Essen. . In Essen sind dieses Jahr deutlich mehr Lehrstellen unbesetzt geblieben als in der Vergangenheit. Besonders im Handwerk sind die Ausbildungszahlen eingebrochen. Dort wachsen nun die Nachwuchssorgen
In diesem Jahr besteht der Dachdeckerbetrieb von Marc Sparrer 125 Jahre. Der 40-Jährige führt ihn in der fünften Generation. Doch nun macht er sich Sorgen um die Zukunft des Familienbetriebes mit zwölf Mitarbeitern. Dieses Jahr, berichtet er, bekam er keine einzige Bewerbung auf seine Lehrstelle. Dabei hätte er sogar zwei Azubis genommen. Den jungen Mann, den der Handwerksmeister vergangenes Jahr im August eingestellt hatte, musste er nach einem Dreivierteljahr wieder rauswerfen. „Ich hatte eigentlich immer drei Lehrlinge, jeweils einen in jedem Lehrjahr. Nun hab ich gar keinen mehr.“
Dachdecker Marc Sparrer ist kein Einzelfall. Im Essener Handwerk sind dieses Jahr nach Schätzung der Kreishandwerkerschaft 150 bis 200 Lehrstellen unbesetzt geblieben. Das wirkte sich natürlich auf die Ausbildungszahlen aus. 673 neue Lehrverträge zählte das Handwerk bis Ende September. Das sind neun Prozent weniger als voriges Jahr. Bei der Industrie- und Handelskammer gab es zwar auch einen Rückgang, doch der fiel mit 3,4 Prozent nicht so hoch aus.
60 Prozent mehr freie Lehrstellen
In der Statistik der Arbeitsagentur, die am Donnerstag Bilanz des abgelaufenen Ausbildungsjahres zog, das gleiche Bild: 151 Ausbildungsplätze in Essen waren bis Ende September noch nicht besetzt. Das sind fast 60 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Für die Firmen wird es offensichtlich schwerer, geeignete Bewerber zu finden. Das betrifft aber nicht nur das Handwerk, sondern auch Branchen wie die Gastronomie, die Pflege, Paketdienstleister, Gebäudereiniger oder das Sicherheitsgewerbe. Torsten Withake, Chef der Arbeitsagentur, scheint es jedoch leid zu sein, nur Klagen über die mangelnde Ausbildungsreife der jungen Menschen zu hören: „Die Unternehmen können nicht immer nur den Rahm abschöpfen“, sagt er.
Sind die Firmen zu wählerisch geworden? Sparrer beispielsweise stellt nur Azubis mit Realschulabschluss ein. „Das Pensum in der Berufsschule ist zu anspruchsvoll“, sagt er. Er kann nicht riskieren, dass ein Azubi am Ende den Abschluss nicht schafft. Sparrer glaubt eher an ein Imageproblem seines Berufsstandes. Harte Arbeit, bei Wind und Wetter im Freien, frühes Aufstehen. Damit tun sich seiner Meinung nach viele junge Menschen schwer.
Heinrich Schmid denkt um
Handwerker wie er konnten sich in der Vergangenheit auf Mund-zu-Mund-Propaganda und Empfehlungen verlassen, um an Nachwuchskräfte zu kommen. Doch die Zeiten sind vorbei. Das hat man auch beim Malerbetrieb Heinrich Schmid erkannt. „Als die Bewerberzahlen zurückgingen, mussten wir handeln“, erzählt der Essener Hauptabteilungsleiter Bernd Rautenberg.
Das bundesweit tätige Unternehmen, das in Essen 120 Mitarbeiter beschäftigt, setzte ein Ausbildungsprogramm auf mit eigenen Baustellenausbildern, „die sich um die Auszubildenden kümmern“. Dazu zählen auch regelmäßige Betriebspraktika für Schüler, die schon in der 8. Klasse ansetzen. „Wir nehmen die Schüler nicht gleich mit auf die Baustelle, sonst wären viele wohl schnell wieder weg“, meint Rautenberg. Die Anstrengungen zahlen sich aus. Die Bewerberzahlen sind deutlich gestiegen und somit die Ausbildungszahlen. Mittlerweile lernen bei Heinrich Schmid in Essen 40 Azubis. 2010 waren es nur 16.