. Sie belasten ihn. Broelsch kennt diese Trennung. Als Staatsanwalt Hans-Joachim Koch ihn am Mittwoch fragt, aus welchem Grund ihn Zeugen aus der zuletzt genannten Gruppe falsch belasten sollten, hat er die Antwort schnell parat: „Weil sie enttäuscht sind über den Tod ihrer Mutter.”
Das lässt sich nach der nächsten Zeugin nicht mehr aufrecht erhalten. Ein Tumor lastete schon seit vielen Jahren auf der Leber der 43-jährigen Versicherungskauffrau. Plötzlich wuchs er. Mehrere Ärzte lehnten eine Operation ab. Schließlich kam sie zu Broelsch. Als Privatpatientin meldete sie sich an, war bereit, für das Gespräch mit ihm die üblichen 150 Euro zu zahlen. Ihre Mutter begleitete sie.
Plötzlich war die Operation nicht mehr eilig
Broelsch habe die Operation durchführen wollen und Druck gemacht: „Da muss in den nächsten vier Wochen etwas passieren.” Die Mutter bemerkte, ihre Tochter sei aber gesetzlich krankenversichert. Sofort schaltete Broelsch um, plötzlich hatte es Zeit: „Dann ist die Operation in sechs bis neun Monaten möglich, und vermutlich werde nicht ich operieren.” Eine Lösung bot er aber an: „Eine Spende von 7500 Euro für mein Forschungszentrum.” Die beiden willigten ein, vier Wochen später kam die Frau unters Messer. Eigentlich sei sie ihm dankbar, sagt die 43-Jährige. Aber mit der Spende habe sie sich unter Druck gesetzt gefühlt. Broelsch bestätigt das Gespräch im Grunde, sagt aber, die Operation sei nicht dringend gewesen.
Geschäftsgebaren wie von manchen Strafverteidigern
Ein ums andere Mal fühlt man sich als Beobachter im Prozess gegen Christoph Broelsch an ein Geschäftsgebaren erinnert, dessen sich manchmal Strafverteidiger rühmen: Dass sie dem Mandanten beim ersten Gespräch viele Jahre Haft ankündigen. Nur sie könnten ihm die ersparen. Das koste natürlich. „Meine schwierigste Aufgabe ist es, in wenigen Minuten zu erkennen, wieviel ich dem Mandanten abnehmen kann”, sagte mal ein Rechtsanwalt zu diesem Geschäft mit der Angst.
Doch hier geht es nicht um mutmaßliche Straftäter, die zur Kasse gebeten werden, sondern um Menschen in Todesangst. Etwa um den 67-jährigen Kölner, der seine Ehefrau trotz Broelsch-OP verloren hat. Eigentlich ein gestandener Mann. Doch oft weint er bei der Aussage, stockt. „Geht es noch”, fragt Richter Wolfgang Schmidt, „brauchen Sie eine Pause?”. Nein, der Zeuge will da durch.
Hoffnung versprochen
Mehrere Ärzte hatten seiner Frau, deren Leber mit Metastasen befallen war, wenig Hoffnung gemacht. Dann kam sie zu Broelsch. „Kein Problem”, hätte er gesagt. Wenn er operiere, könne sie sogar ohne Chemo auskommen. „Wir waren happy”, erinnert sich der Zeuge, „vorher todkrank, jetzt ohne Chemo”. Es kam die bei Broelsch offenbar unvermeidbare Frage nach einer Spende von 7000 Euro. Sie zahlten. Der Mann weint: „Das war doch Nebensache. Ich hätte mich verschuldet, das Haus verkauft. Und wir haben ihm geglaubt, dass sie ganz gesund wird.” Später sagt er, sie hätten gedacht, dass er ohne Spende nicht operiere. Helfen konnte Broelsch nicht. Die Frau wurde nur aufgeschnitten und wieder zugenäht. Ein halbes Jahr später war sie tot.
Ein Menschenfreund
Es gibt auch am fünften Prozesstag Zeugen, die sich positiv zu Broelsch äußern, sich nicht unter Druck gesetzt fühlten. Zahlen mussten sie alle. Haften bleibt die Aussage einer 66-Jährigen, die ihre Tochter zu Broelsch begleitete und zur Spende aufgefordert wurde. Sie hat auch einen kranken Sohn, mit dem sie bei einem Neurochirurgen in Hannover war. Als sie sagte, sie sei gesetzlich versichert, sei der Professor aufgesprungen und habe sie in den Arm genommen: „Ach, kleine Frau, ich kann mir die Operation leisten. Ich bin auch zugelassener Kassenarzt.” Ja, sagt Broelsch, bei diesem Kollegen könne er sich das vorstellen. Wie er dessen Reaktion bezeichne, fragt Staatsanwalt Christian Bolik. Professor Broelsch denkt nach: „Sehr philantropisch.” Ein Menschenfreund also. Ein Charakterzug, der einem Arzt nicht fremd sein sollte.